Menden. Sie besuchen (fast) jeden Mendener Neugeborenen: Die Familienlotsinnen kontrollieren nicht, sondern wollen bei Bedarf Hilfe vermitteln.

Es sind die Kleinsten und Schutzbedürftigsten, die sie besuchen – immer in dem Bewusstsein, dass sie nur eine Momentaufnahme sehen aus dem Leben von Familien. Seit nunmehr zehn Jahren besuchen Mendens Familienlosen Neugeborene und deren Eltern. Anja Kardell und Heike Möller wollen nicht kontrollieren, sondern bei Bedarf Hilfe vermitteln.

Es sind mehrere tausend Mendener Babys, die im vergangenen Jahrzehnt Besuch bekommen haben von den Familienlotsen. Die Familien erhalten im Vorfeld einen Brief, in dem die Lotsinnen einen Termin für einen Besuch vorschlagen. Dann ist der neue Familienzuwachs etwa sechs bis acht Wochen alt.

Lotsen feiern zehnjähriges Bestehen

Die Stadt Menden hat im Jahr 2009 im Rahmen der „Frühen Hilfen“ die Familienlotsinnen auf den Weg geschickt, alle Mendener Neugeborenen zu begrüßen. Zeitgleich startete auch das Mendener Internetportal „Der Familienlotse“. Ziel der „Frühen Hilfen“ ist, „dass alle Kinder in unserer Stadt gesund und geschützt aufwachsen“. Die Familienlotsinnen sind dabei einer der Bausteine, um Eltern bei ihrer Aufgabe zu unterstützen.

Die Mendener Familienlotsen feiern am Dienstag, 10. September, von 10 bis 13 Uhr ihr zehnjähriges Bestehen mit Waffeln und einem kleinen Büffet im Büro an der Bahnhofstraße 16. Interessierte sind willkommen. Mehr Informationen unter www.menden.de/familienlotse

Schweigepflicht gilt

Erstes Ziel der beiden Familienlotsinnen, die der Schweigepflicht unterliegen: „Wir gucken, wie die allgemeine Befindlichkeit der Familie ist“, beschreibt Anja Kardell. „Mit jedem Kind sortiert sich eine Familie neu.“ So könne es durchaus sein, dass sich das Gespräch gar nicht um das Neugeborene, sondern um das ältere Geschwisterkind dreht.

Fragen zur Kita-Karte

Hauptthemen von Müttern und Vätern sind Elterngeld und Betreuung. Vor allem zur Kita-Karte gebe es immer wieder Fragen, wissen Anja Kardell und Heike Möller. Zudem bringen die beiden Lotsinnen eine Fülle von Menden-spezifischen Informationen für Familien mit.

Die Familienlotsinnen wollen jungen Eltern Hilfe und Unterstützung vermitteln, hier ein Symbolbild.
Die Familienlotsinnen wollen jungen Eltern Hilfe und Unterstützung vermitteln, hier ein Symbolbild. © dpa Picture-Alliance / Christin Klose

Der Besuch der Familienlotsinnen erfolgt ein einziges Mal. Häufigere oder gar regelmäßige Besuche seien allein zeitlich nicht drin, betonen die beiden. Die längere Begleitung sei aber auch gar nicht das Ziel. Die Lotsinnen wollen Hilfe vermitteln, Kontakt knüpfen, also als Lotsinnen im besten Sinne des Wortes den Weg durch den Erziehungsdschungel weisen. Dazu trägt die enge Zusammenarbeit mit dem Netzwerk „Frühe Hilfen“ bei.

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Schreiambulanz und Beratungsstellen

Klagt also beispielsweise eine Mutter über ihr Schreibaby, helfen Anja Kardell und Heike Möller mit Kontakten zur Schreiambulanz und zu Beratungsstellen weiter: „Wir nehmen keine Stellung zum eigentlichen Problem, das können wir auch gar nicht.“ Mittlerweile kontaktieren allerdings auch Familien von sich aus Jahre nach dem ersten Besuch die Lotsinnen: „Etwa wenn sich die Mutter gerade getrennt hat und wissen will, wie es nun weitergehen kann“, sagt Anja Kardell. „Dann erinnern sich manche an unseren Besuch und melden sich bei uns.“

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Absage hat keine Konsequenzen

Niemand, so betonen Anja Kardell und Heike Möller, müsse einem Gespräch zustimmen. Doch die meisten jungen Eltern nehmen das Angebot gerne an. „Wir besuchen etwa 85 Prozent der Familien mit einem Neugeborenen“, bilanziert Heike Möller. Warum ein Besuch bei den restlichen 15 Prozent nicht klappt, habe unterschiedliche Gründe: „Manche ziehen kurz nach der Entbindung in eine andere Stadt, ganz selten ist das Kind verstorben, andere Familien wollen einfach nicht.“ Und wer nicht will, kann den Besuch ohne irgendwelche Konsequenzen absagen.

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Türen öffnen und Hemmungen nehmen

Einige allerdings haben falsche Vorstellungen vom Besuch der Familienlotsinnen: „Die sagen uns, dass sie eine Hebamme und eine Mutter haben und keinen brauchen, der ihnen zeigt, wie sie ihr Baby wickeln sollen“, erinnert sich Anja Kardell schmunzelnd. „Wenn ich erkläre, worum es geht, sind die meisten offen für ein Gespräch.“ Die Lotsinnen wollen Türen öffnen und Hemmungen nehmen. „Es ist unser Job zuzuhören, das Problem zu erfassen und dann an jemanden zu vermitteln“, sagt Anja Kardell. „Um die Lösung müssen sich die Familien selbst kümmern.“

Anja Kardell ist gelernte Kinderkrankenschwester, Heike Möller Hebamme, beide sind selbst Mütter. Wie reagieren sie, wenn eine Familie aus ihrer Sicht nicht optimal mit dem Nachwuchs umgeht? „Wenn ein Kind unterernährt oder blau geschlagen ist, dann liegt sicherlich eine akute Kindeswohlgefährdung vor“, sagt Heike Möller. Doch Fälle, in denen das Jugendamt aus einem solchen Grund eingeschaltet werden musste, habe es in den zehn Jahren nur ein oder zwei Mal gegeben.

Kindeswohlgefährdung direkt ansprechen

„Wir sind in unserem Auftrag nicht im Rahmen des Kinderschutzes unterwegs“, betont Anja Kardell. Doch wenn ihr oder ihrer Kollegin auffällt, dass das Kindeswohl gefährdet sein könnte, „dann sprechen wir das Thema direkt an“. In den meisten Fällen gelänge es, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen und Hilfsangebote aufzuzeigen.

Grauzone

Häufiger als eine direkte Kindeswohlgefährdung gebe es eine Grauzone: „Wenn die Katze aufs Bett springt oder in der Wohnung geraucht wird, dann ist das die Entscheidung der Eltern“, betont Heike Möller. Die Lotsinnen weisen lediglich auf Gesundheitsgefahren hin. Dies allerdings wird immer wieder auch dankbar angenommen. Als Anja Kardell ein extrem dick eingepacktes Baby im Bettchen entdeckte, klärte sie die junge Mutter über den Zusammenhang mit dem Risiko des plötzlichen Kindstods auf: „Die war ganz überrascht.“