Hünsborn. Thomas Rasche beendet zum 1. August nach 64 Jahren das Kapitel „Gasthof zu den Dreikönigen“ Er führt gleich mehrere Ursachen an.
Thomas Rasche ist allein im Thekenraum des Gasthofs „Zu den Dreikönigen“. Gerade hat er im großen Saal die Stühle umgestellt: Sie waren noch von der Bürgerversammlung zwei Abende zuvor an die Tische gerückt. Jetzt stehen sie im Halbkreis um das Klavier, denn jeden Moment werden die Sängerinnen des Frauenchors „First Ladies“ eintreffen, um hier zu proben. Wie jeden Mittwoch. Rasche zapft schon ein paar Bier an, macht aus einigen davon Radler, füllt verschiedene Wassergläser, eins mit eiskaltem, stark sprudelndem Nass, eins mit kellerkühlem Medium: Er weiß, was die Frauen trinken wollen, um ihre Kehlen für den Gesang zu befeuchten.
Seit Jahrzehnten ist der Gasthof, den draußen ein Schild als „Gasthaus der Chöre“ auszeichnet, das Zuhause des Frauenchors, und ebenso proben hier der Männerchor, der Kirchenchor, der Quartettverein „Zwölf Räuber“ und der Auswahlchor „Bel Canto“. Sie alle müssen sich nach einem neuen Zuhause umsehen, denn am 31. Juli ist Schluss. An diesem Tag wird „Halben Tom“, wie Thomas Rasche im Dorf genannt wird, den Zapfhahn zum letzten Mal herumdrehen. Nach 40 Jahren ist für ihn Schluss.
Löffel im Dom
Der Legende zufolge ist das Symbol der drei Könige auf diese Weise ins Dorfwappen von Hünsborn gekommen: Angeblich waren drei Hünsborner in Köln. Just am Gedenktag der Heiligen Drei Könige, deren Reliquien ja im Kölner Dom verehrt werden, betraten sie den Dom, in dem gerade Messe gefeiert wurde. Genau in diesem Moment soll der Priester gerade in seiner Predigt die rhetorische Frage gestellt haben: „Und woher kamen die drei weisen Männer?“, gefolgt von einer verstärkenden Pause. Die drei Hünsborner fühlten sich angesprochen. Der erste soll den zweiten angestoßen haben, flüsternd ein „Los, sech dou.“ Auch der zweite traute sich nicht und gab an den dritten weiter, der allen Mut zusammennahm und laut in die Kirche antwortete: „Mij kummen van Hünschpern un hangeln met Läëppeln!“ („Wir kommen aus Hünsborn und handeln mit Löffeln“).
Der Gasthof ist genauso alt wie er: Seine Eltern haben die „Dreikönige“ 1960 eröffnet, sein Vater hatte davor bereits im Nachbarhaus eine Gaststätte betrieben. Der Name „Zu den Dreikönigen“ hat eine besondere Bewandtnis – allerdings anders als viele denken: Es hat nichts mit der Anekdote zu tun, die die Hünsborner mit dem Kölner Dom verbinden. Thomas Rasche: „Meine Eltern haben ihre Hochzeitsreise nach Rom unternommen und auf der Hinreise zufällig in zwei Gasthöfen übernachtet, die beide ,Zu den Dreikönigen‘ hießen, und da war ihnen klar, dass ihr Gasthof auch so heißen solle.“
Dass Thomas Rasche hier als Wirt arbeiten würde, war nicht abzusehen. Sein Berufsweg war zunächst alles andere als geradlinig. Nach einer begonnenen Lehre als Zierpflanzengärtner folgte eine kurze Zeit als Berufsjäger, als Waldarbeiter, dann hatte er bei seinem Onkel Edmund Wurm am Nordring in Hünsborn eine Schreinerlehre absolviert, „und dann wurde unser Papa krank“, berichtet Rasche. Zwei seiner drei Schwestern hatten zwar den richtigen Berufsweg eingeschlagen, waren aber aus unterschiedlichen Gründen kurzfristig nicht in der Lage, den Gasthof zu übernehmen, „da blieb es an mir“, so Thomas Rasche.
Er übernahm die Leitung des elterlichen Betriebs, lernte zudem zwei Jahre lang parallel Hauswirtschaft. Inzwischen war seine Schwester Monika, die auf der Burg Schnellenberg zur Hotelfachfrau ausgebildet worden war, mit eingestiegen. „Nach neuneinviertel Jahren haben wir dann getauscht. Sie wurde Betriebsleiterin und ich Angestellter.“ Das sei für ihn die schönste Zeit gewesen, mit genug Zeit, sich um die Familie zu kümmern – inzwischen hatte Thomas Rasche geheiratet und war ins Netpherland nach Eschenbach gezogen, hatte wieder ein wenig Zeit für sein großes Hobby, den Naturschutz, den er als doppeltes Mitglied im Naturschutzbund sowohl im Kreisverband Olpe als auch in Siegen-Wittgenstein betrieb.
Vor drei Jahren aber schlug das Schicksal zu: Seine Schwester starb, und er musste wieder die Betriebsleitung übernehmen – und nun ohne die Unterstützung seiner Schwester. „Ich werde jetzt 65 und merke, dass es einfach nicht mehr geht“, so Thomas Rasche. Hinzu komme der fast tragische Wandel der Kneipenkultur. „Als mein Vater die Kneipe eröffnete, machte er noch um 9 Uhr auf, und jeden Tag war Betrieb bis in die Nacht“, erinnert sich Thomas Rasche: „Wir hatten 30 Beerdigungskaffees im Jahr, manche so groß, dass die Gäste bis in unser Wohnzimmer ausgelagert wurden.“ Inzwischen komme es vielleicht noch zweimal im Jahr vor, dass der Saal für einen Beerdigungskaffee gebucht werde.
„Ohne die Chöre ginge es gar nicht“, so Rasche, und die beiden Dart-Clubs, die zum Proben und für Turniere zu treuen Gästen geworden sind. Der Saal der „Dreikönige“ ist zudem aber auch Schauplatz von Bürgerversammlungen, Parteiveranstaltungen, ist Wahllokal und Tagungsraum. Ein zweites Standbein waren stets die zehn Fremdenzimmer, aber auch hier hat Rasche einen starken Rückgang bemerkt. „Die Leute buchen oft Zimmer über das Internet bei Privatleuten im Dorf, und die können das billiger machen, weil sie ja keine Steuern zahlen“, erklärt er. Quasi wie bestellt kommt ein Monteur und zahlt für sich und seinen Kollegen für drei Tage Unterkunft. „Das war früher normal, inzwischen ist es die Ausnahme“, so Rasche. Der Kneipenbetrieb sei fast vollständig weggebrochen, „und das, obwohl wir die letzte von früher fünf Gaststätten im Dorf sind“, so Rasche: „Treffpunkt“, „Dorfschänke“, Gasthof Wilmes, später „Caseys Kneipe“, und der Gasthof auf dem benachbarten Löffelberg haben längst die Pforten geschlossen.
Thomas Rasche hat sich die Entscheidung nicht leichtgemacht. „Inzwischen ist es im Dorf aber ‚rum“, berichtet er. „Und jetzt kommen Leute ‚rein und sagen mir, wie schade sie das finden – ich hätte mehr davon gehabt, sie wären mal auf ein Bier oder eine Cola eingekehrt.“ Doch von zahlreichen Stammtischen, die wöchentlich tagten, ist ein einziger übriggeblieben, der sich monatlich trifft. „Da ist ein solcher Wandel passiert, dafür gibt es viele Ursachen“, fasst der Wirt zusammen. „Dazu gehört auch die Preispolitik der Brauereien. Dass das Flaschenbier im Supermarkt billiger ist als ich das Fassbier einkaufe, macht es ja nicht leichter. Das muss man einem erst mal begreifen, dass er praktisch für fünf Glas Bier in der Kneipe so viel bezahlt wie für einen ganzen Kasten im Supermarkt.“
Thomas Rasche bietet seinen Gasthof zum Verkauf an. Er gibt die Hoffnung nicht auf, dass ein Käufer die Gaststätte fortführt, möglicherweise zusätzlich als Restaurant. Ein Interessent hat diesbezüglich vorgesprochen, und Thomas Rasche würde nichts mehr freuen als wenn dies klappen könnte. Doch dass er aufhört, ist unumstößlich. Wer also noch einmal echte Kneipenatmosphäre in den „Dreikönigen“ erleben möchte, hat nur noch wenige Wochen Zeit – täglich außer dienstags.
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Für den Ort ist die Schließung ein harter Schlag. Ortsvorsteherin Gertrud Quast-Koch erklärt auf Anfrage unserer Zeitung: „Es ist für ein Dorf natürlich hart, wenn der letzte Gasthof schließt“. Sie habe aber volles Verständnis für die Beweggründe. Und ist schon tätig: Gemeinsam mit den Vereinsvorständen ist sie auf der Suche nach Alternativen. Eine Option wäre in ihren Augen das Feuerwehrhaus, für das ein Neubau erstellt wird und das sie als Proben- und Veranstaltungshaus im Blick hat. Aber dazu sind noch viele Gespräche nötig.