Menden. Ein Mendener soll Bier geklaut haben. Die Polizei bringt ihn ins Gericht – mit Handschellen. Denn der Diebstahl ist nicht sein einziges Problem.
Es ist ein Prozess, der alle Beteiligten irgendwie unzufrieden zurücklässt. Eigentlich geht es um den Diebstahl von sechs Dosen Mischbier. Trotzdem steht eine mehrjährige Freiheitsstrafe im Raum und der Angeklagte verlässt den Gerichtssaal in Handschellen. Viele Fragen bleiben offen am Dienstagmorgen vor dem Mendener Amtsgericht. Richter Martin Jung wirkt frustriert, als er nach knapp zwei Stunden sagt: „Dann bin ich heute geplatzt.“ Natürlich meint er nicht sich selbst, sondern den Prozess. Aber von vorn.
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Rückblende: Es ist der 8. September 2022. Der Angeklagte betritt einen Supermarkt in der Mendener Innenstadt. Er trägt einen Rucksack auf dem Rücken – und steckt sechs Dosen Mischbier hinein. Mit der Beute im Sack passiert er den Kassenbereich und geht raus. Was er nicht ahnt: Ein Detektiv hat ihn im Blick und spricht ihn an. Der Angeklagte flüchtet, der Detektiv folgt ihm und packt den Rucksack. Der Angeklagte schleudert daraufhin den Rucksack samt Inhalt an den Kopf des Detektives, „um sich im Besitz der Tatbeute zu halten und fliehen zu können“. Die Folge: Der Detektiv hat eine Schürfwunde. So soll es sich aus Sicht der Staatsanwältin laut Anklageschrift dargestellt haben.
Gefährliche Körperverletzung oder schwerer räuberischer Diebstahl?
Angeklagt sind der Diebstahl und eine gefährliche Körperverletzung. Verhandelt wird vor dem Schöffengericht im Amtsgericht unter Leitung von Richter Martin Jung, denn bei einer gefährlichen Körperverletzung geht es um eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen wird so ein Delikt mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Aber damit nicht genug. Direkt zu Beginn der Verhandlung gibt es von Seiten der Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Hinweis, dass es sich bei der Tat auch um einen schweren räuberischen Diebstahl handeln könnte. Dann könnte die Strafe deutlich höher ausfallen.
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Bei einem schweren Raub ginge es um mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe, in minder schweren Fällen von einem Jahr bis zu zehn Jahren. So oder so: Ein schwerer Raub wäre dann ein Fall für das Landgericht. Da das Opfer jedoch „nur“ eine Schürfwunde davongetragen hat, verzichtet sie auf einen entsprechenden Antrag auf Übertragung ans nächsthöhere Gericht. Nach kurzer Beratung stimmen dem auch Richter und Schöffen zu. Verhandelt wird also vor dem Amtsgericht. Hürden gibt es trotzdem.
Haftbefehle liegen vor – rund 100 Tage Haft
Zum Prozessstart um 8.30 Uhr ist der Angeklagte nicht da. Nach angemessener Wartezeit und entsprechenden Absprachen wird entschieden, dass der vielfältig insbesondere wegen Diebstahlstaten, Trunkenheitsdelikten und Körperverletzungsdelikten aufgefallene hafterfahrene Mendener vorgeführt wird. Rund eine Stunde später ist er da. Polizisten bringen ihn in Handschellen in den Raum. Verwunderung. Ein Polizist stellt klar, wieso der Mann gefesselt ist. Seit einem Dreivierteljahr sei die Behörde hinter ihm her, denn zwei Haftbefehle stehen aus. Es geht um rund 100 Tage Haft. So oder so wird er den Saal nicht ohne weiteres verlassen.
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Er selbst will sich zur Tat äußern. Der Rucksack, so sagt er, gehöre ihm nicht. Er habe mit zwei anderen Männern auf einer Bank gesessen, als einer der Männer ihn gefragt habe, ob er auf den Rucksack aufpassen könne. „Ich habe das Bier nicht geklaut“, sagt er. Es sei bereits im Rucksack gewesen. Weggelaufen sei er nur, weil er in dem Supermarkt eigentlich Hausverbot habe. Der Detektiv habe ihn am Rucksack gepackt, beide seien gefallen. Geschlagen habe er nicht. „Ich wollte den Rucksack zurückziehen“, sagt er. Dabei sei der Detektiv gefallen und habe die Tasche an den Kopf bekommen. Er sei dann weggegangen. Mit den Dosen, sagt der Mann auf Nachfrage von Richter Jung, habe er nichts zu tun. „Aha“, sagt Jung und blättert durch seine Akten.
Wichtiges Beweismittel fehlt – weitere Ermittlungen nötig
Schnell wird klar, dass ein wichtiges Beweismittel fehlt – das Überwachungsvideo. Die Polizei habe es nicht. Der Supermarkt sei seinerzeit angewiesen worden, das Material zu sichern. Die Kripo, erklärt ein geladener Polizist, müsse das Video dann anfragen und sichten. Ob das passiert ist, ist am Dienstagmorgen unklar. Klar ist nur: Es ist nicht da. „Wir haben nicht mal das Überwachungsvideo“, sagt Richter Martin Jung kopfschüttelnd. Auch der Hauptzeuge, der Geschädigte, sei nicht erschienen. „Es ist immer wieder spannend, wie in Strafverfahren ermittelt wird“, sagt Jung. Immerhin, erklärt er weiter, hätten schließlich mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe im Raum gestanden. Die Konsequenz ist die Aussetzung des Verfahrens. „Wenigstens haben wir mit dem Hauptverfahren der Strafverfolgung geholfen.“ Der Angeklagte kommt nun zunächst für rund 100 Tage in Haft. „In dieser Zeit können wir hoffentlich weitermachen“, so Jung. Im Sommerloch gehe es eben nicht so schnell, wie er es gerne hätte.