Menden. . Hauptschüler in Menden haben die Geschichte der ermordeten Familie Ephraim recherchiert. Seit Montag erinnern Stolpersteine an die NS-Opfer.
Das Interesse war überraschend groß, und zur Verlegung der vier Stolpersteine am Haus Hauptstraße 3 in der Mendener Innenstadt kamen gestern Morgen keineswegs nur die üblichen Verdächtigen. Tatsächlich war die Aktion von Künstler Gunter Demnig keineswegs Geschichtsroutine. Mendens erste Stolpersteine erinnern an die Familie Ephraim. Welches Schicksal musste sie erleiden? Katrin Kemper und ihre Klasse 10 A1 haben ihr Schicksal recherchiert. Stadtarchivar Norbert Klauke half dabei.
Rosalie Bernstein wird am 10. März 1864 in Menden geboren. Sie heiratet Siegfried Ephraim; er ist neun Jahre älter als sie. Das Ehepaar betreibt ein Textilgeschäft im Haus Hauptstraße 112. 1906 ziehen die Ephraims ins Haus Hauptstraße 3 um. Im selben Jahr, am 23. Juli 1903, kommt ihr Sohn Willy zur Welt.
Erinnerung an Willy und Ruth Ephraim
Willy verliert am 26. Oktober 1924 seinen Vater. Welchen Beruf Willy ausübt, lässt sich aus Archiv-Unterlagen nicht belegen. Er selbst sagt, er sei in der Film-Industrie beschäftigt. Der Film ist ein neues Medium; mit ihm entsteht eine neue Branche. Willy leidet an einer schweren Krankheit. So viel steht fest. Woran genau er leidet: Darüber lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise hat er Diabetes. In den 30er Jahren muss ihm ein Bein amputiert werden.
Willy Ephraim heiratet am 13. Juli 1938 die Zahnärztin Ruth Schürmann. Sie ist knapp neun Jahre jünger als. Ruth Schürmann stammt aus dem oberschlesischen Beuthen, das heute zu Polen gehört. Nach ihrem Studium der Zahnmedizin in München ist sie als zahnärztliche Assistentin in Berlin tätig. Ihren Beruf muss Ruth Ephraim im Jahr der Heirat aufgeben. Die Berliner Nazi-Regierung hat eine Verordnung erlassen, die jüdische Mediziner zur Aufgabe ihres Berufes zwingt.
Die Sprache der Rosen
Am 26. März 1940 bringt Ruth Ephraim den Sohn Denny in Hemer zur Welt.
Gut zwei Jahre später müssen die Ephraims ihre Wohnung verlassen. Die Familie wird zunächst in einer Baracke untergebracht im Ohl, der heutigen Fröndenberger Straße. Kurze Zeit später, am 25. Juli, werden die Ephraims per Lkw nach Schwerte verfrachtet, von dort aus per Zug weiter nach Dortmund ins Sammellager in der Gaststätte „Zur Börse“. Am 29. Juli, 13.30 Uhr, wird die Mendener Familie, wie Hunderte weitere Bürger mit jüdischem Hintergrund, in Waggons zum KZ Theresienstadt im heutigen Tschechien gebracht. In Theresienstadt wird die Familie auseinandergerissen, der kleine Denny von Vater, Mutter und Oma getrennt. Ruth, Willy und Rosalie Ephraim müssen Zwangsarbeit leisten. Rosalie Ephraim überlebt die Strapazen nicht. Die alte Dame, inzwischen 78, stirbt – offiziell an „Altersschwäche“.
Mehr als zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Theresienstadt werden Willy und Ruth Ephraim sowie ihr kleiner Denny nach Auschwitz deportiert: in Viehwaggons, stehend, ohne Essen und Getränke.
Von der Rampe des KZ führt der Weg der drei Ephraims direkt in die Gaskammer. Ihr genauer Todestag ist nicht bekannt. Vermutlich ist es der 14. Oktober 1944.
Seit Montag leben die Ephraims in der Erinnerung der Bürger weiter. „Menden soll stolpern“, haben die Schüler auf Info-Zetteln geschrieben, die sie in der Fußgängerzone verteilen. Selbst Stunden nach dem Pressetermin bleiben Menschen an den vier Steinen stehen und lesen die Inschriften – den Rosen der Schüler sei Dank. Die Blumensprache signalisiert genau das, was Geschichte lebendig hält: Mitgefühl.