Menden. Ein rätselhaftes Bakterium tötet Meisen. Die Seuche verbreitete sich von Menden aus in Deutschland und Nachbarländern – mit Parallelen zu Corona.
Nach dem Ausbruch der Meisenseuche vor zwei Jahren in Menden hat sich die tödliche Vogelkrankheit jetzt in ganz Deutschland ausgebreitet. Vogel-Experten sehen bei den Infektionswegen sogar Parallelen zum Coronavirus beim Menschen. Die Mendenerin Barbara Kemper hatte durch ihre Beharrlichkeit dafür gesorgt, dass die Lungenkrankheit der Vögel erstmals auf dem europäischen Festland amtlich festgestellt wurde. Die Seuche rafft mittlerweile tausende Meisen dahin.
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Der Naturschutzbund NABU zählte innerhalb im April von nur zwölf Tagen 26.000 verstorbene Vögel in Deutschland, gemeldet von Privatleuten. Die Meisen werden plötzlich schwach und versterben dann an der Lungeninfektion. Der NABU spricht von einer Epidemie. Zum Vergleich beim Ubuntu-Virus, das ganze Amsel-Bestände auslöschte, gab es 4000 Meldungen in einem ganzen Jahr.
Bakterium wird ähnlich wie das Coronavirus übertragen
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Menden könnte für das Bakterium Suttonella Ornithocola so etwas wie Ischgl oder Gangelt für die Verbreitung des Coronavirus gewesen sein. Die Tiere stecken sich nach und nach gegenseitig an, je näher der Kontakt ist umso größer sei die Infektionswahrscheinlichkeit: Die Übertragung finde wie bei Corona beim Ausatmen des Vogels mutmaßlich über Aerosole statt, sagt Nabu-Biologe Lars Lachmann auf WP-Nachfrage. Auch über Oberflächen, beispielsweise an Vogeltränken, könne das Bakterium übertragen werden. Es nistet sich dann in der Lunge der Tiere ein und führt zu Lungenentzündungen, an denen die Meisen sterben.
Dennoch müsse man bei der Ausbreitung unterscheiden, betont Lachmann: „Suttonella ist ein Bakterium und kein Virus. Viren sind mobiler und schneller beweglicher.“ Es sei deshalb sehr ungewöhnlich, dass sich die Meisenseuche jetzt so schnell in einem so großen Bereich ausgebreitet habe. „Wir müssen noch sehr viel lernen über dieses Bakterium.“
Erster bestätigter Ausbruch im Garten in Oesbern
Rückblick: Tierschützerin Barbara Kemper hatte vor einem Jahr rund um ihren Garten in Oesbern eine ganze Reihe toter Meisen entdeckt und sie dann auf eigene Kosten untersuchen lassen. Eine Biologin des Chemische- und Veterinäruntersuchungsamtes Westfalen in Arnsberg diagnostizierte zu ihrer Verwunderung das bislang kaum beschriebene Bakterium Suttonella Ornithocola als Todesursache für die Meisen. Für Wissenschaftler war das eine kleine Sensation: „Mir ist Suttonella Ornithocola in Deutschland nicht bekannt“, erklärte der weltweit einzige Suttonella-Experte und Forscher Geoffrey Foster von Scotland’s Rural College in Inverness damals. Sutonella wurde erstmals in den 1990er Jahren in toten Vögeln der Meisenfamilie auf den Britischen Inseln entdeckt, erklärte Foster. Es sei auffällig, dass die Todefälle vermehrt im Frühling auftreten. Die Todesfälle seien stets auf Meisen beschränkt, keine anderen Vögel betroffen.
Diese Entwicklung bestätigt nun auch der NABU. „Wir denken, dass die Welle für dieses Jahr abebbt.“ Die Fälle seien kurioserweise vor allem im März und April aufgetreten. In Menden hatte es nach der Welle von zwei Jahren keine weiteren Ausbruchswellen mehr gegeben.
Vor allem kleine Meisenarten wie Blaumeisen von Meisenseuche betroffen
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„Suttonella ornithocola tötet fast ausschließlich Meisen, vor allem die kleinen Meisenarten, von denen die Blaumeise mit Abstand am häufigsten in deutschen Gärten vorkommt“, sagt NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Vermutlich sind auch Tannenmeise, Hauben-, Sumpf- und Weidenmeise betroffen. Seltener erkranken die größeren Kohlmeisen.“ Größere Ausbrüche werden gerade aus den Niedersächsischen Landkreisen Ammerland und Diepholz gemeldet. Auch im Kreis Steinfurt kam es zu Todesfällen bei Meisen. So schlimm wie aktuell grassierte die Seuche noch nie. Miller: „Das massenhafte überregionale Auftreten in diesem Jahr ist für diesen Erreger neu. Außer Deutschland sind mindestens auch Luxemburg und Belgien betroffen.“
Der Erreger ist laut NABU für Menschen und Haustiere ungefährlich. Da Vögel aber auch an anderen möglicherweise infektiösen Krankheiten gestorben sein könnten, sei beim Umgang mit toten Vögeln immer mit Vorsicht vorzugehen. Um Ausmaß, räumliche Verbreitung und Verlauf der Epidemie ermitteln zu können, ruft der NABU weiterhin dazu auf, Fälle von kranken oder offensichtlich an Krankheit verstorbenen Vögeln über sein Online-Formular zu melden. „In betroffenen Gärten müssen Anziehungspunkte wie Futter- und Badestellen umgehend beseitigt werden, damit Vögel sich weniger leicht gegenseitig anstecken können“, rät Experte Miller in einer Mitteilung des NABU. „Social Distancing hilft auch bei Vogel-Seuchen Ansteckungen zu reduzieren.“
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