Meschede/Warstein. . Es war eines der größten Verbrechen in der Endphase des Krieges in Deutschland: Exekutions-Kommandos ermordeten Zwangsarbeiter bei Meschede.

Im März 1945 - kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges - verübten Angehörige von Waffen-SS und Wehrmacht zwischen Warstein und Meschede im Sauerland eines der größten Verbrechen in der Endphase des Krieges in Deutschland - außerhalb von Konzentrationslagern und Gefängnissen. Exekutions-Kommandos ermordeten an drei Stellen im Arnsberger Wald insgesamt 208 polnische und russische Zwangsarbeiter.

Auf der Grundlage langjähriger Forschungen von Historikern des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) haben LWL-Archäologen 2018 und Anfang 2019 Ausgrabungen an allen drei Tatorten durchgeführt. Die Funde zeugen nicht nur von den letzten Stunden im Leben der Ermordeten, sondern geben auch Aufschlüsse über den Ablauf der grausamen Taten. Die Forschungsergebnisse hat der LWL jetzt in Warstein vorgestellt.

400 Funde ausgegraben

Insgesamt haben die Fachleute über 400 Funde ausgegraben und in Verbindung mit den historischen Akten den Tathergang rekonstruiert, der an den drei Plätzen ganz unterschiedlich verlief. Die meisten Funde stammen vom Tatort der ersten Mordaktion, dem Langenbachtal bei Warstein. Unter einem Vorwand wurden Zwangsarbeiterinnen in den Wald gebracht. Dort mussten sie ihre Habseligkeiten und Kleidung am Straßenrand ablegen.

Man wollte sie vermutlich glauben machen, sie könnten ihre Sachen wieder abholen, bevor es zurück in die versprochene neue Unterkunft ginge. Tatsächlich sollte die Kleidung der 71 Toten (60 Frauen, zehn Männer und ein Kind) später an Bedürftige des Orts weiterverteilt werden. Das Geld der Opfer raubte die Einheit für ihre Divisionskasse.

Erschießungskommandos

Die Reste dieser persönlichen Besitztümer, die von den Erschießungskommandos nicht mitgenommen wurden, entdeckten die Archäologen in der Erde verscharrt. Darunter finden sich ein Gebets- und ein Wörterbuch auf Polnisch, Schuhe und Teile der Kleidung wie bunte Knöpfe und Perlen zum Aufnähen. Das Fundgut enthält aber auch Gebrauchsgegenstände wie Geschirr und Besteck. Das, was den Opfern vor der Erschießung abgenommen wurde, war zu dem Zeitpunkt ihr einziger verbliebener Besitz.

Die Forscher stießen auch auf die Spuren der Täter. Die gefundenen Patronenhülsen belegen, dass die Zwangsarbeiterinnen bis zu einer Bachböschung geführt und dort erschossen wurden. Einige Projektile fanden sich jedoch auch weit verstreut im umliegenden Wald, was bedeutet, dass manche der Zwangsarbeiterinnen offenbar zu fliehen versuchten und verfolgt wurden. Die Mörder ließen auch Schaufeln zurück, mit denen sie Leichen und Habseligkeiten vergraben hatten.

Teile einer Mundharmonika

An den anderen Erschießungsplätzen bei Warstein-Suttrop (Waldgemarkung „Im Stein“) und Meschede-Eversberg konnten die Archäologen weniger Funde bergen. Die Mörder hatten ihre Taten hier genauer vorbereitet und so weniger Spuren hinterlassen.

Dennoch blieben auch in Eversberg zirka 50 Objekte liegen, die vom Alltag der Zwangsarbeiter zeugen. Angesichts deren katastrophalen Lebensbedingungen wirken manche Funde überraschend wie Teile einer Mundharmonika. Ein Brillenetui und ein Kamm stehen als zusammengehörige Habe schlaglichtartig für den kleinsten Besitz der Zwangsarbeiter.

In Eversberg sprengte die Einheit mit Granaten eine Grube in den harten Boden, in der sie die 80 Opfer erschoss. Auch dieses Verbrechen spiegelt sich in den archäologischen Funden in Form eines Gewehrteils und zahlreicher Munition.

Standort der Erschießungen

Die Fundsituation am dritten Tatort in Warstein-Suttrop ist ähnlich. Zahlreiche Projektile lassen auch hier den genauen Standort der Erschießungen erkennen. Anstatt erneut eine Grube anzulegen, wurden die Arbeiter gezwungen, einen vermutlich zickzackförmigen Schützengraben auszuheben - in dem die Mörder später die 57 Leichen vergruben. Die Alliierten ließen die Toten kurze Zeit später exhumieren, aufreihen und versammelten die Bevölkerung vor Ort. Zeitgenössische Filmaufnahmen geben einen ungefähren Anhaltspunkt für die Stelle der Aufbahrung.

Die archäologische Grabung konnte diesen Platz anhand vieler Kleinfunde genau identifizieren. Darunter sind vor allem sowjetische Münzen. Auch ein Löffel verweist wegen seiner Prägung auf die Herkunft der Ermordeten aus der Sowjetunion. Männer der SS und Wehrmacht hatten diese für sie nutzlosen Objekte nicht eingesammelt. Für die Zwangsarbeiter dagegen stellten diese Stücke wahrscheinlich wertvolle Erinnerungen an ihre Heimat dar.

Neugestaltung des Mescheder Friedhofs „Fulmecke“

„Die Ergebnisse“, so der LWL-Historiker Dr. Marcus Weidner, „sollen nicht nur die Ereignisse und die Aufarbeitung durch die Justiz nach 1945 dokumentieren, sondern sollen auch für erinnerungskulturelle Projekte eingesetzt werden, etwa der Neugestaltung des Mescheder Friedhofs „Fulmecke“, auf dem die Mordopfer heute ruhen.“

Ziel könne sein, die Orte, die im Zusammenhang mit den Mordaktionen stehen, durch Tafeln zu kennzeichnen und im Rahmen eines „Erinnerungspfads“ als zusammenhängende Orte der Zeitgeschichte erfahrbar zu machen. Weidner: „Dies jedoch setzte voraus, die Tatorte mit Unterstützung der Archäologie zu verifizieren und die dort vermuteten Hinterlassenschaften der Opfer für die Nachwelt zu bergen.“

NS-Tatorte in Deutschland

„Begehungen mit Metallsonden und die daran anschließenden archäologischen Ausgrabungen erbrachten nicht nur weiterführende Erkenntnisse zu den Tatorten mit einer Vielzahl an Funden“, so der LWL-Archäologe Dr. Manuel Zeiler. „Diese interdisziplinären und systematischen Forschungen sind bislang bei NS-Tatorten in Deutschland einzigartig.“

„Der LWL nimmt mit seinen Forschungen ganz bewusst eine gesellschaftliche Verantwortung an“, betonte LWL-Direktor Matthias Löb. Nach über 70 Jahren gelinge es, dieses Verbrechen des Nationalsozialismus in der Endphase des Zweiten Weltkriegs in Deutschland weiter aufzuhellen.

Leugnung der Verbrechen

Die Forschungsergebnisse seien darüber hinaus substantiell für eine Erinnerungskultur. „Wir erleben seit einigen Jahren die Verharmlosung und zunehmende Leugnung der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur. Gerade aber die Mordaktionen sind beispielhaft für diesen Bestandteil unserer Geschichte, dem wir uns stellen müssen“, sagte der LWL-Direktor.

„Die Forschungen, die Wissenschaftler hier leisten, verdanken ihren Erfolg einer engen Kooperation verschiedener Einrichtungen des LWL“, so Löb weiter. „Das wäre jedoch nicht möglich gewesen ohne das große Engagement vieler ehrenamtlicher Bürger.“

Dank an Warstein und Meschede

Löb dankte den Städten Warstein und Meschede für ihre Kooperationsbereitschaft. „Wir begrüßen sehr, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus, die vor fast 75 Jahren hier bei uns im Sauerland geschehen sind, weiter aufgeklärt werden“, bestätigte Dr. Thomas Schöne, Bürgermeister der Stadt Warstein, und ergänzte: „Wir stellen uns gezielt der heutigen Verantwortung, dass so etwas unfassbar Schreckliches nie wieder passiert.“

Die Opfer liegen seit 1947 bzw. 1964 auf dem Waldfriedhof „Fulmecke“ in Meschede. „Die aktuellen Untersuchungen bilden eine wichtige Grundlage, um die Neugestaltung des Friedhofs planen zu können“, erklärte Christoph Weber, Bürgermeister der Stadt Meschede.

14 Namen ausfindig gemacht

Nur wenige Namen der Mordopfer von März 1945 sind bekannt. Im Rahmen der noch nicht abgeschlossenen Forschungen im In- und Ausland ist es nach Auskunft von Weidner gelungen, bislang 14 Namen ausfindig zu machen und den anonym bestatteten Opfern eine Identität zu geben. Die Arbeit eröffne die Chance, Kontakt zu ihren Nachfahren aufzunehmen.

„An einem Ort wie diesem wird deutlich, wie nah uns unsere Geschichte noch ist“, erklärte der Russlandbeauftragte der Bundesregierung Dirk Wiese. „Das muss uns gerade in unseren Beziehungen zu den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bewusst sein. Die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen berührt dort oft unmittelbar die Familiengeschichten. Kinder und Enkelkinder haben ein Recht darauf, zu erfahren, warum Familienmitglieder nicht aus Deutschland zurückkehrten.“

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Zwischen dem 20. und 23. März 1945 - kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs - verübte die „Division zur Vergeltung“, die aus Angehörigen von Waffen-SS und Wehrmacht bestand, zwischen Warstein und Meschede im Sauerland eines der größten Verbrechen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges in Deutschland außerhalb von Konzentrationslagern und Gefängnissen.

Hans Kammler, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, ließ an drei Stellen im Arnsberger Wald 208 polnische und sowjetische Zwangsarbeiter ermorden. Bei Eversberg erschoss und verscharrte das Exekutionskommando auf einer Wiese 80 Zwangsarbeiter.

Im Langenbachtal bei Warstein wurden weitere 71 Menschen umgebracht. In der Waldgemarkung „Im Stein“ bei Suttrop erschoss ein Kommando 57 Zwangsarbeiter. Seit 2015 erforscht der Historiker Dr. Marcus Weidner vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte auch in ausländischen Archiven die Hintergründe der Verbrechen.

Die Erschießungen auf der Eversberger Kuhweide blieb zunächst geheim. Im November 1946 erhielt die englische Militärbehörde einen anonymen Hinweis. Die Toten wurden unter Aufsicht der Alliierten Ende März 1947 exhumiert und auf dem Waldfriedhof „Fulmecke“ in Meschede beigesetzt.

Von den Morden bei Suttrop und Warstein hatten die amerikanischen Truppen schon kurz nach der Befreiung erfahren. Der US-Kommandant befahl daraufhin ehemaligen NSDAP-Mitgliedern aus beiden Orten, die Leichen zu exhumieren. Die gesamte Bevölkerung einschließlich der Kinder musste an den Toten vorbeiziehen. Danach wurden die Leichen wiederum von den ehemaligen „Parteigenossen“ nahe der Erschießungsstellen bestattet. Um das Verbrechen für die Nachwelt zu dokumentieren, fotografierten und filmten die Amerikaner den gesamten Vorgang.

Im Jahr 1964 bettete man die ermordeten Zwangsarbeiter aus Suttrop und Warstein auf den Waldfriedhof „Fulmecke“ in Meschede um - bis auf sieben Leichen, die man in Suttrop nicht mehr finden konnte. Hierbei konnten, wie schon 1947, einige Leichen durch den Umbetter anhand ihrer Papiere identifiziert werden, dennoch setzte man diese - ungeachtet gesetzlicher Regelungen - am neuen Grabort anonym bei. Irreführende Inschriften auf den Erinnerungssteinen verschleierten den Bezug zur Mordtat.

Auf dem Waldfriedhof „Fulmecke“ wurden bereits im Ersten Weltkrieg vor allem Franzosen, Italiener und Belgier aus dem nahegelegenen Gefangenenlager, in dem neben Kriegsgefangenen auch Zwangsarbeiter untergebracht waren, beerdigt. Die Kriegsgräberstätte hieß in der Bevölkerung „Franzosenfriedhof“. Die meisten Toten wurden später exhumiert und in die jeweiligen Heimatorte überführt. Während des Zweiten Weltkriegs diente der Friedhof auch als Begräbnisstätte für die in Meschede verstorbenen Zwangsarbeiter, die die katastrophalen Arbeitsbedingungen nicht überlebten.

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