Kreis Olpe. Die jüngst angedrohte Krankenhausreform wird auch den Kreis Olpe betreffen. Doch welche Klinik-Standorte sind wirklich gefährdet?
Es klingt beängstigend, was Ingo Morell auf die Frage antwortet, wie es um die Krankenhauslandschaft im Kreis Olpe bestellt sei, wenn die jüngst angedrohte Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Wirklichkeit werden sollte: „Wenn man das eins zu eins umsetzt, gibt es im Kreis Olpe kein Krankenhaus mehr, wie wir es heute kennen. In nackten Zahlen für ganz NRW ausgedrückt: „Von 358 Krankenhaus-Standorten würden nur noch 83 übrig bleiben. Eine Umsetzung in dieser Form kann ich mir nicht vorstellen.“
+++ Lesen Sie hier: Der große Medizin-Check im Kreis Olpe - Alle Infos im Überblick +++
Vorstoß von Lauterbach irritiert
Ingo Morell weiß, wovon er redet. Der 64-jährige Diplom-Kaufmann ist in der Branche ein alter Hase. Als Geschäftsführer der Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe (GFO) war er jahrzehntelang hautnah mit dem Betrieb der GFO-Krankenhäuser befasst, aktuell gehört er noch zur Geschäftsleitung der Gesellschaft, ist Geschäftsführer der Maria-Theresia-Bonzel-Stiftung, also des Krankenhausträgers. Ganz wesentlich: Morell steckt mittendrin in der Krankenhausreform, die NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann seit etwa drei Jahren auf die Schiene gesetzt und angeschoben hat. Dort wirkt Morell als Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW und der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit.
+++ Lesen Sie hier: Kommentar - Wie viele Krankenhäuser im Kreis Olpe werden übrigbleiben? +++
Was den gebürtigen Kölner ebenso hart traf wie viele andere Krankenhaus-Manager, setzte in den vergangenen Tagen zum Parforceritt durch sämtliche deutschen Medien an: Karl Lauterbach machte allen Bundesländern und deren Gesundheitspolitikern klar, wer „Herr im Haus“ sei. Seine Krankenhausreform sei diejenige, die gelten werde. Versuche NRW-Minister Karl-Josef Laumann, so die Drohung aus Berlin, seine NRW-Reform im Alleingang durchzuziehen, drehe der Bund den Geldhahn zu. Der Bund allein, so Lauterbach, werde mit seiner Reform festlegen, welches Krankenhaus welche Leistungen bringen dürfe. Ganz wesentlich: Jedes Krankenhaus erhalte eine Art Stempel, im Reformjargon „Level“ genannt.
Und genau da hakt Ingo Morell mit Blick auf die Zukunft der hiesigen Krankenhäuser ein: „Es gibt nach der Lauterbach-Reform grundsätzlich drei Hauptlevel, die ein Krankenhaus erreichen kann. Das höchste ist Level 3, das erreichen in der Regel nur große Uni-Kliniken mit einer Maximalversorgung. Die bieten so ziemlich alles an, von der Neurologie mit Schlaganfall-Sofortbehandlung (Stroke Unit) über die Geburtsstation, die Herzchirurgie bis hin zur Orthopädie, der Kardiologie, Onkologie und vielem mehr.“ Deren Erhalt sei nicht nur gesichert, diese Häuser würden vermutlich eher vergrößert. Auch Krankenhäuser mit dem Level 2 könnten sich vermutlich noch auf der sicheren Seite wähnen. Aber, so Morell mit Blick auf das Martinus-Hospital in Olpe: „Um dieses Level zu erreichen, benötigt ein Krankenhaus eine Neurologie mit Stroke Unit. Da nützt es zum Beispiel nichts, wenn wir eine erfolgreiche Geburtsklinik und leistungsfähige Kardiologie haben, auch wir wären in Olpe gefährdet.“ Denn Häuser ohne dieses Mindestangebot würden in das Level 1 eingestuft: Zukunft (vermutlich) ungewiss, Bestand gefährdet. Morell: „Wir wissen nicht einmal genau, welche Patienten für solche Level 1-Häuser noch übrig bleiben sollen.“ Auf die Frage, ob das Martinus-Hospital eine Neurologie mit Stroke Unit angliedern könne, um ins Level 2 aufzusteigen, zögert Morell keine Sekunde: „Eine Stroke Unit lässt sich so schnell nicht realisieren.“
Jenseits solcher Katastrophen-Szenarien vor allem für ländliche Gebiete hofft Morell, dass Lauterbach zur Vernunft kommen und zurückrudern werde. Ein Anfang in diese Richtung sei bereits gemacht: „Herr Lauterbach hat auf dem Krankenhausgipfel in Berlin versöhnlichere Töne angeschlagen und gesagt, dass es ein gemeinsames und abgestimmtes Gesetz geben soll. Zudem seien die Vorarbeiten in NRW eine gute Grundlage für die Bundesregierung.“
Krankenhausvertreter reagieren
Aber: „Eine Woche vorher, bei der Pressekonferenz mit NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty, hat Lauterbach noch das Gegenteil behauptet. Darauf haben wir als Krankenhausvertreter sehr allergisch reagiert: „Das war ein Unding.“ Innerhalb von drei Tagen hätten mehrere an der NRW-Reform Beteiligte ein gemeinsames, klares Statement gegen die Äußerungen des Bundesgesundheitsministers abgegeben. Morell: „So eine Einigkeit unter allen Betroffenen, also bei den Landesverbänden der Krankenkassen, allen Ärztekammern, der Krankenhausgesellschaft und dem NRW-Gesundheitsministerium habe ich noch nie erlebt. Alle haben eindeutig Position gegen Lauterbach bezogen und zum Ausdruck gebracht, dass sie an den NRW-Reformplänen festhalten.“
+++ Lesen Sie hier: Kreis Olpe – Großes Ehrenzeichen für das Impfzentrum-Team +++
Morell weiter: „Wir sind in NRW seit drei Jahren mit dieser Krankenhausplanung beschäftigt. Auch während der Pandemie. Ich möchte hervorheben, dass der Kreis der Mitwirkenden breit gestreut ist. Es sind Fachleute der Ärztekammern, der Kassen, der Krankenhausgesellschaft und des Ministeriums unter anderem am Tisch. Der Startschuss war ein Gutachten, das das NRW-Gesundheitsministerium bei den Unternehmensberatern Lohfert & Lohfert aus Hamburg in Auftrag gegeben hat, die auf den Betrieb von Krankenhäusern spezialisiert sind.“ Trotz gegensätzlicher Interessen der Beteiligten, so Morell, habe die Kommission einen Kompromiss gefunden: „Schließlich haben alle gesagt: Das tragen wir mit.“
Bis dahin hätten unendlich viele Sitzungen stattgefunden. „Es gab unterschiedlichste Gremien, aber die Kern-Arbeitsgruppe hat rund 60 Termine gehabt“, macht Morell deutlich, welches Engagement das Ministerium um Minister Laumann in dieses Projekt gesteckt habe. Verwundert und skeptisch zeigt sich Morell über das Tempo, das Lauterbach jetzt vorgebe: „Wir haben dafür drei Jahre benötigt, Lauterbach möchte das in einem halben Jahr durchziehen.“
Gravierende Existenzsorgen
Das derzeitige Kernproblem der Krankenhäuser sei, mit dem zur Verfügung gestellten Budget für alle Betriebskosten (Personal, Unterbringung, Essen etc.) existieren zu können: „Die Budgets der Krankenhäuser dürfen 2023 im Vergleich zum Vorjahr maximal um 4,3 Prozent steigen. Alle Kostensteigerungen über diesen 4,3 Prozent muss ein Krankenhaus selbst aufbringen, also einsparen.“ Auf Dauer sei das kaum machbar.
Krankenhauspleiten seien vorprogrammiert: „Wir werden dieses Jahr mindestens 8 Prozent Inflation bei den Sachkosten haben, unter anderem für Energie, Essen, Transport. Und Tarifsteigerungen mindestens jenseits der 5-Prozent-Marke. Also haben alle eine Unterdeckung.“
Eigentlich könne ein Krankenhaus das nur auffangen, indem es mehr Patienten durchs Haus schleuse und mehr „Fallpauschalen“ bekomme.
Das wolle eigentlich niemand mehr, Laumann nicht, Lauterbach auch nicht. Aber: „Was Lauterbach genau will, wissen wir noch nicht“, moniert Morell, „wir warten auf konkrete Antworten. Da reicht es nicht, wenn vage von Entökonomisierung gesprochen wird. Er grätscht den Ländern in die Krankenhausplanung, möchte bestimmen und die Krankenhäuser bundesweit einkategorisieren, in die bereits genannten Level. Damit greift er massiv in die Krankenhausplanung der Länder ein.“
Überraschend für die Länderkommissionen sei, „dass Lauterbach das im stillen Kämmerlein gemacht hat. Mit Wissenschaftlern und Fachleuten, die sich dann am grünen Tisch etwas ausgedacht haben, wo weder Krankenkassen, Länder- oder Krankenhausgesellschaften gehört wurden. Dieses Bundesgremium hat sich dann etwas überlegt und mitgeteilt, das ist jetzt die Blaupause für ganz Deutschland.“ Auch NRW-Gesundheitsminister Laumann hatte die Lauterbach-Reform medial bereits heftig abgekanzelt. Die Länder bräuchten keine Reform am Reißbrett von oben, die wie eine Brechstange auf gewachsene Strukturen wirke. Vielmehr müssten die Länder Handlungsspielräume haben, die es bei der Lauterbach-Reform nicht gebe. Aber: „Hier zeichnet sich nach den aktuellsten Äußerungen ein Umdenken ab. Jetzt bezeichnet er das zunächst vorgelegte Konzept als veraltet und lobt den Ansatz aus NRW sogar als gute Grundlage für die weiteren Gespräche zwischen Bund und Ländern. Das lässt hoffen, dass das Schreckens-Szenario für den Kreis Olpe so nicht eintreten wird.“
Für den Kreis Olpe trotzdem optimistisch
Der Grundsatz der geplanten NRW-Reform, so Morell abschließend, sei, dass nicht jedes Krankenhaus alle medizinischen Disziplinen abdecken müsse, sich jedoch auf bestimmte medizinische Disziplinen spezialisieren solle. „Wer eine gute und erfolgreiche Geburtsklinik im Haus hat, muss nicht auch eine Top-Herzchirurgie oder Neurologie haben, um bestehen zu dürfen“, appelliert Morell.
Auf die Frage, wie viele Krankenhaus-Standorte nach der NRW-Reform in fünf oder zehn Jahren noch Bestand hätten, sagte Morell: „Es wird eine Reduzierung von Krankenhausstandorten und eine Änderung der Leistungsangebote in den Krankenhäusern geben. Ich hoffe aber, dass die Politik es ernst meint und die ländliche Versorgung dabei nicht vergessen wird. Für die Situation im Kreis Olpe bleibe ich trotz allem optimistisch.“
Krankenhaus-Reform im Kreis Olpe - Weitere Positionen
- Die künftige Krankenhausstruktur in NRW stand auch im Blickpunkt eines Besuches der Attendorner Kinderärztin und SPD-Bundestagsabgeordneten Nezahat Baradari in Lennestadt. Dort war sie zu Gast im St. Josefs-Hospital, dem kleineren Krankenhaus im Verbund der GFO-Kliniken im Kreis Olpe. Baradari stellte klar, dass der Strukturwandel im Krankenhausbereich schon lange geplant sei, „aber dann kam Corona dazwischen“. Es sei wichtig, die medizinische Qualität zu sichern, ohne dass ein Kahlschlag geschehe: „Wir müssen eine Reform durchführen, die den Krankenhäusern dennoch ihre Flexibilität lässt. Starre Vorgaben sind nicht zielführend.“ Aber: „Die Krankenhauslandschaft braucht eine Veränderung, damit sich nicht einige große Kliniken nur noch auf die lukrativen Operationen konzentrieren.“ Und weiter: „Die wohnortnahe medizinische Versorgung muss weiter sichergestellt werden. Die Gesundheitsversorgung ist Teil der Daseinsvorsorge.“ Dr. med. Gereon Blum, Geschäftsführer der GFO-Kliniken, mahnte während des Baradari-Besuches in Lennestadt Tempo an: „Es muss schnell Klarheit geschaffen werden – sonst wandern die Fachärzte aufgrund der Unsicherheit ab.“
- Jochen Ritter, CDU-Landtagsabgeordneter aus Olpe, sagt zum Thema Krankenhausreform: „Die Krankenhausplanung, wie sie in Nordrhein Westfalen von Karl Josef Laumann auf den Weg gebracht worden ist, ist für die Krankenlandschaft im ländlichen Raum besser zu verkraften, als die Vorstellungen, die vor einiger Zeit der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in die Diskussion eingebracht hat. Deshalb hoffe ich, dass der Bund in einen vernünftigen Dialog mit dem Land eintritt, wo das Thema zuständigkeitshalber auch hingehört.“
- Maria Bergmann, Pressesprecherin der Helios-Klinik Attendorn: „Die Helios Klinik in Attendorn wird auch künftig eine wichtige Rolle in der medizinischen Versorgung der Region spielen. Für eine abschließende Bewertung der Entwicklungen und Reformvorschläge ist es noch viel zu früh. Helios verfolgt das Ziel der Weiterentwicklung von Kliniken: Zu Helios gehören ganz bewusst von kleineren Grundversorgern bis hin zu Maximalversorgern eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Krankenhäuser aus verschiedenen Versorgungsstufen. Als Europas größter Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen sind wir in der Lage, Innovationen zu bieten und unsere Angebote stetig an den Versorgungsbedarf anzupassen. Helios investiert kontinuierlich und viel in seine Krankenhäuser, neueste Medizintechnik, innovative Behandlungsmethoden sowie die Weiterentwicklung seiner Belegschaft. Das gilt heute, morgen und auch übermorgen.“
- Michael Kluge, Pflegerische Bereichsleitung Zentrale Notaufnahme/OP/Anästhesie im St. Martinus und St. Josefs-Krankenhaus der GFO: „Wie wir heute, auf dem diesjährigen DRG-Forum in Berlin vernehmen konnten, stehen weitreichende Reformpläne in der Krankenhauspolitik an. Wir begrüßen, dass Minister Lauterbach sich hierbei den Plänen der Landesregierung NRW annähert. Es wird eine Reform geben. Dies ist auch aus unserer Sicht unumstritten. Persönlich wünsche ich mir mehr Diskussion und Informationen auch auf den Arbeitsebenen in den Krankenhäusern. Hier sehe ich vor allem auch die Führungskräfte in der Verantwortung, jetzt schon intern Weichen in die richtige Richtung zu stellen.“