Menden/Iserlohn. Die Mendenerin Merle Schümann-Basse leitet das Frauenhaus Iserlohn. Thema häusliche Gewalt wird immer noch tabuisiert, weiß sie aus ihrer Arbeit.
Sie ist 27 Jahre jung und seit Anfang Dezember die neue Leitung des Frauenhauses in Iserlohn. Merle Schümann-Basse tritt die Nachfolge von Anna Müller an, die die Geschicke der Einrichtung 16 Jahre geleitet hat. Die neue Leiterin ist aber keine Unbekannte in der Trägerschaft der AWO, denn sie arbeitet bereits seit zwei Jahren dort als Respekt-Coach. Bereits während ihres Psychologiestudiums an der DHGS in Unna, unterstützte die gebürtige Mendenerin, die immer noch in ihrer Heimatstadt lebt, sieben Jahre lang das Team der Jugendbildungsstätte Kluse.
Wie groß ist der Respekt, den Sie vor der neuen, sehr verantwortungsvollen Aufgabe haben?
Die bürokratischen Aufgaben und Hürden, die die Funktion der Leitung des Frauenhauses mitbringen, sind sehr groß und arbeitsintensiv, machen mir aber keine Angst, weil um mich herum ein tolles Team ist, auf das ich mich jederzeit verlassen kann. Außerdem wurde ich in den letzten zwei Monaten von meiner Vorgängerin sehr gut eingewiesen.
Wie viele Plätze bietet Ihre Einrichtung und was bieten Sie den Hilfe suchenden Frauen?
Unser Haus verfügt über acht Plätze für Frauen und zwölf Kinderplätze. Wir bieten psychosoziale Beratung, helfen bei Behördengängen oder Anwaltssuche. Aber zuallererst bieten wir unseren Klientinnen Schutz, Sicherheit und vor allen Dingen etwas Ruhe, um Abstand zu den Ereignissen gewinnen zu können. Später kümmern wir uns darum, dass die Frauen autonom werden, das bedeutet, zum Beispiel ein eigenes Konto zu haben oder eine Wohnung zu finden.
Kann eine Frau in Not jederzeit zu Ihnen ins Frauenhaus kommen und um Hilfe bitten und besteht dann auch die Möglichkeit für sie, direkt dort unterzukommen?
Das funktioniert so nicht, denn unsere Adresse ist anonym. Erst einmal möchte ich erklären, dass es viele Möglichkeiten gibt, durch die wir kontaktiert werden. Zum einen ist es durch die Polizei, die zu einem Einsatz von häuslicher Gewalt gerufen wurde und uns Meldung in Iserlohn gibt, zum anderen wenden sich, wenn nötig, Jugendämter an uns. Nach einer Meldung findet eine Gewaltschutzberatung für die betroffene Frau statt. Für Frauen in Not besteht rund um die Uhr die Möglichkeit, eine Mitarbeiterin von uns zu erreichen. Selten ist jedoch ein Platz bei uns spontan frei, aber wir beraten, welche Möglichkeiten außerdem bestehen und machen uns auf die Suche nach einem freien Platz in einer anderen Einrichtung. Dafür gibt es eine Internetseite frauen-info-netz.de, auf der ersichtlich ist, welche Frauenhäuser einen Platz freihaben.
Ist häusliche Gewalt ein Problem einer bestimmten sozialen Schicht?
Nein, häusliche Gewalt finden wir in allen Schichten, was früher als Privatsache galt, ist heute zum Glück auch durch Gesetzesänderungen aufgebrochen. Dennoch wird das Thema häusliche Gewalt immer noch tabuisiert. Auch klassische Mittelstandsfamilien sind betroffen. Frauen, die sich aus diesen Beziehungen lösen, kommen selten in unser Frauenhaus. Häufig verfügen sie über ein soziales Netz, das ihnen Unterschlupf und Hilfe bietet.
Frauenhaus Iserlohn
Das AWO Frauenhaus ist Tag und Nacht erreichbar unter Tel. 02373-12585 oder Mail:frauenhaus@awao-ha-mk.de , Beratungszeiten sind: Montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr und Freitags von 8 bis 12.30 Uhr
Der Förderverein Frauenhaus Iserlohn e.V. unterstützt die Einrichtung und freut sich über Spenden auf das Konto mit der IBAN-Nr. DE3344 5500 4500 1807 1357 bei der Sparkasse Iserlohn
Wie alt sind die Frauen im Durchschnitt, die bei Ihnen Schutz suchen?
Wir haben Frauen unterschiedlichen Alters bei uns. Allerdings ist ein Großteil der Frauen zwischen 31 und 40 Jahre alt. Auch viele junge Frauen zwischen 19 und 25 Jahren sind unter den Bewohnerinnen.
Sind es ausschließlich Frauen aus dem Märkischen Kreis, die bei Ihnen untergebracht werden?
Nein, auf gar keinen Fall. Viele Frauen kommen von weit her, um sich zu schützen. Digitale Digits ermöglichen heute eine fast komplette Überwachung, dazu zählen Ortungsapps, die auf den Handys der Frauen installiert sind, ohne deren Wissen. Handys müssen aus diesem Grund auf dem Weg zu uns ausgeschaltet werden. Auch werden Frauen zum Teil gesucht, um sie „zurückzuholen“. Deshalb ist eine größere Entfernung von zu Hause oft von Vorteil.
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Kommt es vor, dass die Männer der Frauen den Aufenthaltsort erfahren und dann nach ihren Frauen suchen?
Ja, leider! Wie bereits erklärt, können Männer und Familien den Aufenthaltsort herausfinden und versuchen, Kontakt aufzunehmen. Wir informieren in diesen Fällen die Behörden. Damit die Sicherheit der betroffenen Frauen und Kinder gewährleistet wird, bekommen diese einen Platz in einem anderen Frauenhaus. Die schlimmen Erfahrungen der vergangenen Jahre lassen keine andere Möglichkeit zu. Denken wir allein an den Femizid vor zweieinhalb Jahren, der sich am Iserlohner Bahnhof ereignete.
Wie lange bleiben Sie im Durchschnitt bei Ihnen und was passiert dann?
Immer wieder entscheiden sich Frauen bereits nach kurzer Zeit, wieder nach Hause zurückzugehen, ein großer Teil jedoch beginnt mit unserer Unterstützung nach der Zeit im Frauenhaus ein autonomes Leben in einer eigenen Wohnung. Das bedeutet aber längst nicht, dass die Arbeit für uns dort endet. Es kommt vor, dass die Frauen sich, auch Jahre nach dem Auszug, bei Fragen und Behördengängen an uns wenden.
Gelingt es Ihnen immer, nach der Arbeit abzuschalten, oder nehmen Sie die belastenden Geschichten der Frauen mit nach Hause? Was oder wer hilft Ihnen dann dabei, den Kopf freizubekommen?
Grundsätzlich ja, ab und zu jedoch gibt es Momente, in denen mich das Schicksal der Frauen und Kinder auch in meiner Freizeit einfängt. Aber dann ist da ja noch mein eigenes Leben, mein Partner, die Familie und Freunde, mit denen ich meine Zeit genieße. Und wenn ich Zeit für mich ganz alleine haben möchte, dann setzte ich mich vor meine Nähmaschine, denn Nähen ist eines meiner Hobbys, ich mag es, kreativ zu sein.
Gibt es einen Schutz vor häuslicher Gewalt und was raten Sie den Betroffenen?
Jedem kann häusliche Gewalt widerfahren. Ich möchte nur ganz klarstellen, dass sich die Opfer niemals schuldig fühlen dürfen, denn nichts rechtfertigt die Ausübung von Gewalt, egal in welcher Form. Ich rate allen Betroffenen „Trauen Sie sich und holen sich Hilfe“, bei uns oder bei anderen Anlaufstellen.