Menden. . Klaus Ullrich lobt die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung. Doch die ständig steigende Zahl an Hilfsbedürftigen bereitet ihm Sorgen.

Der Verein „Mendener in Not“ sorgt sich seit Jahren um Menschen, denen das Schicksal übel mitgespielt hat. Bei der jährlichen Spendensammlung kam zuletzt jedoch wieder eine beachtliche Summe zusammen, mit der man Mendenern helfen kann.

Mit dem Vorsitzenden des Vereins „Mendener in Not“ Klaus Ullrich hat WP-Redakteur Marc Friedrich über Schulranzen, Stromfresser und Schicksale gesprochen.

Wenn Sie als ehemaliger Schulleiter der Spendenbereitschaft in Menden eine Note geben müssten: Welche würde auf dem Zeugnis stehen?

Klaus Ullrich: Also ohne zu strunzen eine glatte 1. Denn wir erhalten ja nicht nur aufgrund des Weihnachtsaufrufes Zuwendungen. Es ist wirklich überwältigend, wie wir über das ganze Jahr Geld erhalten.

Wie korrespondiert die hohe Spendenbereitschaft mit der Zahl der Bedürftigen in Menden?

Die steigt leider auch immer weiter. Unsere Hilfsaktion sieht so aus, dass wir nicht mit großen Geldsummen daherkommen, sondern wir leisten unmittelbare Hilfe in konkreten Notlagen.

Wie lief die Weihnachtsspendenaktion?

Bis zum Jahresende waren das ungefähr 72.800 Euro.

Was hat Mendener in Not im vergangenen Jahr alles gemacht?

Wir haben sehr vielen Familien, Alleinerziehenden, Alleinstehenden und Kindern in Menden geholfen. Und haben das in einem finanziellen Umfang getan, der den des Vorjahres wiederum überstiegen hat. Also konkret: in einem Volumen von etwa 85.000 Euro.

Wie sieht diese Hilfe aus?

Wir hatten beispielsweise im Jahr 2017 diesen schrecklichen Brand in der Landwehr. Die betroffenen Familien standen vor dem Nichts, hatte keinen hinreichenden Versicherungsschutz, so dass unsere Hilfe schon ganz wichtig war.

… Und dann geht man gemeinsam das Nötigste einkaufen …

Genau. Wir gehen beispielsweise zum Möbelladen des SKFM, damit die Familien erst einmal wieder einen Hausstand bekommen. Wir geben aber auch Gutscheine für Kleidungsstücke, vermitteln die nötigsten Elektrogeräte. Viele kleine Hilfeleistungen betreffen Kinder vor Festen wie Ostern und Weihnachten, damit die nicht leer ausgehen. Aber auch zum Schulanfang. Wir sorgen für eine erste Ausrüstung: Schulranzen, Griffeltasche und so weiter. Wir bezahlen Winterkleidung für sie und wärmende Schuhe. Unsere Hilfe ist immer sachgebunden.

Wieviel Kinder sind das etwa, die zum Schulstart unterstützt werden?

Gehen Sie mal von einer Größenordnung von 70 Kindern aus. Aber das variiert von Jahr zu Jahr.

Mendener in Not kümmert sich auch um Stromsperren.

Ja, wir wollen dem zuvorkommen, dass der Strom abgeschaltet wird. Vielfach ist es so, dass die Bedürftigen in einer Falle sitzen, weil sie ihr warmes Wasser mit veralteten und stromfressenden Durchlauferhitzern gewinnen. So wie die Nachtspeicheröfen oft auch teuer im Verbrauch sind. Wenn es um Hausgeräte geht, hilft es nicht, alte gebrauchte Geräte zu kaufen oder zu vermitteln. Also Waschmaschinen, Kühlschränke und dergleichen. Denn dann bleiben die Leute in der Kostenfalle, wenn die Stromrechnung kommt, da neue Elektrogeräte wesentlich sparsamer im Verbrauch sind.

Die Stadtwerke sind natürlich ein Wirtschaftsunternehmen. Wie steht man dem gegenüber?

Wir klagen nicht die Stadtwerke an, die müssen wirtschaften. Aber wir wollen helfen, bevor es zu Stromsperren kommt. Die Menschen brauchen Wärme, Licht und Strom, um Essen zu kochen.

Kommen diese Menschen dann nicht im nächsten Monat wieder und brauchen erneut Hilfe?

Die Kostenübernahme ist damit verbunden, dass wir einen Plan für die Zukunft aufstellen. Es geht nicht darum, dass wir mit einem Füllhorn kommen und Spenden ausschütten, sondern wir wollen nachhaltig helfen. Wir haben Einblick in die finanzielle Situation und verabreden eine Rückzahlung in kleinen Raten und erreichen so, dass Bedürftige nicht ein zweites Mal im Jahr zu uns kommen müssen.

Was sind besonders herzergreifende Fälle aus 2018?

Wir haben beispielsweise eine Frau unterstützt, die an den Rollstuhl gefesselt ist und einen Säugling zu versorgen hatte. Wir haben einen Rollstuhlaufsatz vermittelt. So eine Art Babyschaukel oder Babywiege. Das Gerät kostete 2500 Euro.

Wenn man sich sehr viel mit solchen Schicksalen beschäftigt: Lässt einen das überhaupt noch los?

Ich muss sagen, dass ich schon sehr oft daran denken muss. Man geht mit anderen Augen durch die Stadt und sieht, dass das, was uns so als Wirtschaftswunderwelt erscheint, leider nicht alle Menschen betrifft. Und dass es da Menschen gibt, die davon sehr weit entfernt sind. Das stimmt einen dann doch sehr nachdenklich. Es ist wichtig, dass man im Freundes- und Bekanntenkreis darüber spricht und die Herzen öffnet. Es geht nicht darum, die Spendenportemonnaies zu öffnen, sondern darum, Verständnis zu gewinnen. Denn nicht jeder, der in Not ist, ist durch eigene Schuld in Not geraten. Und den Begriff Schuld versagen wir uns sowieso.

Wie schätzen Sie die Zukunft von Menden ein?

Das ist schwer zu beurteilen und hängt natürlich mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammen. Wir hatten die Insolvenz von SAM und anderen Firmen. Die Entwicklung von 2016 bis jetzt zeigt, dass unsere Hilfe immer mehr in Anspruch genommen wird. Die Hartz-IV-Gesetzgebung verlangt von den Menschen in der Grundsicherung, Rücklagen für größere Geräteanschaffungen zu bilden, was aber oft unmöglich ist. Und somit springt das Sozialamt nicht mehr ein; das war früher völlig anders. Aber ich wage noch keine Prognose.