Menden. Von kleinen Holzpuppen über Hetze im Web bis zu widerlichen Ausfällen im Mendener Karneval: Texte berühren bei der Jugendkreuztracht.
Ein bewegender Einstieg in die Kartage und das Osterfest: Für viele Mendener und auswärtige Besucher ist diese Zeit ohne eine Gang „über den Berg“ nicht vorstellbar. Auch am Gründonnerstag zum Auftakt dieser jahrhundertealten Tradition zog die Jugendkreuztracht wieder mehrere Tausend Besucher an. Trocken blieb das Wetter glücklicherweise, aber auch frisch und windig. Die Stimmung war besonders wie eh und je, bis hin zum perfekten Timing: Die ersten sanften Klänge kamen gerade aus den Boxen, als der Schlag der Glocke um 21 Uhr den Startpunkt setzte und die beiden von Gewand und Perücke verhüllten Kreuzträger als Jesus und Simon von Cyrene wenige Sekunden später durch das Portal die Vincenzkirche verließen.
Schülerinnen des Placida-Viel-Berufskollegs hatten die Vorbereitung der Kreuztracht zuvor eingesprochen. Und auf deren Texte und Musikauswahl waren sicher auch vieler der Besucher gespannt. Die 15 jungen Frauen verbanden die Leidensgeschichte Jesu nachvollziehbar und berührend mit aktuellen Ereignissen wie Hass, Hetze und Mobbing im Internet gegen Minderheiten und Schwächere, wobei sie aus sozialen Medien zitierten.
Kein Platz für Rechtsextremismus
Erwähnung fanden aber auch die Berichte der Westfalenpost im Nachgang des Mendener Zeltkarnevals, wo es bei dem Song „L‘amour toujours“ zu rechtsextremen Ausfällen gekommen sein soll. Außerdem spielten die Geschichten von den Wemmicks eine wichtige Rolle, kleine Holzfiguren, die von Menschlichkeit erzählen, und davon, worum es wirklich geht im Leben. Einer von vielen Sätzen und Impulsen, die hängen bleiben aus dieser Jugendkreuztracht: „Lasst uns den Wert der Menschlichkeit über den Wert der Leistung stellen!“
Stimmungsvoll passte sich auch die Musikauswahl in diese bewegende Kreuztracht-Stunde ein, griff Texte auf, führte Gedanken weiter: „Ist da jemand“ von Adel Tawil oder „True colors“ von Cindy Lauper: Welche Songs besonders berührten und im Kopf bleiben, mag dann auch mit dem eigenen Empfinden und Geschmack des Zuhörers verbunden sein – etwa „Fix you“ von Coldplay beim Weg bergab von der Antoniuskapelle mit Gelegenheit, den eigenen Gedanken nachzuhängen, über die nur noch von Handytaschenlampen erleuchteten Fußwege.
Was die Jugendkreuztracht ganz besonders macht: Kaum irgendwo können so viele Menschen an einem Ort so still sein. Wenn nötig, dann flüstert man höchstens. Besucherzahlen sind freilich schwer zu schätzen. Als der Kreuzträger vorweg mit den gut 20 Fackelträgern am Fußball in der Bittfahrt, Ecke Am Stein oberhalb vom Krankenhaus Station machte, konnte die Polizei unten gerade wieder den Ostwall freigeben. Auf der anderen Seite des Berges endete die Kreuztracht mit zusammengetragenen Bibelversen, die erzählten wie sehr Jesus und Gott die Menschen lieben. Mit ausklingender Musik zerstreuten sich die sicher mehrere Tausend Teilnehmer in alle Himmelsrichtungen, bevor dann wie üblich zwei Nächte und ein ganzer Tag voller weiterer Prozessionen sich anschlossen.