Lennestadt. Drogenabhängigkeit, Borderline und Depressionen – Kim Hork gibt ihre Tochter nicht auf. Sie liebt sie und kämpft unermüdlich für ihre Zukunft.
Als sie zwölf ist, begeht ihre Mutter Suizid. Heute weiß die 37-jährige Kim Hork aus Meggen, dass ihre Mama an schweren Depressionen litt. Eine sehr ernstzunehmende Erkrankung, die auch sie selbst in ihrem Leben aus der Bahn geworfen hat und leider auch das Leben ihrer 16-jährigen Tochter Julie bestimmt. „Wir haben schlechte Gene und müssen da irgendwie mit fertig werden“, erzählt Kim Hork im Gespräch mit dieser Zeitung, schaut ihrer Tochter dabei tief in die Augen und nimmt sie ganz fest in den Arm.
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So wie es jede Mama bei ihrem Kind tun sollte, wenn sie besorgt ist. Julie schießen die Tränen in die Augen, ihr Blick ist leer und nachdenklich. So, als würden die letzten 16 Jahre an ihr vorbeirattern, wie in einem Film – ein schlechter Streifen, denn das junge Mädchen hat sehr viel mit- und durchgemacht. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Kim Hork und ihre Tochter Julie stark genug sind, um mit anderen Betroffenen in Kontakt zu treten. Und um über psychische Erkrankungen von Jugendlichen zu sprechen, sich auszutauschen und um sich gegenseitig zu unterstützen.
Auffälligkeiten schon im Kindergarten
Großen Halt und unermüdliche Unterstützung erfährt Julie schon ihre gesamte Kindheit über von ihrer Mama Kim Hork. „Mama ist mein Fels in der Brandung“, sagt die 16-Jährige, auch wenn sie weiß, dass sie ihrer Mama in vielen Situationen großen Sorgen bereitet hat. Schon in der frühen Kindheit bemerkt die Meggenerin nämlich, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmt. „Im Alter von drei Jahren fing es an, dass Julie sich im Kindergarten respektlos gegenüber anderen Kindern verhielt und ständig störte. Die erste Diagnose lautete emotional-soziale Störung und ADHS“, erzählt die Mutter, die als Verwaltungsfachangestellte bei einer Kommune arbeitet.
Was dann folgt, ist eine lange Odyssee für die kleine Familie. „Du kannst als Familie noch so fest zusammenhalten und alles für dein Kind tun, aber am Ende bist du doch machtlos“, beschreibt Kim Hork. Mit zwölf Jahren zieht Julie in eine Wohngruppe mit anderen psychisch erkrankten Kindern und stürzt komplett ab. Sie bekommt Drogen geschenkt und probiert diese aus. „Das war der Beginn einer Drogenkarriere, um sich damit Abhilfe von ihrem Leid zu schaffen“, zeigt sich Kim Hork heute noch entsetzt. Cannabis, Speed, LSD – Julie schafft es erst über drei Jahre später in einer Entzugsklinik für Kinder und Jugendliche, von dem Teufelszeug loszukommen.
Tiefe Narben durch Selbstverletzung
Im Gespräch zeigt sie ihre Arme, die übersät sind von tiefen Narben. Schnitte, die sie sich mit Rasierklingen und anderen scharfen Gegenständen selbst zugefügt hat. Eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. In ihrem Kopf kreisen viel zu viele Gedanken – Sinneseindrücke, die sie nicht filtern kann. „Die Selbstverletzung ist wie ein Ventil, um sich selbst zu spüren“, erklärt Julie, dass sie sich oft in einem Tunnel befindet und den Drang hat, Schmerz zu spüren. Heute hilft ihr eine Brandsalbe dabei, nicht zur Klinge zu greifen, denn das sind sogenannte „Skills“, die auf der Haut den Schmerz auslösen, den Menschen mit Borderline in gewissen Situationen spüren wollen.
„Du sitzt als Mutter immer auf der Anklagebank, wenn es zu Hause Schwierigkeiten gibt, und bist immer die Schuldige. Aber ich lasse Julie nicht fallen“, kämpft Kim Hork um ihre Tochter und ihre Zukunft. Das Verhältnis der beiden ist sehr eng, liebevoll und auch verständnisvoll. Auch, wenn die 16-Jährige schon seit zwei Jahren die Schule nicht mehr besucht hat. „Julie ist zwar schulpflichtig, aber krankgeschrieben. Die Kommunikation mit der Schule wurde über die Jahre schwieriger und zuletzt haben wir nur leere Zeugnisse nach Hause geschickt bekommen“, erzählt Kim Hork. Dennoch benötigt ihre Tochter Julie eine Perspektive.
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„Ich wünsche mir einen geregelten Tagesablauf und möchte gerne etwas Soziales machen, am liebsten Rettungssanitäterin“, hat die 16-jährige Julie klare Ziele. Inwiefern das ohne einen Schulabschluss möglich ist, denn zurück an ihre alte Schule möchte und kann sie nicht mehr gehen, will die Familie nun in Beratungsgesprächen herausfinden. Gleichzeitig gründen Mama und Tochter eine Selbsthilfegruppe für Jugendliche mit psychischen Erkrankungen, die sich einmal monatlich trifft zum gemeinsamen Austausch. Hier soll das Verständnis für die Erkrankung im Vordergrund stehen, aber auch der Umgang innerhalb der Familie.
Die Gründung einer Selbsthilfegruppe ist laut Petra Weinbrenner-Dorff von der Selbsthilfekontaktstelle des Kreises Olpe gerade bei psychisch erkrankten Menschen enorm wichtig: „Aufgrund der fehlenden Ärzte, vor allem auf dem Land, ist eine Selbsthilfegruppe ein wichtiger Bestandteil unseres Gesundheitssystems, auch im Rahmen der Genesung geworden. Der Austausch unter Betroffenen und die Weitergabe von Informationen zur Erkrankung, die gegenseitige Unterstützung und das Gefühl, dass Menschen da sind, die ähnliches erfahren haben, macht die Selbsthilfe aus. Es vermittelt das Gefühl, dass Betroffene nicht alleine sind.“
Selbsthilfe-Gruppe „Family-Power“ im Kreis Olpe
Psychische Erkrankungen nehmen auch bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren stetig zu. So sprechen Studien von etwa 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland, bei denen im Laufe des Erwachsenwerdens eine psychische Gesundheitsstörung diagnostiziert wird, die zu einer gewissen Beeinträchtigung führt.
Die Diagnose einer psychischen Erkrankung beschäftigt nicht nur das Kind selbst – die ganze Familie ist betroffen und muss lernen, mit dieser Situation umzugehen. Damit verbunden ist die Suche nach Unterstützungsmöglichkeiten, sowohl in therapeutischer als auch in sozialer Hinsicht. Sich mit anderen auszutauschen, denen es ähnlich geht, kann in diesem Prozess eine große Hilfe sein.
Diese Möglichkeit möchte nun ein Mutter-Tochter-Gespann in Lennestadt bieten. Kim Horks älteste Tochter lebt mit der Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung und beide wünschen sich einen Austausch mit Gleichgesinnten. In ihrer Gruppe „Family Power“ möchten sie Eltern und ihren Kindern einen Raum geben, über die Belastungen und Herausforderungen zu sprechen. Dabei soll es sowohl Gespräche gemeinsam zwischen Eltern und Jugendlichen als auch getrennt voneinander geben.
Thema kann alles sein, was die Teilnehmenden beschäftigt: Diagnose und Therapie, Probleme in der Schule oder Ausbildung, der Umgang mit der Familie und Freunden.
Das nächste Treffen der Gruppe ist am Samstag, 29. Juni, um 15 Uhr in den Räumlichkeiten des DRK-Hauses Lendel (Lennewiesen 4) in Lennestadt-Altenhundem und soll danach einmal monatlich stattfinden, immer am letzten Samstag im Monat. Die Jugendlichen sollten zwischen zwölf und 17 Jahre alt sein.