Menden. Die klassischen Rollenbilder in Familien sind im Wandel. Wie die Familienlotsinnen werdenden Eltern helfen – und warum das wichtig ist.
Paulchen fläzt sich in seinen Hochsitz, in der gemütlichen Spielecke gibt’s fast alles, was das (Klein-)Kinderherz begehrt. Die Mendener FamilienlotsinnenAnja Kardell und Heike Möller haben sich gut ein halbes Jahr nach ihrem Umzug vom Bürgerhaus an den Kirchplatz eingerichtet. Wie das Familienbüro jungen Müttern und Vätern hilft – und wie sich das klassische Familienbild über die Jahre gewandelt hat.
Angebot schließt eine jahrelange Lücke
Seit Mai 2022 ist das Mendener Familienbüro nun am Kirchplatz. Seit neuestem gibt’s dort einmal monatlich ein Stillcafé; ein Angebot, das in der Hönnestadt längere Zeit vakant war. Als die Elternschule noch im Krankenhaus beheimatet war, hatten Mendenerinnen das noch direkt angrenzend zur Geburtsstation. Dabei geht es vor allem um die Vernetzung und Gespräche mit Gleichgesinnten, erklärt Anja Kardell. „Es geht hauptsächlich ums Stillen, aber auch die Hilfe bei Problemen.“ Eine wichtige Nachricht in der Hinsicht: Den Müttern vermitteln, dass sie mit ihren Problemen keinesfalls alleine sind. +++ Lesen Sie auch: Nach Umzug des Familienbüros in Menden: Ausbau des Angebots +++
Teilnehmerzahl für Stillcafé in Menden muss bereits angehoben werden
Gerade während der Corona-Pandemie habe sich laut Anja Kardell gezeigt, wie wichtig ein Familienbüro – und nun auch ein Stillcafé – gerade in den ersten Wochen nach der Geburt ist. Starten sollte das Angebot eines Stillcafés zunächst mit sechs Plätzen mit kurzer, vorheriger Anmeldung. Inzwischen haben Anja Kardell und Heike Möller die Teilnehmerzahl sogar anheben müssen. „Das Fazit ist: Die Mütter überrennen uns regelrecht“, sagt Kardell. Jeweils am ersten Donnerstag jeden Monats von 9 bis 10.30 Uhr bietet das Stillcafé einen Rückzugsort und die Möglichkeit zum Austausch mit den beiden Expertinnen sowie anderen Müttern. Als gelernte Kinderkrankenschwester weiß Anja Kardell, worauf es ankommt – ebenso Hebamme Heike Möller. „Uns war klar, dass wir mit dem Angebot eine Lücke füllen. Es zeigt einfach, wie groß der Bedarf ist“, sagt Kardell. Allerdings richte sich das Ganze keinesfalls ausschließlich an junge Mütter, sondern könne auch schon während der Schwangerschaft wertvolle Tipps liefern. Denn: „Die meisten Eltern sind völlig geflasht, von dem, was auf sie zukommt“, weiß Anja Kardell. +++ Lesen Sie auch: Caritas Menden: Wie Kinder Umgang mit Ängsten lernen können +++
Dabei kann und soll das Stillcafé und der Austausch mit Gleichgesinnten vor allem dazu beitragen, Müttern ein Stück weit den gesellschaftlichen Druck abzunehmen. Das Wochenbett etwa habe durchaus seine Berechtigung, betont Heike Möller. Wenige Tage nach einer Geburt durch die Stadt spazieren, einkaufen und möglicherweise direkt wieder im Beruf durchstarten, sei nicht der richtige Weg. „Der Körper hat neun, zehn Monate Höchstleistung vollbracht. Das ist eine große Belastung, egal ob Kaiserschnitt oder natürliche Geburt“, ergänzt Kardell. Gleichwohl sei der Druck, schnellstmöglich wieder fit zu sein völlig unbegründet. Niemand müsse sich schämen, in dieser Phase auch einmal Hilfe anzunehmen. Das gelte nicht nur für den Umgang mit dem Neugeborenen, sondern vor allem bei ganz praktischen Dingen wie der Suche nach einem Kita-Platz, der richtigen Einrichtung fürs Kinderzimmer oder der Antragsstellung zur Elternzeit. Hier können die Familienlotsinnen Tipps geben – und an die richtigen Stellen vermitteln.
Klassische Rollenbilder sind im Wandel
Allerdings hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur das Bild der Karrierefrau gewandelt, die nach einer Geburt direkt wieder im Beruf durchstartet, sondern auch das der Väter und Familien im Allgemeinen, berichten die beiden Familienlotsinnen. Aus ihrer Erfahrung wissen Kardell und Möller: Je besser das Einkommen der Eltern und vor allem der Mutter, desto schneller geht die Frau auch wieder ihrem Job nach. +++ Auch lesenswert: Lotsinnen zeigen den Weg durch den Erziehungsdschungel +++
Aber auch die Väter werden deutlich aktiver in die Pflicht genommen und sind andersherum längst nicht mehr diejenigen, die dafür da sind, das Geld nach Hause zu holen. „Männer bekommen einen anderen Blick auf die Familie, wenn sie direkt nach der Geburt zuhause sind“, sagt Anja Kardell. Es sei inzwischen viel selbstverständlicher, dass Kinder „eine gemeinsame Sache sind“ – und eben nichts, was alleine an den Müttern hängen bleiben müsse. „Frauen können nicht besser wickeln, weil es ihnen in die Wiege gelegt worden ist“, weiß Heike Möller.
Das Credo lautet vielmehr: üben, üben, üben.