Drolshagen. Der Drolshagener Markus Pfeifer ist seit seiner Kindheit fast blind. Mit 51 Jahren bildete er sich bei der Finanzbehörde NRW weiter.

Das Schicksal von Markus Pfeifer aus Drolshagen ist alles andere als alltäglich. Der heute 51-Jährige kam fast erblindet auf die Welt. Wegen einer unheilbaren Hornhauteintrübung nahm er im frühen Kindesalter zwar noch Schatten und Farben wahr – „heute“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion, „bin ich aber faktisch blind“. Dass aus einer dunklen Umgebung aber kein düsterer Lebensweg geworden ist, liegt zum einen an hilfreichen und fördernden Institutionen, aber auch an einem Charakter, der mit Kampfgeist und Durchhaltevermögen gesegnet sein muss. Denn der Junggeselle lebt seit vielen jahren völlig selbstständig in Lüdenscheid und arbeitet ebenso lange bei der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen. Bis Mitte diesen Jahres gehörte er als Telefonvermittler zum Team des Finanzamtes Lüdenscheid. Als sich ihm aber die Chance bot, sich weiter zu bilden, ergriff der Sauerländer die Chance beim Schopf: „Es wurden im Sommer dieses Jahres zehn neue Stellen ausgeschrieben, ausschließlich für Blinde und Sehbehinderte“, berichtet er.

Ziel der Fortbildung war es, die Bewerber steuerfachlich so fit zu machen, dass sie den Steuerpflichtigen weiterhelfen können. Pfeifer schränkt allerdings direkt ein: „Wir ersetzen nicht den Steuerberater, dürfen zum Beispiel mit den Anrufern keine Steuererklärungen machen.“ Es gehe eher um allgemeine Fragen, zum Beispiel: Sind die Anträge angekommen, fehlen noch Unterlagen, und wenn ja, welche? Worauf ist zu achten?

„Gelebte Inklusion“

Seit dem 2. November 2023 ist die Hotline der Finanzverwaltung in NRW eingerichtet. Sie soll für alle rund 120 Finanzämter in NRW greifen, bis dato sind etwa die Hälfte am Netz. Bis Mai 2024 sollen es alle sein.

Dirk Günnewig, zuständiger Staatssekretär im Finanzministerium NRW, nennt das Projekt „gelebte Inklusion“. Und die Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg. Markus Pfeifer gehörte in der Telefonvermittlung bisher zum einfachen Dienst, jetzt ist er in den Mittleren Dienst aufgestiegen.

Die Finanzverwaltung gehe beim Thema Inklusion stark in Vorlage, lobt Achim Könkels von der Hauptschwerbehindertenvertretung: „Wir haben etwa 3.300 Menschen mit Schwerbehinderung in der Finanzverwaltung beschäftigt. Das entspricht einer Quote von 9,9 Prozent.“ Ein Schnitt, der weit über dem in der übrigen Landesverwaltung liege. Quelle: dpa

Drei Monate musste der 51-jährige noch einmal die Schulbank drücken, dann war er „Agent im telefonischen Bürgerservice“. „In erster Linie sollen wir unsere Sachbearbeiter entlasten“, klärt er auf, „denn der Telefon-Andrang bei den Finanzbehörden ist enorm hoch.“ Bei seiner neuen Arbeit hilft ihm eine spezielle Software, aber auch blindenspezifische Hardware: „Mit Hilfe einer Blindenschriftzeile habe ich Texte sozusagen unter den Fingern, es ist aber auch möglich, sich Texte vorlesen zu lassen.“ Denn oftmals müsse er nachschlagen, wenn er Fragen nicht sofort beantworten könne. „Manchmal“, räumt er ein, „stoßen unsere Programme auch an Grenzen.“

Lebensweg eines Blinden

Der Lebensweg des Drolshageners war beileibe kein leichter. Denn als Sechsjähriger musste er bereits seiner Familie weitgehend Adieu sagen: „Mit Beginn des ersten Schuljahres besuchte ich die von-Vincke-Schule, ein Internat für Blinde und Sehbehinderte in Soest. Nach Hause, zu meiner Familie nach Drolshagen, konnte ich nur an den Wochenenden“, erinnert er sich an schwierige Anfangsjahre. Doch heute zieht Pfeifer ein eher positives Fazit: „Man lernt dort, selbstständig zu werden.“ Die weitere Schullaufbahn führte den Drolshagener aufs Konrad-von-Soest-Gymnasium, das sich schon in den 80er Jahren auf den Weg in die Inklusion machte, später wieder in die von-Vincke-Schule. Nach der Mittleren Reife absolvierte er die gymnasiale Oberstufe im Fachbereich Wirtschaft und eine Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation. „Direkt danach konnte ich die Stelle beim Finanzamt in Lüdenscheid antreten, wo ich 26 Jahre an der Telefonvermittlung gearbeitet habe.“

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In Lüdenscheid lebt er bis heute. Mit seinem Gehstock und dem antrainierten Können kann er sich selbstständig im Stadtleben bewegen: „Ich bin viel zu Fuß oder mit dem Bus unterwegs.“ Dabei habe er mit den Jahren und speziellem Mobilitätstraining eine Routine entwickelt.

Markus Pfeifer mit seiner speziellen Tastatur, Kopfhörern und dem Gehstock in Reichweite.
Markus Pfeifer mit seiner speziellen Tastatur, Kopfhörern und dem Gehstock in Reichweite. © dpa | Oliver Berg

Auf meine Frage, wie sich Sehende gegenüber Blinden im Zweifelsfall verhalten sollten, wenn sie unsicher seien, gibt er einen einfachen Tipp: „Einfach fragen. Fragen ist nie verkehrt, ob jemand Hilfe braucht und sie auch will. Lieber einmal zu oft fragen als zu wenig.“ Im Umgang mit seinen Mitmenschen, lobt Pfeifer, habe er ganz selten negative Erfahrungen gemacht.

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Neben seiner Arbeit engagiert sich der Drolshagener ehrenamtlich in Blinden- und Sehbehinderten-Verbänden, ist auch in Vorständen aktiv. „Aber ich reise auch gerne, bin dann viel mit der Bahn unterwegs.“ Darüber hinaus ist Pfeifer begeisterter Fußball-Fan. Wenngleich er momentan eher weniger zu lachen hat: „Ich bin Fan von Schalke 04“, sagt er, „habe auch schon oft im Stadion die Spiele verfolgt.“ Obwohl er das Geschehen auf dem Rasen nicht sehen kann, saugt er die Stimmung, die ganz besondere Atmosphäre in der Schalker Arena, auf: „Es gibt auch spezielle Kopfhörerplätze für Blinde, auf denen man eine Reportage wie im Radio mitverfolgen kann.“ Leider gebe es nur einige wenige dieser Plätze, die stets ausverkauft seien: „Da ist nicht so einfach dran zu kommen.“

Aber auch in Drolshagen, bei seiner Familie und Bekannten, lässt sich der 51-Jährige an den Wochenenden regelmäßig blicken. Dass dann wohl auch die eine oder andere Steuerfrage zu beantworten sein dürfte, stört den Drolshagener vermutlich nicht.