Menden/Lüdenscheid. Kassenärzte-Vertreter Dr. Martin Junker hält zusätzliche Impfzentren wie in Iserlohn für nicht machbar und überflüssig. Er kritisiert den Kreis.

In einem Schreiben an MK-Landrat Marco Voge (CDU) und den Siegener Landrat kündigt Dr. Martin Junker (74) als Bezirksstellenleiter der Kassenärztlichen Vereinigung an, dass die KVWL kein medizinisches Personal für eine zweite Impfstelle stellen kann. Im Interview sagt Junker, warum er das Impfzentrum in Iserlohn für überflüssig hält.

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Ab April soll im Märkischen Kreis in einer zweiten Impfstelle geimpft werden. Auch andere Kreise planen so. Können Sie überhaupt ausreichend medizinisches Personal stellen?

Dr. Martin Junker: Es ist quasi unmöglich, ein zweites Zentrum aufzubauen. Die Personalsituation ist für uns als Kassenärztliche Vereinigung nicht zu stemmen. Das sind alles Freiwillige. Da müssten die Kreise schon selbst die komplette Mannschaft mit medizinischem Personal organisieren. Ich will das mal erklären: Hier bei uns in Olpe arbeiten wir gerade in vollem Betrieb. Da sind 70 bis 80 Hilfskräfte aktiv. Auch wenn wir eine riesige lange Freiwilligen-Liste haben, haben wir jetzt schon Probleme, wenn jemand absagt. Wir sind willens mitzuarbeiten. Aber es muss auch möglich sein. Man müsste dann seine Praxis im Stich lassen.

Dr. Martin Junker: Könnten in Praxen viel mehr verimpfen

Zur Person: Dr. Martin Junker

Dr. Martin Junker ist 74 Jahre alt und Mediziner aus Olpe. Er bezeichnet sich selbst als Haus- und Landarzt. Junker praktiziert noch gemeinsam mit Tochter und Schwiegersohn in der Praxis. Er ist auch Betriebsarzt. Junker leitet ehrenamtlich die Bezirksstelle Lüdenscheid der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe.

Er vertritt in dieser Funktion Ärzte im Märkischen Kreis, im Kreis Olpe, Siegen und dem Siegerland.

Braucht man denn überhaupt die zweiten Standorte für die Impfzentren?

Wenn wir zum Ende des Monates tatsächlich die Impfungen in die Praxen kriegen, ist das absoluter Quatsch. Wir haben in den Impfzentren bisher auch kaum Möglichkeiten. Man braucht Impfstoff. Wenn wir den haben, könnten wir in den Praxen viel mehr verimpfen. Man darf auch nicht vergessen: Die Vorbereitungen für uns als KV waren immens. Das läuft alles nur mit entsprechender Software. Ich weiß nicht, ob das vernünftig ist, wenn das Zentrum vielleicht nur zwei Wochen in Betrieb ist. Der Politiker, der das verspricht, muss das nicht aus seiner Privattasche zahlen.

Sie werfen den Landräten in einem persönlichen Brief politisches Kalkül vor...

Ja, das ist Augenwischerei oder politischer Aktionismus, solche Versprechungen zu machen. Man muss den Dränglern in der Lokalpolitik nachgeben. Das geht alles immer, ohne die Betroffenen zu fragen. Ich muss noch einmal sagen: Wir machen das alles freiwillig. Da muss alles zusätzlich zum normalen Praxisbetrieb laufen. Die zweiten Impfzentren sind zum jetzigen Zeitpunkt ein rein politischer Wunsch, der nicht den realen Bedingungen und den real gelieferten Impfstoffmengen entspricht.

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Sind denn die Hausärzte überhaupt in der Lage, ab April die Impfungen selbst zu organisieren?

Alle Ärzte sind dazu bereit. Das kann jeder Arzt machen, auch ein Gynäkologe. Das ist keine große Kunst. Wenn der Astra-Impfstoff auch für Ältere freigegeben wird, packe ich mir mein Kühl-Täschchen und fahre rum. Das mache ich jeden Herbst so mit 700 bis 900 Patienten. Das läuft wie mit jeder Impfung, die wir im Kühlschrank haben. Nicht nur Israel, sondern auch einige Entwicklungsländer sind da viel weiter. Wenn wir den Impfstoff bekämen, wären wir noch vor den Sommerferien durch.

Kritik: Datenerfassung in Impfzentren noch auf dem Papier

Sie kritisieren die Bürokratie...

Die Kreise müssten in einem zweiten Impfzentrum auch die gesamte Datenerfassung übernehmen. Alle Laufzettel und Impfnachweise werden noch auf Papier geführt. Wir melden die Daten per Excel-Datei an das RKI. Das ist ein enormer Aufwand. Dazu bin ich nicht in der Lage und dazu ist auch die KVWL nicht in der Lage.

Was halten Sie von den geplanten Schwerpunktpraxen?

Das funktioniert nur, wenn man nicht alleine ist. Man braucht dazu mindestens einen zweiten Arzt und Extra-Räume. Denn die Geimpften müssen sich ja auch nach der Impfung noch in der Praxis aufhalten. Es geht auch nicht so einfach, leerstehende Ladenlokale anzumieten. Die Auflagen sind immens. Dabei kann man den normalen Praxisbetrieb nicht leisten. Eigentlich ist das ein kleines Impfzentrum. Aus allen Bereichen der niedergelassenen Ärzte kommt nur Ablehnung. Wir brauchen weniger Bürokratie. Bei den Schnelltests haben wir ähnliche Probleme.

Warum?

Ich kann mir das als kleiner Doktor gar nicht erlauben. Bei der zu erwartenden hohen Zahl an Schnelltests muss man eine hohe Zahl an bislang unentdeckten Positiv-Fällen erwarten. Dann kann ich erst einmal die ganze Praxis zumachen, weil dann alle unter Quarantäne stehen, bis das abgesicherte Ergebnis mit einem richtigen Test kommt. Ohnehin haben die Tests auch nur fünf bis sechs Stunden Aussagekraft. Außerdem wurde auch die Vergütung für die Tests auf sechs Euro heruntergesetzt. Für diesen Preis kann ich sie nur bei Aldi einkaufen. +++ Wie erleben Sie die Corona-Krise? Hier Ihre Meinung sagen beim großen WP-Corona-Check! +++

Arzt: Inzidenz alleine ist nur ein theoretischer Wert

Im Märkischen Kreis ist die Inzidenz mit knapp 130 so hoch wie sonst an kaum einem anderen Ort in Westdeutschland. Was halten Sie als Arzt davon, dass die Maßnahmen trotzdem zurückgefahren werden?

Die Inzidenz ist für mich ein völlig theoretischer Wert. Was glauben Sie, wie der jetzt in den Himmel schießt, wenn jetzt alle Leute jede Woche einen Test machen. Das sind für mich Scheinberechnungen von Wissenschaftlern am Schreibtisch. Es gibt auch eine riesige Aufregung um die Mutationen, wir brauchen aber viel mehr wissenschaftliche Grundlagen dazu. Wir brauchen auch dringend Schutzmaßnahmen wie Mundschutz, aber nicht alles so unüberlegt und ziellos. Dass Maßnahmen grundsätzlich etwas bringen, zeigt sich schon daran, dass wir in diesem Jahr so gut wie überhaupt keine Influenza hatten. Dafür muss man aber nicht ganze Berufsgruppen plattmachen. +++ Hier geht’s zum Newsblog mit allen Zahlen rund um Corona!