Eslohe. Seit fast zwei Jahren kämpfen die Lübkes aus Eslohe für ein „H“ im Schwerbehindertenausweis ihrer Tochter Christin. Jetzt muss das Gericht ran.

Es ist nur ein einziger kleiner Buchstabe in Christin Lübkes Schwerbehindertenausweis. Ein H - H wie Hilflosigkeit. Die scheint auf den Tag genau mit dem 18. Geburtstag des mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) geborenen Mädchens nicht mehr gegeben zu sein. Zumindest aus Sicht des Hochsauerlandkreises. Die Behörde unterstellt, dass Christin seit ihrer Volljährigkeit nicht mehr ständig auf fremde Hilfe angewiesen ist. Das sehen ihre Eltern Heike und Christoph Lübke gänzlich anders. Seit 20 Monaten kämpfen sie inzwischen um den Erhalt des Schwerbehindertenausweises, so wie er nach Christins Geburt ausgestellt worden ist. Die Auseinandersetzung mit der Kreisverwaltung füllt inzwischen einen ganzen Aktenordner.

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„Es wäre schön, wenn es mit dem 18. Geburtstag eine solche Wunderheilung geben würde“, sagt Heike Lübke und erinnert daran, dass es sich bei Trisomie 21 um einen Gendefekt mit geistiger Behinderung handelt, der sich leider nicht von heute auf morgen in Luft auflöse. Sie spricht von einem „Witz“, wenn sie daran denkt, wie quer sich der Hochsauerlandkreis seit 20 Monaten stellt. Zumal die Lübkes von Bekannten wissen, dass es in anderen Kreisen anders läuft.

Es sei ja völlig in Ordnung, dass solche Überprüfungen mit Erreichen der Volljährigkeit stattfinden, sagen die Lübkes ausdrücklich. Was sie beim HSK allerdings vermissen, sei das nötige Augenmaß. Mehr noch: Sie werfen der Behörde gar Willkür vor.

Zahlreiche Gutachten vorgelegt

In Großstädten sei es üblich, dass nach Vorlage des Arztattestes und dem Gutachten vom Betreuungsgericht die Bewilligung unbefristet genehmigt werde. Diese Praxis sei beim HSK anscheinend noch nicht angekommen. Oder man versuche bewusst, beim schwächsten Glied in der Kette - den behinderten Kindern - Geld zu sparen.

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Gutachten von Christins Hausarzt, vom Augenarzt, vom Logopäden, vom Physiotherapeuten, ein Pflegetagebuch, das genau belegt, wann und wie oft dem Mädchen im Alltag geholfen werden muss - all das habe der Behörde nicht ausgereicht, um zu erkennen, dass ihre Tochter nach wie vor nicht ohne ständige Hilfe durch den Alltag kommt.

„Sogar der Gutachter hat gestaunt“

Sogar das fachpsychiatrische Gutachten, das seinerzeit im Auftrag des Amtsgerichts von einem Experten erstellt worden war, damit die Lübkes auch nach der Volljährigkeit ihrer Tochter die Vormundschaft behalten, reichte dem Hochsauerlandkreis nicht aus, um den Status von Christins Ausweis so zu belassen wie er ist. „Als wir das dem Gutachter erzählt haben, hat er nur gestaunt und konnte es nicht fassen“, sagt Heike Lübke.

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Was Lübkes besonders ärgert: Seit 20 Monaten werden immer wieder nur Papiere zwischen Hochsauerlandkreis, Bezirksregierung Münster und ihnen hin und hergeschickt. „Es war noch niemand hier, der sich unsere Tochter mal angeschaut und sich persönlich ein Bild gemacht hat,“ sagt Christoph Lübke. Bis zum heutigen Tag hat die Esloher Familie keine konkrete Aussage darüber erhalten, was genau die Begründung für die Aberkennung der Hilflosigkeit sein soll.

„Ein solcher Fremdhilfebedarf ist bei Ihnen nicht gegeben“

In einem der zahlreichen Schreiben heißt es lediglich: „Das Merkzeichen H steht im Erwachsenenalter zu, wenn ein behinderungsbedingter Fremdhilfebedarf in erheblichem Umfang für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages - ggf. auch in Form von Überwachung, Anleitung oder ständiger Bereitschaft - vorliegt. Ein solcher Fremdhilfebedarf ist bei Ihnen nicht gegeben.“

Und eben das sehen Heike und Christoph Lübke anders. Mutter Heike nennt nur ein Beispiel zum Stichwort Mobilität: Natürlich könne Christin in einen Bus einsteigen, wenn er vor ihrer Nase halte. Wenn der Bus aber Verspätung hat, oder an der Haltestation vorbeifährt - was alles schon vorgekommen sei - sei sie orientierungslos. Von der Fähigkeit einen Busfahrplan zu lesen, ganz zu schweigen.

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Das Merkzeichen H in Christins Ausweis berechtigt unter anderem zur kostenlosen Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs sowie die Inanspruchnahme einer Begleitperson.

Außerdem ist das Merkzeichen mit einem Steuervorteil als Entlastung für Therapie- und Fahrtkosten verbunden. All das würde wegfallen.

„Man stellt fest: Es geht dem HSK wohl ums Geld und nicht um die Unterstützung von Christin“, sagen die Lübkes. „Und wenn das H einmal weg ist, ist es weg“, betont Christoph Lübke und begründet damit den beharrlichen Einsatz. Er mag sich das gesamte Ausmaß gar nicht vorstellen.

Inzwischen haben sich die Lübkes eines Anwalt für Sozialrecht genommen und Klage beim Sozialgericht in Dortmund eingereicht. Ausgang ungewiss!

Keine Angaben zum konkreten Fall

Wegen des laufenden Verfahrens will sich der Hochsauerland zum konkreten Fall nicht äußern. Auf eine Anfrage unserer Zeitung lieferte die Behörde lediglich allgemeine Informationen. Demnach würden alle eingereichten Unterlagen und Gutachten bei Anträgen auf einen Schwerbehindertenausweis ausgewertet und bei einer Entscheidungsfindung berücksichtigt, so der Kreis.

Eine Beurteilung beziehungsweise Bewertung habe zwingend nach den Vorgaben der Versorgungsmedizin-Verordnung zu erfolgen. Eine persönliche Untersuchung sei nur in Ausnahmefällen vorgesehen, etwa dann, wenn eine Entscheidung nach der Aktenlage nicht möglich ist - zum Beispiel, weil keine aktuellen Berichte vorliegen oder aus diesen für die Entscheidung relevante Angaben nicht hervorgehen.

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Wie oft es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommt, weil Menschen mit Behinderung nach Erreichen der Volljährigkeit Leistungen gestrichen werden sollen, sei nicht zu beantworten, teilt der Hochsauerlandkreis mit. Darüber werde keine Statistik geführt.

Mindestens zwei Stunden Aufwand pro Tag

Das Merkzeichen „H“ jedenfalls könne bei Erwachsenen nur zuerkannt werden, „wenn die betreffende Person für häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages dauernd und in erheblichen Umfang auf fremde Hilfe angewiesen ist“.

Das betreffe Tätigkeiten wie zum Beispiel An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Verrichten der Notdurft, Mobilität sowie geistige Anregung und Kommunikation. Der Aufwand für diese Verrichtungen müsse wenigstens zwei Stunden täglich betragen. Dies sei in der Regel der Fall, wenn ein Pflegegrad von 4 oder höher vorliege.