Hünsborn. Statt erwarteter 100 Fahrzeuge waren es mehr als doppelt so viele. Traktoren und Lkw werden zum Protest gegen die „Ampel“ eingesetzt.
Die Bauern sind pünktlich. Überpünktlich sogar. Eigentlich hatten die Organisatoren 8 Uhr als Zeitpunkt genannt, ab dem sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Großdemonstration in Siegen am Sammelpunkt Hünsborn einfinden sollten. Doch die ersten Ackerschlepper biegen schon fast eine Stunde vorher mit zuckenden gelben Rundum-Warnleuchten in die Rheinauer Straße ab und stellen sich entlang der Rheinauer Straße auf. Der Bürgersteig zwischen dem Bauunternehmen Arns und dem Sportplatz von „Rot-Weiß“ Hünsborn ist Minuten später bereits zugeparkt, die Ordner weisen die fast im Sekundentakt eintreffenden Fahrzeuge weiter in die Seitenstraßen und auf Parkplätze.
Es dauert nicht lange, und der gesamte Teil dieses Gewerbegebiets ist zugeparkt. Voll mit Traktoren, Sattelzugmaschinen, Baufahrzeugen – allesamt Fahrzeuge von Menschen, die nach Siegen wollen, um dort gegen die Politik der „Ampel“ zu protestieren. Den Großteil der Teilnehmer stellen die Landwirte, und hier fällt auf, dass es nicht nur die konservativen Bauern des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes sind – auf mehreren Traktoren sind auch Plakate etwa des Netzwerks „Land sichert Versorgung“ (LSV) oder des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter angebracht. Schnell beginnen die Ordner in Absprache mit der Polizei, die weiterhin kontinuierlich anrollenden Fahrzeuge auch in der Straße am Daßenborn abzustellen und auf 9 Uhr zu warten: Zu diesem Zeitpunkt soll die Kolonne geschlossen unter Polizeieskorte nach Siegen starten.
Die WESTFALENPOST im Kreis Olpe ist auch bei WhatsApp. Jetzt hier abonnieren.
Folgen Sie uns auch auf Facebook.
Bestellen Sie hier unseren Newsletter aus dem Kreis Olpe.
Alle News aufs Handy? Jetzt die neue WP-App testen.
Die WP im Kreis Olpe ist jetzt auch bei Instagram.
Mehrfach sind durchkreuzte Ampel-Schilder zu sehen und Protestplakate, die etwa den Abbau der Dieselförderung oder die Maut-Erhöhung anprangern. Eine Kundgebung gibt es in Hünsborn nicht; das alles soll in Siegen stattfinden. Und es ist auch gar nicht nötig, hier etwas laut zu sagen, denn die, die hier zusammenkommen, eint eines: die große Unzufriedenheit mit der rot-gelb-grünen Politik in Berlin.
Außer den Bauern sind auch Spediteure gekommen, denen CO₂-Bepreisung und Maut das Leben schwer machen. Die beiden Tiefbaubetriebe Hesse aus Dahl und Niggeling aus Olpe sind praktisch komplett mit Fahrzeugpark und Mannschaft gekommen. Zum einen aus Solidarität mit den Landwirten, zum anderen, weil sie die Maut ebenfalls betrifft. Ein Spediteur, der nicht genannt werden möchte, ist froh über die Initiative der Bauern: „Die haben den nötigen Mumm, der uns bisher gefehlt hat“, so der aufgrund seines Zungenschlags als Siegerländer einzuordnende Mann. Doch nun reiche es; über manche Entscheidung aus Berlin lasse sich ja sogar noch diskutieren, aber die Art und Weise der Kommunikation und das Tempo der Entscheidungen, die quasi rückwirkend wirksam erklärt würden, seien untragbar.
Einer der ersten vor Ort ist Björn Kirchhoff, der zu den Organisatoren der gesamten Großdemo gehört. Er ist um 6 Uhr im Dörfchen Pasel losgefahren, einem 250-Einwohner-Dorf, zu Plettenberg gehörend und nicht weit von Finnentrop entfernt. 45 Kilometer hatte er bis Hünsborn zu bewältigen, und da er pünktlich sein wollte und nicht wusste, wie stark der Verkehr ist, hat er sich früh aufgemacht. Um 8 Uhr, zum offiziellen Start des Treffens der Fahrzeuge, ist er begeistert, sind die anfangs erwarteten 100 Fahrzeuge doch bereits vor Ort. Doch bis um 9 Uhr die Polizei zum Aufbruch ruft, sind es deutlich mehr als doppelt so viele. Vom Oldtimer-Traktor bis zum hypermodernen Ackerschlepper mit Kameras und Bildschirmen reicht die Palette der Fahrzeuge; ein unverdrossener Bauer hat sogar seinen einzylindrigen Lanz Bulldog aus der Scheune geholt und fährt ohne Verdeck mit nach Siegen.
Bernd Eichert aus Bebbingen gehört ebenfalls zu den Organisatoren. Er ist allerdings mit dem Auto nach Hünsborn gekommen: Weil er in Siegen auf der Bühne der Protestveranstaltung im Einsatz ist, muss er vor dem Konvoi in der Krönchenstadt sein. Er stimmte sich vor Ort mit den Ordnern ab und zeigte sich äußerst zufrieden mit der Teilnahme: „Die Bandbreite zeigt, dass die Unzufriedenheit enorm ist. Es sind nicht nur wir Bauern, sondern eine breite Masse, die in Berlin dringendes Handeln erwartet“, so Eichert. Der Nebenerwerbslandwirt, einerseits stellv. Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbands Olpe, andererseits aktiv im Netzwerk „LSV“ und kommunalpolitisch in der CDU aktiv, betont, dass der Protest partei- und verbandsübergreifend sei. „Man sieht ja, wer hier alles mitfährt.“
In Gruppen stehen die Teilnehmer beisammen und warten auf den Start. Um 9 Uhr geht es pünktlich auf die Strecke: Ein Polizeiwagen setzt sich mit eingeschaltetem Blaulicht an die Spitze des Konvois und biegt in Richtung Hünsborn aus der Rheinauer Straße. In dichter Reihe folgt Traktor um Traktor, Lkw um Lkw, um im geschlossenen Verband nach Siegen zu fahren. Rote Ampeln gelten für die Teilnehmer nicht, ebenso gilt ein Hupverbot, das aber vom Großteil der Teilnehmer missachtet wird. Passanten, die in beträchtlicher Zahl an der Strecke stehen, werden lautstark zurückgegrüßt.
- Live-Ticker zur Großdemonstration in Siegen
- Für Siegen die „größte Demo aller Zeiten“
- Milchbauern fordern faire Preise
Die Fahrt geht durch Hünsborn weiter nach Ober- und Niederholzklau weiter Richtung Siegen, wo sich die deutlich über 200 Fahrzeuge aus Hünsborn mit denen zusammenschließen, die aus Erndtebrück, Netphen und Wilnsdorf ebenfalls in Kolonnen nach Siegen gekommen sind, um gemeinsam zu protestieren.