Olpe. Sängerin Jasmin Nell bekennt sich im neuen Song „Bis zum Mond“ zu ihrer Bipolaren Störung – die Musik hat ihr in schweren Zeiten Halt gegeben.

Musikerin Jasmin Nell hat in ihrem Leben schon viel durchgemacht. In den dunkelsten Zeiten hat ihr die Musik Halt gegeben. Inzwischen hat die 26-Jährige Olperin mit „Bis zum Mond“ ihre zweite Single herausgebracht – darin singt sie offen und ehrlich über ihre eigene psychische Erkrankung. Im Interview mit unserer Zeitung erzählt sie, was sich bei ihr alles getan hat.

Das Singen ist schon lange Teil Ihres Lebens: Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Ich habe im Grundschulalter angefangen Gitarre zu spielen und viel von meiner Mama gelernt, die auch sehr musikalisch war. Ich hatte in der Grundschule mal einen kleinen Auftritt und auch in der Stadthalle in Kreuztal. Das hat dann aber irgendwann nachgelassen, weil mein Selbstvertrauen nicht mehr so groß war. Ich habe mich versteckt, zurückgezogen und relativ wenig Musik gemacht, aber es war immer in mir drin. Zuhause habe ich natürlich für mich allein weiter Musik gehört. Ob im Auto oder Zuhause, ich habe für mich alleine weitergesungen. Aber eben so, dass es niemand hören konnte. Ob Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte waren – das Singen war mir einfach unangenehm.

Gibt es in Ihrem Leben noch etwas anderes als die Musik?

Ich arbeite im Moment im Nebenjob als Verkäuferin und habe Erwerbsminderungsrente beantragt – zusätzlich einen Schwerbehindertenausweis bekommen. Wie es weitergeht, kann ich nicht sagen. Ich versuche das so beizubehalten. Ich habe gemerkt, dass Vollzeit arbeiten, für mich nicht machbar ist. Eigentlich bin ich eine total ehrgeizige Person, die sich für viel interessiert und auch viel macht, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem mir die Kraft ausgeht.

Jetzt ist schon Ihre zweite Single auf dem Markt. Ist das überhaupt noch etwas Besonderes für Sie?

Von der Herangehensweise kenne ich mich inzwischen gut aus, aber die Single, die jetzt rausgekommen ist, war der erste deutsche Song den ich geschrieben habe. Natürlich ist man ein bisschen routinierter und weiß schon, wie die Produktion und das Rekording im Tonstudio abläuft. Ich bin nicht mehr so nervös, weil man weiß wie es funktioniert. Es ist aber trotzdem immer total aufregend.

Sie hatten also Schwierigkeiten ihre Stimme vor Publikum zu präsentieren. Was hat sich nun geändert?

Ungefähr vor zwei bis drei Jahren hat sich alles bei mir verändert. Als ich stationär aufgenommen wurde, habe ich wieder mehr mit der Musik angefangen, weil ich einfach gemerkt habe, dass es mir in meiner schweren Zeit Kraft gibt. Ich hatte immer eine Gitarre mit auf der Station und habe dann da auch Musik gemacht, positive Rückmeldung bekommen und gemerkt, dass es eine Sache ist, die mir Kraft gibt, mich ablenkt und mir dabei hilft, meine Gefühle zu verarbeiten. In dem Jahr habe ich auch angefangen meine erstes Lied „Bis zum Mond“ zu schreiben, was jetzt seit kurzem draußen ist.

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Ihre beiden Singles drehen sich um Ihr Leben, ist das Absicht?

„Deine Nähe“ - da ging es um eine Trennung, Betrug und die Gefühle, die damit einhergehen Absolut, ich habe oft gemerkt, dass ich mich Abends, wenn es mir total schlecht geht, einfach hinsetze und anfange zu schreiben. Ich habe sofort gemerkt, nachdem ich es verfasst habe, dass es mir schon viel besser geht. Ob es eigene Songs oder Covers sind, da geht es darum, die Gefühle herauszulassen und nicht darüber nachzudenken, wie man es vielleicht sonst tun würde.

Sie gehen auf das Krankheitsbild Bipolare Störung und Depression ein. Gibt es etwas, was Sie Ihren Hörern mitgeben wollen?

In den Song geht es um die unterschiedlichen Phasen, die man haben kann. In den Strophen geht es um Ängste und Orientierungslosigkeit, dass der Kopf einfach komplett voll ist und man nicht weiß, was man denken soll. Der Refrain zeigt, dass es im Gegensatz aber auch die Euphorie gibt, die ganz wichtig im Leben ist. Einerseits erlebt man damit das Positive, aber andererseits ist es für mich auch etwas Negatives, weil die Euphorie bei mir auch zu groß werden kann und mich belastet. Ich möchte im Song offen sein und Menschen aufzeigen, wie sich das anfühlen kann.

Im Song „Bis zum Mond“ sprechen Sie Ihre Bipolare Störung offen an – wie ist es zur Diagnose gekommen?

Ich habe bestimmt drei Jahre lang gemerkt, dass es mir nicht so gut geht. Es wurde immer schlechter. Ich war völlig orientierungslos und bin manchmal Auto gefahren, bis Momente kamen, wo ich mich gefragt habe, wo bin ich. Auch auf der Arbeit bin ich zusammengebrochen und habe nur noch geweint. Es haben sich so viele Ängste entwickelt. Nach einem Gespräch mit meinem Hausarzt bin ich sofort stationär aufgenommen worden. Dann kam die Diagnose schwere Depression und Panikstörung. Die vielen eingesetzten Medikamente führten zu manischen Phasen. Depressionen gehören zur bipolaren Störung dazu – es gibt die sehr negative und sehr positive Seite. Im Endeffekt kommt es zu viele unterschiedlichen Ausprägungen von bipolaren Störungen. Für mich persönlich war es am Anfang unglaublich schwer, die neue Diagnose anzunehmen, weil ich mir dachte, es geht mir doch eigentlich gut und ich kann lachen, doch es wird mir verboten und ist auch falsch. Mit der Zeit hat sich das nach einer mehrmonatigen Therapie gegeben, denn irgendwann lernt man sich besser kennen.

Hat Ihnen die Musik dabei geholfen, wieder im Leben anzukommen?

Die Musik hat mir wahnsinnig viel geholfen. Sie war eine Art Herausforderung für mich – weil sie sehr viel im Leben einnimmt und mich aus der Komfortzone rauskommen lässt. Ich habe mich dadurch immer mehr getraut, Menschen meine Kunst zu zeigen. Ich habe positive Rückmeldung bekommen und irgendwann gemerkt, dass es mir gut tut, bei den Menschen ankommt und allen weiterhilft. Ich habe mich ein stückweit damit selbst herausgefordert und hochgearbeitet.

Nun sind die ersten Singles erschienen. Was sind Ihre persönlichen Ziele für die Zukunft?

Ich will einfach immer mehr Menschen mit der Musik erreichen. Natürlich hoffe ich auch auf mehr Auftritte. Hauptsächlich möchte ich aber mehr über dieses Tabuthema sprechen. Viele Menschen können immer noch nichts damit anfangen und reagieren negativ. Viele Mitpatienten hatten Angst über das Thema zu sprechen. Bei denen wussten nicht mal die engsten Freunde oder der Arbeitgeber, dass sie erkrankt sind. Ich finde man sollte sich nicht dafür schämen und ich habe gemerkt, dass es hilft, offen damit umzugehen und sich nicht zu verstellen.

Aktuell gibt es in ganz Deutschland kaum noch freie Therapie-Plätze. Was würden Sie Personen raten, die eine psychische Veränderung bei sich feststellen?

Auf jeden Fall sollte man sich nicht schämen, Hilfe zu suchen. Auch der Hausarzt kann einen schon weiterhelfen. Außerdem ist es wichtig, sich mit dem richtigen Menschen zu umgeben. Manchmal bedeutet das auch, dass man sich von bestimmten Menschen abgrenzen muss. Wenn man merkt, dass die Person einem nicht guttut oder sie damit nicht umgehen können. Es tut immer gut, sich mit Hobbys zu beschäftigen, auch wenn es mit der Erkrankung ab und zu schwerfällt.

Seit kurzem sind Sie von Kreuztal nach Olpe gezogen, wie kam es dazu?

Ich finde Olpe einfach als Stadt total schön. Ich mochte schon immer Seen und finde die Umgebung gemütlicher als im Siegerland. Deshalb fühle ich mich hier total wohl und will auch nicht mehr weg.

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