Calle. Erstmals wandert ein Wolf von Süd- oder Osteuropa bis nach Deutschland. Diese Entdeckung kann bei Meschede nachgewiesen werden.
Jetzt ist es amtlich: Der Wolf war hier! Um genau zu sein: Er war morgens am 16. April bei Calle. Dort hat er an einem gerissenen Reh gefressen. Es gibt nicht nur eine Augenzeugin dafür, sondern sogar den wissenschaftlichen Nachweis, welcher Wolf es genau war. Und dieser Nachweis wiederum ist für die Wolfs-Experten eine Sensation.
Untersuchung für die Windkraft
Entdeckt wurde der Wolf von einer Biologin. Sie war eigentlich in einem Waldstück bei Calle auf der Suche nach dem Schwarzstorch und dem Rotmilan. Denn sie ist unterwegs, um eine Artenschutzuntersuchung für die Windkraft zu machen. Am Hömberg in Calle könnten Windräder entstehen, seltene Vögel dürften dafür aber nicht in der Nähe sein.
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Sie streifte durch die Landschaft, und stand in einer alten Weihnachtsbaumkultur plötzlich vor dem Wolf: „Der Wolf hat sie ganz kurz angeschaut“, berichtet Stefan Knippertz. Er ist Ranger beim Landesbetrieb Wald und Holz NRW - und er ist einer der unabhängigen Luchs- und Wolfsberater in der Region, die bei Sichtungen dieser seltenen Tiere gerufen werden sollen. Das war auch hier der Fall.
Gewebeproben analysiert
Mensch und Tier schauten sich an, dann suchte der Wolf das Weite. Die Biologin schaltete den Wolfsberater ein - und der fand reichlich Spuren: „Es gibt saubere Trittsiegel“ – also Abdrücke am Boden. Außerdem ist da ja das Reh gewesen. Das junge Reh war von dem Wolf aus einer Schonung heraus auf die offene Fläche gezogen worden, wo die Biologin ihn dann traf.
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Stefan Knippertz hat Gewebeproben eingeschickt an das zuständige Senckenberg-Forschungsinstitut in Gelnhausen. Das Institut führt deutschlandweit genetische Untersuchungen an freilebenden Wölfen durch. Jetzt sind diese Proben analysiert. Deshalb kann das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW erstmals einen Wolf mit dem so genannten Haplotyp HW06 in Nordrhein-Westfalen nachweisen. Dieses genetische Merkmal ist selten in Mitteleuropa.
Bei dem Wolf aus Calle handelt es sich demnach um einen männlichen Wolf mit der Kennung GW1724m. Dieser Wolf ist am 20. März 2020 in Sachsen-Anhalt erstmals genetisch erfasst worden. GW1724m ist damit der erste in Deutschland nachgewiesene Wolf mit dem Haplotyp HW06: Denn dieses genetische Merkmal wird hauptsächlich in Wolfspopulationen in Ost- und Südosteuropa (also Polen, Weißrussland, Ukraine, Russland, Bulgarien, Griechenland, Rumänien oder Ungarn) gefunden. Wölfe aus der mitteleuropäischen Flachlandpopulation tragen wiederum entweder den Haplotyp HW01 oder HW02.
Ein Langstreckenwanderer
Der Wolf von Calle ist damit ein Langstreckenwanderer. Junge Wölfe können bei ihrer Suche nach einem eigenen Territorium nachweislich sehr weite Strecken von mehreren hundert bis über eintausend Kilometer wandern. Deshalb, so das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz, sei das Herkunftsrudel des Wolfsrüden voraussichtlich nicht zu ermitteln.
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Zeitlich passt die Entdeckung von Calle wiederum in die anderen Berichte von Wolfssichtungen. Erst in der letzten Woche war bekannt geworden, dass bei Sallinghausen bei Eslohe ein Spaziergänger ebenfalls im Frühjahr einen Wolf gesehen hat. Außerdem wurde im Sorpetal bei Schmallenberg ein Tier auf einer Wildkamera fotografiert, das vermutlich auch ein Wolf war.
Auch ein Alpenwolf ist unterwegs
Das Landesamt weist darauf hin, dass in den letzten Jahren auch immer wieder einzelne aus der Alpenpopulation stammende Tiere in Deutschland genetisch bestätigt wurden, die durch den ausschließlich dort vorkommenden genetischen Haplotyp HW22 gekennzeichnet sind.
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In diesem Jahr konnte ein Alpenwolf erstmalig auch in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen werden: Der Wolfsrüde GW1559m mit dem Haplotyp HW22 wurde am 17. Februar 2020 bei Odenthal im Rheinisch-Bergischen Kreis an einem Wildtierriss genetisch erfasst. Aktuell gilt dieser Wolf als „verschollen“. Alle anderen bislang genetisch nachgewiesenen Wölfe in NRW gehören zu der mitteleuropäischen Flachlandpopulation – bis eben auf den jetzt in Calle.
>>>HINTERGRUND<<<
Die S enckenberg Gesellschaft für Naturforschung wurde nach einem Auswahlverfahren des Bundesamts für Naturschutz den Bundesländern als „Nationales Referenzzentrum für genetische Untersuchungen bei Luchs und Wolf“ empfohlen.
Seit 2010 untersucht sie alle bundesweit anfallenden Wolfsproben.