Menden. Der Märkische Kreis prangert unsere Redaktion wegen Veröffentlichungen aus den Lageberichten zu Corona an. Fragen bleiben weiter unbeantwortet.

„Polemisierung und Skandalisierung, wo kein Skandal ist.“ So reagiert MK-Landrat Thomas Gemke auf den WP-Artikel zum „Lagebericht Nummer 62“ des Corona-Krisenstabes beim Märkischen Kreis. Das interne Papier mit Datum vom letzten Samstag, das der WP vorliegt, beschreibt eine Lage, laut der die Situation im Gesundheitssystem „zunehmend kritischer“ werde. Die Durchhaltefähigkeit der Behörden wird laut Krisenstabs-Leiterin Jutta Heedfeld „kritisch“ gesehen, die Gesundheitsverwaltung arbeite „am Limit“. Man erwarte einen weiteren Anstieg von positiv getesteten Personen, zugleich werde die Situation der niedergelassenen Ärzte kritischer, vor allem mit Blick auf deren Schutzausrüstung. Der Märkische Kreis gehe davon aus, dass Arztpraxen schließen müssten.

Lageberichte werden „aus gutem Grund nicht veröffentlicht“

Darüber berichtet zu haben, trägt der WP jetzt eine höchst kritische Stellungnahme des Landrats ein, nachdem auf Anfrage beim Kreis erklärt (und in der WP berichtet) worden war, dass es darin „veraltete“ Passagen gebe. „Welchen Lagebericht meint der vermeintliche WP-Chefaufklärer?“, fragt Gemke in Anspielung auf Redakteur Arne Poll. Es gebe insgesamt 64 Lageberichte, „die aus gutem Grund nicht veröffentlicht werden“. Aufgaben eines Krisenstabes sei es, alle möglichen Szenarien zu bedenken. „Das sollte Herr Poll wissen, falls nicht, kann er das auch googlen. Und natürlich arbeiten alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Gesundheitsbehörde am Limit, ja was denn sonst, bei dieser Pandemie?“

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Die Lage entwickle sich „glücklicherweise positiv“. Das hätte man „ganz einfach aus den täglichen Veröffentlichungen des Kreises ersehen können“. Beispielsweise aus der Pressemitteilung vom 22. April, in der es heißt: ,Täglich kommissionieren rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kreisverwaltung die Schutzausrüstung und kümmern sich um deren Verteilung. In der vergangenen Woche hat der Kreis so Lieferungen für 260 niedergelassene Ärzte sowie 77 Senioren- und Pflegezentren, Hospize und Eingliederungshilfen auf den Weg gebracht. 87 ambulante Pflegedienste und die Krankenhäuser im Kreis wurden ebenfalls beliefert.‘“

Landrat: Aussage über Engpass an Schutzkleidung „längst überholt“

Der Engpass an Schutzkleidung, den es am Anfang gab, habe sich „entspannt und wird keinesfalls problematischer, wie Herr Poll unterstellt“. Die Aussage sei „längst überholt“. Die Frage, warum die angeblichen Unterstellungen genau so im Lagebericht stehen, ließ der Kreis am Montag so unbeantwortet wie weitere WP-Fragen zur Sache.

Gemke sieht kritischen Kommentar als „öffentliche Diffamierung“

Stattdessen verwahrt sich Gemke „gegen den vermittelten Eindruck, in der Kreisverwaltung werde nicht gut gearbeitet“. Als „öffentliche Diffamierung“, die er nicht zulasse, bezeichnet Gemke den Kommentar von Arne Poll zu einem „peinlichen Bild“, das er und sein Team abgäben. Zu diesem Team zählt der Landrat, anders als die WP, gleich fast die ganze Kreisverwaltung: „Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten seit Wochen hervorragende Arbeit.“ So seien 217 Kräfte derzeit nur in der Corona-Lage eingesetzt. 52 Frauen und Männer bildeten die Stabstelle, 31 weitere seien in den Abstrich-Stellen in Lüdenscheid und Iserlohn sowie in der Disposition tätig. 57 Beschäftigte arbeiteten im besonders belasteten Gesundheitsdienst, der um 39 Kräfte aus anderen Fachdiensten des Kreises verstärkt worden sei.

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Und dann droht der Kreis-Chef: „Viele von ihnen sowie aus Feuerwehr und Hilfsorganisationen haben sich über diese Art der Berichterstattung ihre Gedanken gemacht – Konsequenzen nicht ausgeschlossen.“ Die WP hat indes an keiner Stelle ein kritisches Wort über Feuerwehren oder Hilfsverbände verloren. Der Landrat weiter: Es sei „schlicht und ergreifend Blödsinn“ dem Lagebericht zu entnehmen, dass der MK ernsthaft aktuell erwäge, eine zentrale Leichenhalle einzurichten. Im Lagebericht vom Samstag steht jedoch die „Opfersammelstelle“.

Schließlich erklärt Gemke, dass er gerne Lokalzeitungen lese. Aber: „Wenn ich solche Artikel lese, wundere ich mich nicht, wenn immer mehr Abonnenten ihre Lokalzeitung kündigen.“ Im Übrigen könne der Leser den Eindruck gewonnen haben, dass der Redakteur mit ihm persönlich gesprochen habe. „Dieser Eindruck ist falsch.“

>>> KOMMENTAR <<<

Unsouveräner kann man kaum reagieren. Derselbe Landrat, der der WP nach Zitaten aus einem aktuellen Lagebericht „fehlende Sachlichkeit“ vorhält, ist sich nicht mal für Abbestellungs-Drohungen für Dritte zu schade. Thomas Gemke tut so, als stünden mit ihm zugleich auch die vielen schwer schuftenden Kräfte in Gesundheitsamt, bei Feuerwehren oder Hilfsorganisationen in der Kritik. Die WP hat von den MK-Verantwortlichen gesprochen. Herr Landrat, niveauloser geht’s nicht.

Statt uns selbst in diese Niederungen zu begeben, zitieren wir die unbeantworteten Fragen, die Gemke zu stellen sind. Sie bedürfen der Aufklärung, denn interne Lageberichte enthalten üblicherweise keine Altlasten: Welche Angaben im Bericht sind veraltet? Warum gab es keine Aktualisierung? Wer zeichnet für den Bericht verantwortlich? Wer trifft die darin vorgenommenen Einschätzungen? Für welche Stellen ist der Bericht maßgeblich? Hatten veraltete Angaben für eine dieser Stellen Konsequenzen? Und: Warum werden Erkenntnisse aus dem Lagebericht nicht veröffentlicht?

Es wäre wichtig, darauf bald sachliche Antworten zu bekommen. Statt neuer Tiraden.

Thomas Hagemann