Menden. Wenn die Sozialhilfe nicht reicht, ist der De-Cent-Laden in Menden ein Rettungsanker. Warum die Kunden dorthin kommen, welche Sorgen es gibt.

Das erste Mal im Sozialmarkt einzukaufen, das fiel dem Mendener unendlich schwer. „Ich kam mir vor wie ein Mensch zweiter Klasse“, erinnert sich der 52-Jährige, der anonym bleiben möchte. Der De-Cent-Laden des Katholischen Vereins für soziale Dienste in Menden (SKFM) ist für viele Menschen ein Rettungsanker, damit der Kühlschrank nicht leer bleibt.

Sozialhilfe reicht nicht

Früher, so berichtet der Mendener, habe er nicht auf den Cent gucken müssen. Zwei Ausbildungen in handwerklichen Berufen habe er absolviert, dann sei er irgendwann krank geworden, musste mehrfach operiert werden. Heute sei er schwerbehindert und auf Sozialleistungen angewiesen: „Ich finde auf dem normalen Markt leider keine Arbeit mehr.“

Der Sozialmarkt an der Fröndenberger Straße.
Der Sozialmarkt an der Fröndenberger Straße. © WP Menden | Corinna Schutzeichel

Die Sozialhilfe reiche nicht zum Leben, deshalb kommt er in den De-Cent-Laden: „Die erste Zeit kam ich mir vor wie ein Bittsteller, ich habe mich geschämt.“ Dass er trotz zwei erlernter Berufe nun „auf Almosen“, wie er formuliert, angewiesen sei, macht ihm zu schaffen: „Aber es geht nicht anders: Die Flasche Öl kostet im Geschäft jetzt 4,98 Euro – und vor einiger Zeit noch 79 Cent.“

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Im Ladenlokal an der Fröndenberger Straße geht er gemeinsam mit einem Mitarbeiter an den vielen grünen Warenkörben entlang. Nur die wenigsten sind gut gefüllt, vieles fehlt. Manche Lebensmittel gibt es kostenlos, für andere bezahlen die Kunden in etwa zehn Prozent des ursprünglichen Preises. Das Bund Bananen zum Beispiel, mit vielen braunen Stellen, wandert kostenlos in die Einkaufstasche, ähnlich verhält es sich mit vielen anderen Dingen. Zwiebeln und Äpfel landen in der Tasche des 52-Jährigen, die im Einkaufswagen steht. Schinken, Käse und Butter folgen. Milchprodukte, Wurst und Käse kurz vor oder kurz nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums – das ist für den Mendener kein Problem: „Man riecht das doch, wenn etwas nicht mehr gut wäre.“ Das Paket Nudeln nimmt er gerne, dazu noch Marmelade und zwei Schoko-Osterhasen, „für die Seele“.

Im Durchschnitt zehn Minuten Zeit pro Einkauf

Jeder Kunde hat durchschnittlich zehn Minuten Zeit, um seine Einkäufe hier in Begleitung eines Mitarbeiters zu erledigen. So wird sichergestellt, dass niemand zu viel in seinen Einkaufswagen packt. Die Menge bemisst sich daran, für wie viele Personen der entsprechende Berechtigungsausweis, den der SKFM im Vorfeld ausstellt, gilt: Die mehrköpfige Familie bekommt mehr als der Single.

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„Man muss hier flexibel sein“, sagt der 52-jährige Mendener, während er zur Kasse geht. „Wenn man selbst nichts hat, darf man keine großen Ansprüche haben, sondern nehmen, was gerade da ist.“

Plüschtier-Anhänger kostenlos zum Mitnehmen

Ihm graue es davor, wenn die Preise für Lebensmittel noch weiter ansteigen. Einen Euro bezahlt er an der Kasse, wechselt noch ein paar freundliche Worte mit den Mitarbeiterinnen. Zuvor hat er noch mehrfach in eine Kiste gegriffen, in der viele kleine Plüschtier-Anhänger kostenlos zur Mitnahme liegen. Für Enkelkinder in der Familie, erklärt er strahlend: „Die freuen sich dann immer so, wenn ich was mitbringe.“

Dankbare Besucher

Viele der Besucherinnen und Besucher seien dankbar, sagt Sozialmarkt-Mitarbeiterin Yvonne Hünnies. Gleichzeitig wissen sie und ihre Mitstreiterinnen, dass es äußerst schwer ist, etwas, von dem nicht genug da ist, gerecht zu verteilen.

Die Bedürftigen kaufen zu einer bestimmten Zeit ein, die ihnen zugeteilt wird – auch um den Andrang in der Corona-Zeit zu entzerren. Um das System gerecht zu halten, kommen diejenigen, die nun als Erstes in den De-Cent-Laden dürfen, beim nächsten Besuch in etwa drei Wochen erst am Ende der Öffnungszeit dran.

Rentner erleichtert, dass er bei De-Cent einkaufen kann

„Ich komme zurecht, aber ich merke schon, dass alles so teuer geworden ist“, sagt auch der 79-jährige Rentner, der vor dem Sozialmarkt auf seinen Aufruf wartet. „Brot, Wurst, Käse und Butter – das hole ich gerne hier.“ Seit seine Frau gestorben sei, nutze er das Angebot gerne weiter, „das ist schon eine ziemliche Erleichterung, dass es diese Möglichkeit gibt“, sagt der Mendener.

Regale bleiben immer öfter leer

Doch die Regale im De-Cent-Laden füllen sich immer weniger, die Menge der von den Supermärkten abgegebenen Lebensmitteln ist deutlich zurückgegangen. Die Schließung von Real ist ein weiterer Faktor, der dazu beiträgt, dass immer weniger da ist, was an Bedürftige verteilt werden kann: „Grundsätzlich ist es gut, dass weniger weggeworfen wird“, sagt SKFM-Geschäftsführerin Marita Hill. „Aber für die Menschen hier ist das ein Desaster.“

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Wo ist der Ausweg? Mehr Spendengelder? „Wir wollen keine Parallelgesellschaft“, erläutert Marita Hill. „Unser Anspruch war immer, dass wir das, was übrig bleibt, weitergeben. Das hat einen ökologischen und einen sozialen Aspekt.“ Kaufe der SKFM teuer ein, um die Lebensmittel für einen Bruchteil im De-Cent-Laden abzugeben, „haben wir nur noch den sozialen Aspekt und eine Parallelgesellschaft“. Zudem würde der Staat auf diese Weise „noch mehr aus seiner Verantwortung entlassen“. Von Bürgern gespendete (lang haltbare) Lebensmittel seien indes eine kleine Hilfe.

Frage der weiteren Entwicklung und der Finanzierungsmöglichkeiten

Gerade weil die Not bei Besucherinnen und Besuchern des De-Cent-Ladens oft groß ist, bereitet dem SKFM die Frage der weiteren Entwicklung und der Finanzierungsmöglichkeiten Kopfzerbrechen: „Das hier verschlingt viel Geld, so dass wir schauen müssen, wie wir das finanziert bekommen“, erklärt Marita Hill. In dieser Woche soll bei einer Vorstandssitzung über das Thema beraten werden.

„Als ich 2009 hier anfing, gab es viele Rentnerinnen und Rentner, die zu uns kamen“, erinnert sich Marita Hill. Das habe sich komplett geändert, nur noch vergleichsweise wenige Seniorinnen und Senioren kommen vorbei. Ihre große Sorge: „Das wäre die schlimmste Vorstellung für mich, dass Menschen zu Hause sitzen und nichts zu Essen haben, aber nicht zu uns kommen.“