Fröndenberg/Menden. . In der Nacht des 26. Mai 1957 steckte der Tuberkulose-Patient Erwin D. im Evangelischen Krankernhaus zwei Krankenbetten in Brand. Zuvor war er bereits als Querulant aufgefallen, der die Schwesternschaft terrorisierte. Nach der Tat stand die Frage im Raum: Ist D. geisteskrank?

Was war er denn nun: Gemeingefährlich? Ein Irrrsinniger? Ein Querulant? War er jemand, der hätte in eine Nerven-Heilanstalt eingewiesen werden müssen? Oder waren die Vorschriften nicht ausreichend? Ärzte und Behörden schoben die Verantwortung hin und her. Der 57 Jahre alte Erwin D. aus Ahaus hat das Evangelische Krankenhaus in Fröndenberg im Mai 1957 an den Rand einer Katastrophe und die 70 Patienten in höchste Lebensgefahr gebracht, als er nachts – gewollt oder nicht – sein Bett in Brand setzte. Erwin D. war an offener Tuberkulose erkrankt und isoliert auf der Tbc-Station untergebracht.

Es war zwischen zwei und drei Uhr in der Nacht zum Sonntag, 26. Mai 1957, als die Nachtschwester ihren Rundgang durch das Krankenhaus machte. In der 2. Etage stutzte sie. Brandgeruch. Er kam unter der Tür eines der Tbc-Zimmer in der 2. Etage her. Dichter Rauch schlug der Schwester entgegen, als sie die Tür öffnete. Voller Entsetzen sah sie, dass beide Krankenbetten in Flammen standen. Doch der einzige Patient auf dem Zimmer war nicht zu sehen.

Hastig versuchte sie, mit einem Handlöschgerät die Flammen in den Betten zu ersticken. Wenigstens so weit, dass sie in den Raum vordringen konnte. Da erst sah sie den Patienten Erwin D. Er war auf der Flucht vor dem Flammentod bereits nach draußen auf die Fensterbrüstung geklettert. Das beherzte Eingreifen der Schwester rettete ihm das Leben.

70 Patienten gerettet, Maria in höchster Not

Nächtlicher Großalarm für die Feuerwehren. In Fröndenberg und Menden heulten die Sirenen. Mit an vorderster Front neben der Ruhrstadt und aus Unna kämpfte die Feuerwehr aus Menden. Als die Blauröcke mit drei Ausfall-Leitern dem Feuer zu Leibe rückten, stand der Dachstuhl schon in hellen Flammen. Zeitgleich begannen Ärzte, Schwestern und Pflegepersonal mit der hastigen Evakuierung der 70 Patienten, mühte sich die Wehr, auch durch das Treppenhaus an das Feuer heranzukommen. Ein gespenstisches Miteinander unter Schweinwerfern: Hier die Feuerwehr, die Schläuche durch das Treppenhaus verlegte, dort der Transport von Patienten von den Stationen nach draußen. Umgehend wurden sie in benachbarte Krankenhäuser verlegt.

Während vorrangig die 20 Patienten von der Station, auf der der Brand ausgebrochen war, gerettet wurden, wäre es für die Hausangestellte Maria fast zu spät gewesen. Auf dem Dachboden über dem 2. Stock gab es noch drei kleine Zimmer, in denen zwei Schwestern und Maria ihre Schlafstellen hatten. Auf dem mit Brettern ausgebauten und mit Schiefer gedeckten Dachgeschoss war auch altes Mobiliar des Krankenhauses abgestellt. Die beiden Schwestern befanden sich zum Glück nicht auf ihren Zimmern, als sich das Feuer nach oben durchfraß. Nur Maria. Und die schlief tief und fest.

Schwester Oberin raste voller Entsetzen auf den Dachboden, rüttelte an Marias Tür: „Aufstehen. Es brennt!“ Maria antwortete zwar… und schlief doch wieder ein. Erneut eilte die Schwester die Treppen hoch, pochte gegen die Tür. Alles war schon voller Qualm. Diesmal stolperte Maria aus der Tür, hatte schon viel Rauch geschluckt. Erleichtert bekannte sie später: „Ich verdanke der Oberin mein Leben!“

Ein Querulant oder doch geisteskrank

Gegen 7 Uhr am Sonntagmorgen war der Brand unter Kontrolle. Der größte Teil des Dachstuhls mitsamt Isolierstation war vernichtet. Löschwasser sorgte für großen Schaden im Haus, u.a. an den im Obergeschoss untergebrachten Röntgengeräten. Das evangelische Krankenhaus musste mehrere Monate seine Tätigkeit einstellen. Der Schaden lag bei insgesamt nahezu 200 000 DM.

Noch in der Brandnacht nahm die Kriminalpolizei Unna zusammen mit der Hauptstelle Dortmund die Ermittlungen auf. Es gab keinen Zweifel, dass Erwin D. das Feuer verursacht hatte. Im Zuge der Ermittlungen kam heraus, dass Erwin D. die Schwesternschaft des Krankenhauses „unglaublich terrorisiert“ hatte. Nach einer Kur war er nach Fröndenberg verlegt worden, weil es dort eine Isolierstation gab. Er entwickelte sich zum „üblen Querulanten“, belästigte Schwestern und andere Patienten andauernd, beschimpfte sie und titulierte sie als „Sie verdammtes Frauenzimmer“ oder „Alte Hexe“. Eine Schwester berichtete, er habe sie und ihre Mitschwestern geohrfeigt und ihnen ins Gesicht gespuckt, wenn sie das Zimmer betraten. Oder er klingelte sie nachts 21-mal raus. Eine andere Schwester wies Kratzspuren an den Armen auf. Er befolgte keinerlei Anweisungen, marschierte sogar trotz offener Tuberkulose durch alle Stationen des Krankenhauses.

Polizeiwache war nachts unbesetzt 

Einhellig die Meinung aller: Erwin D. gehörte in eine Heilanstalt. Bei der Befragung durch die Polizei gab er zu, eine Zigarette geraucht und ein brennendes Streichholz ins Bett geworfen zu haben. Obwohl Erwin D. ein wenig abwesend gewirkt haben soll, schloss die Kripo nicht aus, dass er das Feuer mit Absicht gelegt habe, um nicht länger im Krankenhaus bleiben zu müssen.

Es muss dramatisch zugegangen sein in jener Nacht. Verzweifelt hatte Oberschwester Elli Hohmann versucht, eine telefonische Verbindung zur Polizei zu bekommen. Vergeblich. Anrufe endeten in der unbesetzten Fröndenberger Polizeiwache. Die Durchschaltung in die Wohnung eines Polizeibeamten war zwar in Arbeit, aber wider Erwarten noch nicht installiert. Es gab zwar weitere Telefonnummern, u.a. nach Unna und Menden, aber die waren den Schwestern nicht bekannt. Grund: Im Krankenhaus fehlte ein Alarmplan.

Alle Gutachten reichten nicht aus

Lange war ungeklärt, wer denn nun zuständig war für eine Beurteilung des Patienten und für entsprechende Konsequenzen. Der Chefarzt des Krankenhauses fertigte ein Gutachten an, auch das Gesundheitsamt untersuchte ihn. Einmütige Einschätzung: Erwin D. war affektiv-labil und gemeingefährlich. Es bestehe Verdacht auf eine Geisteskrankheit. Unterbringung in einer Heilanstalt und weitere Untersuchungen wurden für erforderlich gehalten. Nach der damals gültigen Gesetzeslage war das Amtsgericht für eine Einweisung zuständig, nicht die Medizin. Das Gericht entschied nicht, weil ihm die Begründung nicht ausreichte. Das Ordnungsamt konnte nicht handeln, nur beantragen. Die Ärzte hatten zwar Erkenntnisse, aber ihnen waren die Hände gebunden. Das Gesetz für die Unterbringung von Geisteskranken in Heilanstalten erwies sich als dringend reformbedürftig.

Aus allen Schreiben, die hin und her geschickt wurden zwischen den Behörden, geht Rechtsunsicherheit hervor. Das Ordnungsamt hatte vom Verdacht geistiger Abartigkeit geschrieben und damit den Antrag auf eine vorübergehende Unterbringung in einer Heilanstalt begründet. Erwin D. selbst hielt sich nicht für geisteskrank und berief sich auf etliche fachärztliche Gutachten andernorts.

Dem Gericht war ein Zusammenhang zwischen der Brandstiftung und einer möglichen Geisteskrankheit mit Unterbringung in einer Heilanstalt nicht zwingend. Die Beweislage bzw. die Begründung der Medizin erschien nicht ausreichend. Das Gericht ließ also die Entscheidung offen. Entsprechend wurde Erwin D. wegen fahrlässiger Brandstiftung in Untersuchungshaft genommen und nicht etwa in eine Heilanstalt eingewiesen. Ihm sollte der Prozess gemacht werden.

Sieben Wochen später in der Halft gestorben

Die umfangreiche Akte D. musste dennoch nur wenige Wochen später unerledigt geschlossen werden. Er konnte als Untersuchungsgefangener mit einer schweren, offenen Lungentuberkulose zwar nicht in irgendein Untersuchungsgefängnis eingewiesen werden. Er kam aber in ein TB-Krankenhaus für Strafgefangene, das zum Lager Staumühle bei Paderborn gehörte, und sollte dort auf sein Gerichtsverfahren warten, für das die Staatsanwaltschaft Dortmund die Ermittlungen geführt hatte. Es gab sogar einen Haftprüfungstermin, doch Erwin D. blieb in Haft. Am 19. Juli 1957 meldeten die Gazetten: „Brandstifter D. ist tot“. Er war sieben Wochen nach dem Brand im Krankenhaus in der Untersuchungshaft gestorben. Das Evangelische Krankenhaus Fröndenberg am Sodenkamp gibt es seit den 1970er Jahren auch nicht mehr. Das Gebäude wurde 1980 abgerissen.