Meschede/Köln. Wirtschafts-Professor Dominik Enste ist erschrocken über die Verschwörungstheorien, die im Umlauf sind. Der Kölner stammt aus Grevenstein.

Professor Dr. Dominik Enste gehört laut FAZ-Ranking zu den 100 einflussreichsten Top-Ökonomen Deutschlands. Der gebürtige Arnsberger wuchs in Meschede-Grevenstein auf, legte sein Abitur am Laurentianum in Arnsberg ab und absolvierte dann eine Banklehre bei der Sparkasse Meschede. Heute ist er Hochschulprofessor an der Technischen Hochschule Köln sowie Wissenschaftler am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln - Schwerpunkt Wirtschaftsethik. Ein Themenbereich, der auch in Coronazeiten diskutiert wird. Wie viel ist ein Menschenleben wert? Und kann sich unsere Wirtschaft einen erneuten Lockdown leisten?

Schlägt nach der Stunde der Virologen jetzt die Stunde der Wirtschaftsethiker?

Professor Dr. Dominik Enste: Aus meiner Sicht wäre es von Anfang an wichtig gewesen, neben Medizinern und Virologen auch Sozialwissenschaftler einzubinden. Denn von Beginn der Krise an ging es um Abwägungsprozesse, für die man viele Sichtweisen braucht. Die Frage lautete: Was will man tun und was muss man tun, um dramatische Entwicklungen wie in Italien zu vermeiden. Dabei war auch klar, dass unser Gesundheitssystem belastbarer ist als das italienische. Wichtig ist mir: Es geht nicht darum, Gesundheit gegen Wirtschaft abzuwägen. Wir brauchen beides. Denn auch unser Gesundheitssystem können wir uns nur dank einer gesunden Wirtschaft leisten.

 Dominik Enste ist Professor für Wirtschafts-Ethik in Köln. Er ist  in Grevenstein aufgewachsen.
Dominik Enste ist Professor für Wirtschafts-Ethik in Köln. Er ist in Grevenstein aufgewachsen. © Privat

Einer Ihrer Forschungs-Schwerpunkte beschäftigt sich mit deviantem Verhalten, dem Verhalten, das von sozialen Normen abweicht. Was hat das mit Corona zu tun?

Menschen lehnen sich gegen Regeln und Normen auf, wenn sie diese nicht verstehen und daher auch nicht akzeptieren. Im Bereich der Pandemie war und ist es teilweise bis heute problematisch, dass Wissenschaft und Politik nicht genügend erläutern, dass auch sie über das Virus vieles nicht wissen und dass deshalb erstmal strenge Maßnahmen nötig sind. Dass es aber perspektivisch Lockerungen geben wird. Es wurde zum Teil sehr drastisch mit Verboten agiert, wo ich mir mehr Erklärungen gewünscht hätte. So hätte man auch manche Verschwörungstheorie vermeiden können.

Im Sauerland haben wir fast keine Neuinfektionen, muss bei uns nicht eine größere Lockerung erlaubt sein, als in anderen Gebieten?

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Bereits Mitte März habe ich mich für regionale Lösungen ausgesprochen. Das mag für den ein oder anderen schwierig sein, wenn Regeln sich ändern, weil man in eine andere Stadt fährt, aber Deutschland ist einfach zu groß und zu unterschiedlich strukturiert für bundeseinheitliche Lösungen. Ich bin froh, dass wir da jetzt situationsangemessen mit Maskenpflicht und Kontaktverboten reagieren können. Was nicht heißt, dass es die Bedrohung durch das Virus nicht mehr gibt, aber wir wissen eben auch mittlerweile mehr, beispielsweise dass Aerosole in geschlossenen Räumen deutlich gefährlicher sind als das Anfassen von infizierten Türgriffen.

Sehen Sie irgendwelche Vorteil aus oder nach der Krise speziell für unsere Region?

Es könnte sein, dass vermehrt Menschen nah der Heimat und eben auch im Sauerland Urlaub machen und sich ein neuer Schub für die Gastronomie entwickelt. Hoffentlich bleibt die Erkenntnis, dass digitale Lösungen sich positiv auswirken und dass daher der Staat und einzelne Unternehmen noch mal mehr in diese Infrastruktur investieren. Wenn Firmen Homeoffice weiter erleichtern, bietet das auch die Chance, dass mehr Menschen in den ländlichen Regionen wohnen bleiben könnten und der Verkehr mit all seinen negativen Folgen stärker zurückgehen könnte. Vielleicht sind die Menschen aber auch bloß froh, wieder große Feste in Metropolen zu feiern - wie den Kölner Karneval.

War im Rückblick betrachtet der Lockdown mit seinen Folgen, richtig? Und können wir uns einen zweiten leisten?

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Die Folgen des Lockdowns sind dramatisch und in Deutschland zum Glück etwas leichter abzufedern, weil wir 15 Jahre lang gespart haben, wir können Kurzarbeitergeld zahlen und Unternehmen retten. Da sehe ich eher die Gefahr, dass andere Länder weiter abgehängt werden. Ein zweiter Lockdown wie im März mit Grenzschließungen scheint mir unwahrscheinlich, weil wir jetzt mehr über das Virus wissen. Da wird es eher zu spezifischen Maßnahmen in Regionen, Städten oder Firmen kommen, wenn die Infektionszahlen nach oben gehen.

Der schwedische Sonderweg mit größeren Freiheitsrechten und deutlich mehr Toten wäre der auch in Deutschland möglich gewesen?

Für eine Bewertung scheinte es mir noch zu früh. Da muss man sich die Übersterblichkeit über einen längeren Zeitraum ansehen. Wir haben in Deutschland einen Weg gefunden, der uns auch international Achtung einbringt. Ich hätte mir trotzdem gewünscht, dass dieser von Anfang an auf einen breiteren wissenschaftlichen und bürgerschaftlichen Konsens gestellt worden wäre.

In der Corona-Diskussion geht es auch oft um Utilitarismus, also, dass es nicht sinnvoll sein kann, dass man für das Überleben von wenigen, die Mehrheit leiden lässt.

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Die Menschenwürde ist unantastbar und die Humanität ein wichtige Errungenschaft. Ein plattes Abwägen von Menschenleben gegeneinander verbietet sich deshalb. Die Folgen haben wir zum Beispiel bei der Euthanasie in der Nazi-Zeit erlebt. Auf politischer Ebene aber muss abgewogen werden, welche Maßnahmen, die Menschenleben an anderer Stelle gefährden, noch sinnvoll sind. Bei Medikamenten wägen wir ja auch gewollte Wirkungen gegen die Nebenwirkungen ab.

Wer oder was hat Sie als Wirtschaftsethiker geprägt?

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Ich versuche seit 20 Jahren Wirtschaft und Ethik in Einklang zu bringen. Das sind für mich zwei Seiten einer Medaille. Und das betrifft auch das nachhaltige Wirtschaften, Corporate Social Responsibility, das über das hinausgeht, was Gesetze verlangen. Dabei spielt die Prägung im Elternhaus, mein Vater war Lehrer - auch meiner - in Grevenstein und später an der Katholischen Hauptschule in Meschede, sicher eine große Rolle. Mir geht es darum, dass Richtige zu tun und nicht nur das, was Profit bringt. Als Wissenschaftler geht es mir da auch immer auch um Aufklärung und Wissen und deshalb bin ich zurzeit relativ erschrocken über die Verschwörungstheorien, die eine Weltverschwörung hinter dem Coronavirus vermuten. Dass das Unfug ist, sollte jedem klar sein.

>>>HINTERGRUND

Dominik Enste, geboren in Arnsberg, wuchs in Grevenstein auf.

Nach dem Abitur am Laurentianum in Arnsberg, wo das Interesse für Wirtschaft und Philosophie geweckt wurde, machte Enste eine Banklehre bei der Sparkasse Meschede.

Es folgten Studium und Promotion in Köln, USA, Irland

Nach einer Zeit in verschiedenen Firmen und Beratungsgesellschaften, erhielt er die Chance am Institut der Deutschen Wirtschaft einen eigenen Bereich Wirtschaft und Ethik aufzubauen.

2012 gründete er die Akademie für Integres Wirtschaften, die deutschlandweit Firmenchefs berät.

Enste ist 52 Jahre alt, verheiratet, hat drei Söhne,15, 3 Jahre und sieben Wochen (am 4. Juni!) alt, und lebt in Köln. Seine Eltern wohnen in Arnsberg.