Menden. Hinter historischen Akten im Stadtarchiv Menden verbergen sich manchmal durchaus kuriose Geschichten. Was Wahlen mit Suppenterrinen zu tun haben.
Die Nummer 75 führt im Stadtarchiv Mendengleich zu mehreren Erkenntnissen. Zum Beispiel, dass in Menden einst in Fichtennadel-Aufguss gebadet werden konnte. Und, dass als Wahlurnen doch zukünftig bitte keine Suppenterrinen mehr zu verwenden sind. Die WP begibt sich anlässlich ihres 75-jährigen Jubiläums auf die Suche nach Geschichten in Menden rund um diese Nummer. Stadtarchivar Stephan Reisloh hat sogar mehrere gefunden.
Das Stadtarchiv Menden gilt als das Gedächtnis der Stadt
Das Stadtarchiv in dem Gebäude am Westwall ist eine Fundgrube, gilt als das Gedächtnis der Stadt. Das Archiv des Amtes Menden und der Stadt Menden lagert dort in Archivkartons. Hinzu kommen Firmen- und Privatnachlässe, Dokumente der Zeitgeschichte wie Vereinschroniken, Schulgeschichten, Jubiläumsschriften, Parteiprogramme, historische Literatur zu Menden, Tageszeitungen und etwa 50.000 Fotos. Für die Ahnenforschung ist besonders das Personenstandswesen der Stadt von Interesse, weiß Stephan Reisloh. Archiviert werden dort Geburtsurkunden, die älter als 110 Jahre, Hochzeitsurkunden, die älter als 80 Jahre und Sterbeurkunden, die älter als 30 Jahre sind. Sie sind „bei berechtigtem Interesse“ für jeden zugänglich.
Im Stadtarchiv befinden sich auch mehrere Sonderbestände, beispielsweise zur Städtepartnerschaft Plunge, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, oder auch das Schmöle-Archiv mit zahlreichen Dokumenten aus der Firmengeschichte. +++ Nach der Flut: Stadtarchiv Menden setzt auf Gefriertrocknung +++
Sammeln, erfassen, erschließen
Die Aufgabe des Stadtarchivars fasst Stephan Reisloh mit drei Worten zusammen: „sammeln, erfassen, erschließen.“ Herzstück ist das Findbuch, in dem einer Vielzahl von Indexbezeichnungen die Dokumente bzw. Akten und ihr Platz im Archiv zugeordnet werden. Für die Suche nach der Nummer 75 reicht aber ein Gang entlang der Regale. Die Archivkartons tragen außen die Nummern der innen gelagerten Akten.
„Die Akte Nummer 75 im Bestand Amt Menden umfasst beispielsweise Unterlagen zur Reichstagswahl 1910 bis 1924 in Menden“, erzählt Stephan Reisloh, während er den Deckel des grauen Kartons aufklappt. Und genau darin, in einer dunkelbraunen Kladde mit der Aufschrift „Haupt-Akten betreffend Reichstagswahlen 1910 bis 1924“ befindet sich auch eben jene Passage mit der Suppenterrine:
„Bereits in meinen Erlassen vom 15. Mai 1903 (.) ist auf die Notwendigkeit hingewiesen, nach Einführung der Wahlzettelumschläge erheblich geräumigere Gefässe als Wahlurnen zu verwenden, als bisher vielfach üblich gewesen. Trotzdem ist im Reichstage und auch nach den letzten Wahlen verschiedentlich zur Sprache gebracht, dass in einzelnen Fällen gänzlich ungeeignete Gefässe, wie Suppenterrinen, Zigarrenkisten usw. als Wahlurnen benutzt worden sind. Die Verwendung derartiger Gefässe muss künftig grundsätzlich vermieden werden.“
Die Nummer 75 aus dem Bestand der Stadt Menden fördert die Einnahmen der Badeanstalt Walramstraße zu Tage. Neben Fichtennadelbädern wurden dort einst auch Heublumen- und Kohlensäurebäder angeboten. Letztere waren mit 3 DM am teuersten, ein so genanntes Volksbrausebad schlug dagegen nur mit 0,15 DM zu Buche, ein einfaches Wannenbad mit 0,80 DM.
Und was hat Dr. Gisbert Kranz mit der Nummer 75 zu tun? In seinem Nachlass ist darunter unter anderem ein Heftchen archiviert, in dem der Sanitätsrat sich intensiv mit der Herkunft der Mendener Flurnamen befasst - Daten und Bezeichnungen sind sorgfältig aufgelistet.
Ein Drittel der Arbeit eines Archivars ist Verwaltungstätigkeit
Die Suche nach der Nummer 75 ließe sich im Stadtarchiv noch weiter fortsetzen. Aber schon bei dieser Recherche zeigt sich das, was auch dem Archivar selbst schon mal beim Erfassen all dessen, was dem Archiv zur Verfügung gestellt wird oder wurde, passieren kann: „Man muss manchmal schon aufpassen, dass man beim Thema bleibt.“ Ein Drittel seiner Arbeit, schätzt Stephan Reisloh, ist jedoch vor allem Verwaltungstätigkeit. Mit einem Mythos räumt er deshalb mit Bestimmtheit auf: „Wer glaubt, dass Archivare die meiste Zeit über alten Urkunden brüten, der hat ein falsches Bild.“ Was aber wohl nicht heißen muss, dass er es manchmal nicht gerne täte. +++ Menden: Historische Dokumente des Stadtarchivs in Gefahr +++
Im Archiv ist immer das Original wichtig
- Unordnung ist das allerschlimmste im Archiv. Ist erst einmal ein Archivkarton ins falsche Regal geraten, muss er mühselig gesucht werden – zumal die Kartons auf den ersten Blick ja gleich aussehen.
- Von neuen Dokumenten, die dem Archiv zur Verfügung gestellt werden, wandert manches zunächst ins Gefrierfach. Die Prozedur verhindert, dass Papierfischchen eingeschleust werden. Denn die winzigen Schädlinge fressen gerne Papier.
- Könnte nicht vieles von dem, was in den Regalen des Archivs lagert, digitalisiert und damit beispielsweise auch gegen Schäden durch Feuchtigkeit und Überschwemmung geschützt werden? „Digitalisierung ist für uns nur eine Hilfe. Im Archiv ist immer das Original wichtig“, erklärt Stephan Reisloh. Zumal Digitalisierung in vielen Fällen auch nicht einfach auf Knopfdruck funktioniere: „Das ist wesentlich komplizierter. Und für die alte Sütterlin-Handschriften beispielsweise gibt es gar keine Programme, das könnte gar nicht einfach eingelesen werden.“ Sinnvoll sei es hingegen bei Fotos oder auch altem Film- und Videomaterial. Da ginge es dann auch um den Erhalt.