Olpe. Es geht um 300 Liter Bier: In drei Tagen müssen die Zimmerer von Olpe nach Bernkastel-Kues gelangen. Dabei bleibt ihnen wohl nur das Gehen.
Drei Jahre und einen Tag: So lange dürfen Christoph (28) aus Essen und Randy (25) aus Eberswalde nicht in ihre Heimat zurück. Eine Bannmeile von 50 Kilometern liegt um ihr jeweiliges Elternhaus, die sie in dieser Zeit nicht überschreiten dürfen. Sie sind Gesellen auf Wanderschaft – Handwerker, die einer uralten Tradition folgen und sich nach dem Ende ihrer Lehre „auf die Walz“ gemacht haben. In der Zeit als reisende Gesellen sprechen sie unterwegs bei Zimmerleuten vor und fragen nach Arbeit, bleiben dann meist einige Wochen, bevor es weitergeht. Ziel ist, Menschen, Regionen, Sitten und Handwerksfertigkeiten zu erlernen, die an ein und derselben Arbeitsstelle nie zusammenkämen.
Mit „Stenz“ auf Tour
Christoph und Randy – die Vornamen müssen unterwegs genügen – dürfen kein Mobiltelefon dabeihaben und für das Reisen nicht bezahlen. Das heißt: Um von A nach B zu kommen, gibt es zwei Möglichkeiten: laufen oder trampen. Eine Ausnahme sind nur Interkontinentalflüge oder Schiffspassagen, die die Gesellen buchen dürfen, weil Laufen hier nun mal keine Alternative ist. Christoph und Randy gehören zur „Vereinigung der rechtschaffenen fremden Zimmer- und Schieferdeckergesellen“, so der Name ihres „Schachts“. Äußerlich schon vom Weiten an ihrer zünftigen Kleidung aus grobem Cord und dem breitkrempigen Zimmermannshut sowie dem Knotenstock, „Stenz“ genannt, zu erkennen, ziehen die fahrenden Handwerker gern in Gesellschaft umher.
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Die zünftigen Gesellen verbindet untereinander eine starke Kameradschaft, die sich über die Zeit der Wanderjahre fortsetzt. Beendet einer von ihnen nach frühestens drei Jahren und einem Tag die Tippelei und lässt sich irgendwo nieder, meldet er sich in der Sprache der Gesellen „einheimisch“. Und einen solchen ehemaligen Weggefährten haben Christoph und Randy besucht, als dieser sich in Olpe aufhielt, wo er sich tätowieren ließ. Wie der Zufall spielt, war es gerade das Wochenende des „Streetfood-Festivals“, und die beiden Reisenden sowie ein weiterer Geselle nutzten das Wochenende in der Kreisstadt.
Jamaica und Rumänien
Außer den Ständen des Festivals nahmen sie auch die Olper Gastronomie in Augenschein, und in der denkmalgeschützten Atmosphäre des Gasthofs Tillmann kam es zu einem Gespräch mit Folgen. „Wir erzählten, wo wir inzwischen überall gewesen sind“, berichtet Christoph, und das kann sich sehen- und hörenlassen: Während Randy bereits in den USA, in Kanada und auf Jamaica war, hat Christoph schon in Polen, Tschechien, Slowenien, Rumänien und Ungarn gearbeitet – und beide an vielen Orten in Deutschland. „Der Wirt wollte dann wissen, ob wir denn schon in Bernkastel-Kues gewesen seien. Das sei ein wunderschönes Fachwerkstädtchen, in dem es für uns Zimmerleute jede Menge Arbeit geben müsste. Wir waren dort alle drei noch nicht, und irgendwie muss es das Bier gewesen sein, dass wir einer verrückten Wette verfallen sind“, so Randy.
Eingeschränkter Autostopp
Der Inhalt der Wette zwischen Randy und Christoph auf der einen und ihrem Mitgesellen auf der anderen Seite: Die beiden müssen zusammen in drei Tagen von Olpe nach Bernkastel-Kues gelangen. Und zwar zu Fuß. Das sonst übliche und gern genutzte Trampen bleibt verboten. „Beziehungsweise er hat uns drei Ausnahmen genehmigt“, grinst Randy. „Wir dürfen Autostopp machen, aber nur bei Lamborghini oder Ferrari, und auch nur, wenn sie von blonden Frauen gefahren werden. Weiterhin dürfen wir auf einem Maultier oder einem Esel reiten oder uns von zwei Zwergponys schleppen lassen. Und als dritte Ausnahme hat er uns einen Hundewagen genehmigt – aber nur, wenn ihn zwölf Dackel ziehen.“ Realistisch gesehen bleibt es also wohl bei „Schusters Rappen“ als Verkehrsmittel.
Erste Etappe endet in Wissen
Und so machten sich die beiden am Gasthof Tillmann auf den Weg. Die erste Etappe: Wissen an der Sieg. Dann geht es weiter bis Neuwied, und wenn am dritten Tag tatsächlich nach 167 Kilometern Bernkastel-Kues erreicht wird, dann locken als Preis 300 Liter Bier und ein neuer „Charlottenburger“ für Randy. Dies ist das traditionelle Packtuch, in dem die fahrenden Gesellen ihr Hab und Gut mit sich tragen. Und wenn sie verlieren, dann sind 400 Liter Bier für den Wettpartner fällig – in beiden Fällen wird das Getränk aber nicht in Form von Fässern oder Flaschen an den Sieger überreicht, sondern bei einer gemeinsamen Feier „verschmort“, wie die zünftigen Gesellen es nennen.
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Denn für sie gilt: Wer hart arbeitet, der darf auch feiern. Und das Arbeiten ist ihnen alles andere als fremd. „Wenn wir in eine neue Stadt kommen, dann gehen wir üblicherweise zur örtlichen Handwerkskammer, zur Gewerkschaft oder zur Stadtverwaltung und sprechen dort zünftig vor. Oder wir gehen einfach zu irgendeinem Zimmereibetrieb. Wir werden fast überall gern genommen, es gibt Arbeit zuhauf. Wenn wir wollten, könnten wir eigentlich immer ein Jahr lang bleiben“, so Geselle Christoph. Doch das ist nicht im Sinn der Wanderjahre. Maximal drei Monate dürfen sie an einem Ort bleiben. Doch in Bernkastel-Kues, das kündigen beide an, wird erstmal drei Tage ausgeruht, bevor es wieder auf Arbeitssuche geht.