Milstenau. Seit 1936 befindet sich der alte Backes in Attendorn-Milstenau im Besitz der Familie Richard. Genutzt wird es seit Jahrzehnten nicht mehr.
Die Brennnesseln fressen sich hüfthoch in das alte Mauerwerk. Die Holztür des ehemaligen Backes im Attendorner Ortsteil Milstenau, deren Rahmen sich tatsächlich wie das Mauerwerk noch im Originalzustand befindet, lässt sich nur mit Kraft öffnen. Zuvor muss allerdings Winfried Richards Neffe herhalten, um den richtigen Schlüssel für das große Vorhängeschloss zu finden. Er findet ihn. Und doch mag diese kurze Schloss-Suche wie ein Beweis dafür herhalten, dass schon lange kein Mitglied der Eigentümer-Familie Richard dem alten Häuschen auf der ungemähten Wiese einen Besuch abgestattet hat.
Altes Backes in Milstenau – so sieht es im Inneren aus
Dabei befinden wir uns an einem Ort mit Geschichte. Diese Geschichte wird greifbar, sobald die Tür geöffnet ist und wir einen Blick in den schätzungsweise 20 Quadratmeter großen Backes werfen können. Offenbar im Jahr 1690 erbaut – darauf lässt zumindest das Wappen über der Holztür schließen –, trifft man im Inneren auf das Herzstück: auf einen riesengroßen Backofen, der laut Winfried Richard Platz für etwa 40 Brote bot. Heute lagert hier Holz. Davor stehen ein Tisch und Sitzbänke, alte Lampen und Bilder hängen an der Ziegelstein-Wand. Vieles hier ist noch so wie Ende des 17. Jahrhunderts, nur der Oberbau des Gebäudes wurde neu aufgebaut, vor vielen Jahrzehnten. So ganz genau kann Winfried Richard das nicht sagen, er besitzt keine Unterlagen. Im Stadtarchiv findet sich zwar ein Nachlass seines verstorbenen Vaters Max, allerdings bislang „nur“ in Kartons verpackt und noch lange nicht digital erfasst.
1936 in den Familienbesitz übergegangen
Klar ist aber: Seit 1936 ist die Familie Richard im Besitz der angrenzenden Hofes, und somit auch im Eigentum dieses Backes, der aus Sicherheitsgründen (Feuergefahr) nicht direkt auf dem Hof steht. Zuvor war das Anwesen die Domäne vom Grafen von Plettenberg und anschließend ein Kloster, ehe es Mitte der 1930er Jahre in den Privatbesitz der Familie Richard überging. Nachdem dieser alte Backes jahrelang als Unterschlupf für auf der Wiese grasenden Schafe diente, fasste sich Winfried Richards Vater, von Beruf Landwirt, ein Herz und wollte das alte Backes in seiner Funktion wiederbeleben.
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„Um die Jahrtausendwende muss er angefangen haben, wieder Brote dort zu backen. Dafür hatte er sogar den Ofen wieder aufgebaut“, erinnert sich Sohn Winfried. Ein paar Mal habe er sich versucht, um das Backen dann wieder aufzugeben. Eine Sache wird Winfried Richard aber nicht mehr vergessen: Offenbar hatte sein Vater beim Wiederaufbau des Ofens vergessen, einen funktionsfähigen Rauchabzug einzubauen. „Deswegen qualmte es beim Brotback-Versuch plötzlich aus allen Ritzen.“
Zum Glück endete dieses Missgeschick nicht in einem Vollbrand. Wie das Brot im Backes entstand, das weiß Junior Richard heute noch sehr genau: Und zwar mit Hilfe eines Direktfeuers, das ziemlich genau einen Tag brannte. Anschließend wurden Glut und Asche aus dem Ofen herausgeholt und das Brot eingeschoben. Der Backvorgang dauerte schließlich rund vier Stunden.
Vergessene Orte
„Lost places“ – ein Pseudoanglizismus, also ein englischer Begriff, den aber in England niemand verwenden würde. In Deutschland ist „Lost Places“ inzwischen ein feststehender Begriff für verlassene Bauwerke oder Liegenschaften, die von ihren Besitzern nicht mehr genutzt werden und aufgegeben sind. Ob Wohnhaus, Fabrik, Bergwerk, Steinbruch oder Friedhof – auch im Kreis Olpe gibt es diese Stätten, oft schon zu Ruinen verkommen, die für viele Menschen einen besonderen Reiz ausstrahlen. Anders als beispielsweise Industriedenkmäler sind sie nicht dokumentiert, nicht für Besucher geöffnet, es sind keine gesicherten Orte mit Hinweisschildern und Sitzbänken wie etwa die Ruine Waldenburg. In unserer diesjährigen Sommerserie werden wir uns dienstags und donnerstags mit solchen Stätten befassen, die nahezu im gesamten Kreisgebiet zu finden sind – manchmal gut verborgen, von der Natur ganz oder teilweise zurückerobert, manchmal auch präsent mitten in einem Dorf, dennoch verlassen und dem Verfall preisgegeben.
Dass sein Vater jedoch nur kurzzeitig den alten Backes zum Leben erweckte, wird auch damit zusammenhängen, dass die Familie im Keller des eigenen Hofes einen großen Steinofen besitzt. Hier habe Senior Richard mit einem Bäcker aus Heggen Brot gebacken. Für Winfried Richard selber war es nie eine ernsthafte Option, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und wieder Brote im alten Backes in Milstenau zu backen. Und so wird dieses Gebäude auch in Zukunft wohl nicht mehr sein als ein Gebäude mit Geschichte, an dessen Mauerwerk sich die Brennnesseln ungehindert hochfressen.