Siegen/Olpe. 52-jähriger Olper steht wegen zahlreicher Delikte vor Gericht. Jetzt ist ein Urteil gefällt worden, mit dem keiner gerechnet hat.
Für gleich zwei Überraschungen sorgte der von vielen Prozessbeobachtern mit Spannung erwartete Tag des Urteil im Strafverfahren gegen einen 52-jährigen Olper wegen einer ganzen Reihe von Delikten: Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung und Körperverletzung standen auf der Anklageliste. Die Überraschungen: Die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach verdoppelte die von Staatsanwalt Jan Lipka geforderten acht Monate Gefängnisstrafe auf ein Jahr und vier Monate. Um aber gleich drei Monate wieder abzuziehen. Weil sich das Verfahren „rechtsstaatswidrig“ zu sehr in die Länge gezogen habe. Hintergrund: Anklageunterlagen zu Straftaten, die schon in 2018 begangen worden seien, führten zu keinem zeitnahen Verfahren. Unklar blieb, ob der Grund dafür gewesen sein könnte, dass zahlreiche Straftaten über einen längeren Zeitraum gesammelt werden sollten, um die dauerhafte Einweisung des Angeklagten in die geschlossene Psychiatrie zu forcieren.
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Auch das wäre, so Richterin Dreisbach, rein theoretisch denkbar gewesen. Deshalb sei das Verfahren auch beim Landgericht gelandet und nicht beim Schöffengericht Olpe. Der Einweisung nach Paragraf 63 Strafgesetzbuch erteilte Dreisbach aber eine klare Absage. Mehrere der angeklagten Taten hätten eher Bagatellcharakter, für eine solch schwerwiegende Entscheidung seien aber auch extrem schwerwiegende Taten die Voraussetzung. Wobei sie die fortgesetzten Straftaten des Angeklagten nicht verharmlosen wolle.
Im Affekt schuldunfähig
Verurteilt wurde der 52-jährige wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Beleidigung, Sachbeschädigung und Bedrohung sowie wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Gemeint waren Pöbeleien gegen Polizisten, die u. a. als „Kinder Adolfs“ beschimpft wurden. Einige Delikte waren mehrfach angeklagt und durch die Beweisführung bestätigt worden.
Der entscheidende Punkt, warum das Urteil angesichts der Fülle der Anklagepunkte so milde ausfiel, hing mit dem psychiatrischen Gutachten von Dr. Thomas Schlömer zusammen. Nach dessen Ausführungen leide der Angeklagte unter einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und sei vor allem im Affekt völlig schuldunfähig.
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Vor diesem Hintergrund unterschied das Gericht bei jedem angeklagten Delikt peinlich genau: Wann sei dem Angeklagten die Affekthandlung zuzubilligen und wann nicht. Denn für eher geplante Taten sei nicht von völliger Schuldunfähigkeit auszugehen.
Deutlich wurde das am Beispiel der schweren Beleidigung und Bedrohung der Bürgermeister-Sekretärin im Olper Rathaus. Der Gang ins Rathaus sei vernunftorientiert geplant gewesen und wegen des Hausverbots ein Hausfriedensbruch. Als sich die Kontroverse mit der Sekretärin aber zugespitzt habe, weil die den Angeklagten nicht zum Bürgermeister habe durchlassen wollen, seien die Beleidigungen im Affekt passiert. Die Folge: schuldunfähig im Affekt.
Dieses Muster wiederholte sich in der Urteilsbegründung mehrfach: Auch die heftigen Wut- und Gewaltausbrüche gegenüber Türstehern vor der Gaststätte „Grotte“ in Olpe wurden unterschiedlich bewertet. Einmal sei der Angeklagte eher zufällig in den Streit mit einem Türsteher geraten und habe im Affekt sozusagen durchgedreht, eine Woche später aber sei er planmäßig gegen einen anderen Sicherheitsmitarbeiter vorgegangen. Hier müsse höchstens von einer verminderten Schuldunfähigkeit ausgegangen werden.
Keine positive Sozialprognose
Unterm Strich fielen zwar viele Anklagepunkte dieser Systematik zum Opfer, einiges blieb aber strafwürdig. So auch der geplante Auftritt in der Redaktion der Westfalenpost, als der Angeklagte mit dem Artikel eines Redakteurs nicht einverstanden war und deshalb geplant in der Redaktion auftauchte und lautstark herumpöbelte und drohte.
Richterin Dreisbach wertete zu Gunsten des Angeklagten dessen schwierigen Lebenslauf, private und berufliche Probleme, sein Teilgeständnis und sein tadelloses Auftreten im Gerichtssaal. Dennoch hob sie auch hervor, dass es sich bei den Gesetzesbrüchen um eine schier endlose Geschichte handele: „Seit einigen Jahren ist das so, und es passiert immer und immer wieder.“ Von Strafen zeige sich der mehrfach vorbestrafte Angeklagte unbeeindruckt. „Eine positive Sozialprognose können wir nicht stellen. Dafür ist hier auch viel zu viel geschehen.“
Strafverteidiger Andreas Trode (Iserlohn) zeigte sich nach der Urteilsverkündung zufrieden. Auch, wenn das Gericht nicht seinem Antrag gefolgt war. Trode hatte sich in seinem Plädoyer Staatsanwalt Jan Lipka und dessen acht Monaten Gefängnis angeschlossen, aber im Gegensatz zu Lipka eine Bewährung gefordert. Das hätte bedeutet, dass der Angeklagte das Landgericht als freier Mann verlassen hätte.