Meschede. Das Regenbogenhaus in Meschede ist eine besondere WG. Die Menschen dort kämpfen ums Überleben und ihre Angehörigen mit dem Gesundheitssystem.

Das Haus wirkt freundlich und offen, ein bisschen still für eine normale WG. Hinter spaltbreit geöffneten Türen sieht man Menschen in ihren liebevoll nach eigenen Vorstellungen eingerichteten Zimmern. Große Rollstühle stehen am Tisch, ein Mann und eine Frau schlafen. Sie atmen schwer. Manchmal piept ein Gerät. Seit drei Jahren gibt es die Intensivpflege Regenbogen an der Waldstraße. Hier werden Menschen versorgt, die beatmet und künstlich ernährt werden, für die es jederzeit um Leben und Tod gehen kann, die aber - so formuliert es die Einrichtungsleiterin - „noch Lebenslust und Lebenswillen haben.“

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Die Idee

Annett Heinze kannte die Probleme der häuslichen Intensivpflege aus ihrer Arbeit in der Kinderintensivpflege Regenbogen in Lennestadt. „Die professionelle 1:1-Betreuung, unterstützt durch die Angehörigen, ist die beste Versorgung, die ein kranker Mensch bekommen kann. Aber die Angehörigen gehen dabei bis an ihrer Belastungsgrenze. Ständig ist ein zum Teil wechselnder Intensivpfleger im Haus, ständig die Angst, dass sich der Gesundheitszustand verschlechtert. Das geht an die Substanz.“

Die meisten Bewohner werden künstlich beatmet. Sie brauchen daher eine 24-Stunden-Betreuung.
Die meisten Bewohner werden künstlich beatmet. Sie brauchen daher eine 24-Stunden-Betreuung. © Ute Tolksdorf

Ihre Idee war es damals, jungen Menschen und ihren Angehörigen eine Alternative zu bieten: Eine WG, in der die Intensivpflege für die Krankenkassen günstiger ist als zu Hause - statt einem sind es hier 2 bis 2,5 Patienten pro Pflegefachkraft - die aber trotzdem, anders als die klassische stationäre Versorgung, ein Zuhause bietet, in dem soweit wie möglich ein gemeinsames Leben stattfindet, mit gemeinsamen Aktivitäten und Ausflügen. Doch die Angehörigen nahmen das Angebot nicht an. „Egal wie groß die physische und psychische Belastung ist, es fällt den Eltern unglaublich schwer, Ihre Kinder abzugeben, auch wenn sie 20, 30 oder 40 Jahre alt sind.“

Die Bewohner

Daher sind die fünf Bewohner, die jetzt im Haus Regenbogen leben, zwischen Mitte 40 und Anfang 60. „Da haben wir die Altersgrenze gezogen“, berichtet sie. Nachfragen gab es genug, vor allem von Senioren. 92 war die Älteste. Eigentlich wäre Platz für sieben Bewohner. „Aber uns fehlen die Fachkräfte.“

Alle jetzigen Bewohner sind nicht nur lebensbedrohlich erkrankt und benötigen eine 24-Stunden-Intensivpflege, sie sind auch kognitiv stark eingeschränkt, kommunizieren nur noch über Gesten - nach Schlaganfällen, Hirnbluten, Unfällen, durch Erkrankungen, bei denen Muskeln und Nerven sich zurückbilden, wie ALS.

Ein Ziel ist, die Kommunikationsfähigkeit zu erhöhen. „Und wir haben auch schon Menschen nach Hause entlassen können, weil sie zum Beispiel nicht mehr beatmet werden mussten“, berichtet Annett Heinze. Eine Patientin wechselte erst wieder nach Hause und dann in ein Altenheim. „Dort hatte sie mehr Ansprache. Sie spielte so gern.“ Eine andere ging nach der Dekanülisierung zurück nach Hause. „Solch ein Erfolg macht für mich den Beruf so wertvoll“, betont Annett Heinze. „Auch die entlassene Patientin ist nicht gesund, aber sie kämpft wie eine Wilde, um ihre körperlichen Fähigkeiten zurückzuerhalten.“

Die Angehörigen

Ein Erfolg, der auch den Angehörigen zuzuschreiben sei. Und die haben im Haus Regenbogen einen hohen Stellenwert, wie Barbara Klink bestätigt. Die Brilonerin ist Sprecherin der Angehörigen. Ihr Mann ist 58 Jahre alt und lebt im Haus Regenbogen. Nach mehreren Schlaganfällen und Hirnbluten, muss er künstlich ernährt und abgesaugt werden. Er ist halbseitig gelähmt, kommuniziert über Gesten. Manches lasse sich über die Lippen ablesen.“

Die vorhandenen  Funktionen  werden gefestigt und ausgebaut. 
Die vorhandenen Funktionen werden gefestigt und ausgebaut.  © Ute Tolksdorf

Neun Monate verbrachte ihr Mann in Krankenhäusern und in der Reha, ein halbes Jahr zu Hause. In der Zeit mussten beide Seiten lernen, dass es nicht möglich sein würde, ihn dauerhaft zu Hause zu pflegen. „Solange er einen künstlichen Atemzugang hat, könnte ich ihn nicht so versorgen, wie er das braucht“, sagt Barbara Klink und ihre Stimme bricht am Telefon. „Wir hätten ihn alle gern zu Hause. Aber wir haben keine Wahl.“ Sie ist deshalb froh über das heimatnahe Angebot. „Das nächste Haus, das infrage kam, wäre hinter Kassel gewesen.“

Im Haus Regenbogen fühle sich ihr Mann wohl. „Alle achten darauf, dass die Funktionen, die noch da sind gefestigt und ausgebaut werden.“ Es sei immer jemand da, den man fragen könne. Und wir Angehörigen stützen uns hier auch gegenseitig.“

>>>HINTERGRUND

Im vergangenen Sommer waren Gesundheitsminister Jens Spahn massive Proteste entgegengeschlagen. Er hatte die Intensivpflege in WGs und zu Hause zugunsten der stationären Pflege deutlich einschränken wollen.

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Im Dezember lenkte er ein. Die besonders aufwendige und teure Intensivpflege zu Hause oder in Wohngruppen soll auch weiterhin möglich sein. Die Voraussetzungen sollen im jeweiligen Fall geprüft werden. Gelten soll dies laut neuer Gesetzesbegründung für Menschen, „die trotz Beatmung in der Lage sind, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten“. Wichtig sei das etwa für Patienten, die zur Schule gehen oder arbeiten.

Darunter fallen die Patienten im Haus Regenbogen nicht. Trotzdem rechnet Annett Heinze aktuell nicht damit, dass das Haus im Bestand gefährdet ist. „Aber wir sind weiterhin wachsam.“