Menden. . Das Mendener Netzwerk „Frühe Hilfen für Familien“ unterstützt Eltern und ihren Nachwuchs ganz praxisnah.

Wer ein Kind bekommt, wird vor immens viele neue Herausforderungen gestellt. Manchmal zu viele. Und manchmal wünschen junge Eltern sich einfach eine helfende Hand. Genau hier setzen die „Frühe Hilfen für Familien“ ein. Vor knapp zehn Jahren wurden sie in Menden aus der Taufe gehoben. Seither ist das Netzwerk kontinuierlich gewachsen. Ein Interview mit Petra Günnewig (58), Netzwerkkoordinatorin der Frühen Hilfen.

Petra Günnewig.
Petra Günnewig. © Corinna Schutzeichel

Was genau sind die Frühen Hilfen?

Petra Günnewig: Die Frühen Hilfen haben sich damals aus den Frühwarnsystemen entwickelt. Der Gedanke war, möglichst früh Unterstützungsangebote für Familien zu schaffen. Daraus ist ein Netzwerk entstanden, zu dem beispielsweise Therapeuten, Kinderärzte, Geburtskliniken und Gynäkologen sowie Hebammen, Erziehungsberater, Kinderschutzfachkräfte, Kindertageseinrichtungen und Ambulante Hilfen gehören. Insgesamt gibt es mehr als 50 Netzwerkpartner, die alle hervorragende Arbeit machen – zum größten Teil im Verborgenen.

Wie arbeitet das Netzwerk?

Wir haben uns erst kürzlich zum Jahrestreffen des Netzwerkes zusammengefunden. Dabei haben wir uns auch über das Globalziel verständigt, nämlich „Alle Kinder in Menden wachsen gesund und geschützt auf“. Darüber hinaus gibt es natürlich auch Teilziele wie „Alle Kinder bewegen sich altersgerecht“ und „Alle Kinder kommunizieren altersgerecht“.

Und was ist mit den Kindern, die sich eben nicht altersgerecht bewegen etc.?

Es geht nicht darum, nach dem Leistungsprinzip zu gucken. Sondern um die Frage, welche Maßnahme braucht es, um ein Kind zu unterstützen. Dabei wollen wir zum einen biografisch früh informieren und zum anderen, bevor eine Krise entsteht, auf das Kind schauen.

Wer ist gefragt, wenn es in der Entwicklung hakt?

Das kann nicht nur Aufgabe von Kindergärten sein. Ebenso gefragt sind Spielgruppen, Tagesmütter, Hebammen, Kinderärzte etc.

Besteht da nicht die Gefahr, dass Eltern sich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn sie auf etwas hingewiesen werden, das in ihrer Familie nicht optimal läuft?

Idealerweise sollten alle mit dem Selbstverständnis herangehen, dass sie mit den Eltern einen partnerschaftlichen Dialog auf Augenhöhe suchen. Es geht darum, Unterstützungs- und Beratungsangebote für Familien bereitzustellen – und nicht darum, den Eltern etwas vorzuschreiben.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wenn etwa in einer Familie ein Kind zur Welt kommt, das chronisch krank ist, stellt sich für Eltern die Frage: Wer hilft uns bei der Pflege? Die Familienhebammen kennen entsprechende Ambulante Dienste und vermitteln dann den Kontakt.

Inwieweit ist die Politik in das Thema eingebunden?

Im Kinder- und Jugendhilfeausschuss habe ich zum Thema Frühe Hilfen berichtet. Wir haben von der Politik den Auftrag, die Frühen Hilfen in Menden schrittweise zu erweitern, so dass auch die Kinder bis zum Alter von sechs Jahren mit eingebunden sind. Bislang war die Zielgruppe ab Schwangerschaft bis zum Alter von drei Jahren.

Wie gehen Sie derzeit konkret vor?

Derzeit schauen wir, welche Angebotslücken es bei den Drei- bis Sechsjährigen gibt. Anschließend müssen wir die Ressourcen benennen, die bereitgestellt werden müssen. Ziel ist es, Kinder von Anfang an lückenlos bei ihren Lebensaufgaben präventiv zu unterstützen. Unser Zielkonzept wollen wir – wahrscheinlich im Frühjahr – im Kinder- und Jugendhilfeausschuss präsentieren.

Ein Blick in die Zukunft: In welche Richtung gehen die Frühen Hilfen?

Ich denke, dass wir bestimmte Fragen, die drängend sind, interdisziplinär besprechen müssen. Zum Beispiel die Frage nach der Gesundheit eines Kindes. In der Kita ist das ein gesundes Frühstück. Aber zum gesunden Aufwachsen gehört natürlich viel mehr: ein gesundes Selbstbewusstsein; ein achtsamer Umgang; dass ein Kind weiß, dass es sich auf seine Eltern verlassen kann; ein liebesvolles Zuhause.

Die Untersuchung beim Kinderarzt ist die Basis, aber es gehört viel mehr dazu, dass ein Kind gesund aufwächst.

Wie hat sich Ihre Arbeit im Vergleich zu früheren Jahren verändert?

Es geht heute stärker um Themen wie Benachteiligung, gleiche Chancen und Teilhabe als in früheren Jahren.

Trotz aller Bemühungen: Es werden doch nie alle Kinder die gleichen Chancen im Leben haben.

Das ist sicherlich richtig. Aber das ist das Ideal, das wir anstreben. Und man muss sich immer vergegenwärtigen, dass wir nur mit den Mitteln arbeiten können, die uns auch zur Verfügung stehen.

Gibt es ein ganz konkretes Ziel der Frühen Hilfen, das Sie schon nennen können?

Alle Kinder, die in die Schule kommen, sollen schwimmen können.

Wie soll dieses Ziel erreicht werden? Sollen Kindergärten den Schwimmunterricht organisieren?

Nein, ich kann mir vorstellen, dass man entweder Eltern oder Vereine mit ins Boot nimmt. Da gibt es aber noch keine konkreten Überlegungen. Wir müssen gemeinsam gucken, wie wir welche Ziele erreichen.

Sind Eltern heutzutage mehr unter Druck als früher, alles richtig zu machen?

Heute gibt es ganz andere Familienstrukturen als früher. Es existiert eine riesige Palette von Angeboten – viel, viel mehr als früher. Oft setzen sich Eltern selbst unter Druck. Wichtig ist, dass eine Familie auswählt, was ihr als Familie gut tut – und diese Entscheidung nach außen vertritt.

Wenn das Konzept der Frühen Hilfen demnächst bis zu den Sechsjährigen reicht – ist es dann abgeschlossen?

Nein, die Präventionskette geht eigentlich noch viel weiter. Da kann man an die Kinder auf den Weiterführenden Schulen denken – bis hin zum Eintritt ins Seniorenalter.

>>> EIGENE PROJEKTE UND GROSSES NETZWERK

Die „Frühen Hilfen“ beinhalten verschiedene Aspekte. Zum Beispiel: Besuch durch eine Familienlotsin zu Hause nach einer Geburt; umfangreiche Informationen über alle verfügbaren Hilfen und Unterstützungsleistungen; Elternbriefe; Hebammenbetreuung über die Krankenkassenleistung hinaus; Kontaktmöglichkeit junger Mütter mit Kindern.

Neben den eigenen Projekten gibt es ein großes Netzwerk an möglichen Ansprechpartnern für Familien.

Die Netzwerkkoordination der Frühen Hilfen läuft unter Federführung des Mendener Jugendamtes.

Weitere Informationen zu den Mendener Familienlotsen unter www.menden.de/familienlotse