Rahrbach/Kreis Olpe. Der Rahrbacher Windmüller Günter Pulte kann Sprüche klopfende Politiker nicht mehr hören. Welchen bürokratischen Marathon er hinter sich hat.

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin das Ziel ausgibt, bis 2030 jeden Tag fünf neue Windräder zu genehmigen, versteht Günter Pulte im weit entfernten Sauerländer Dorf Rahrbach die Welt nicht mehr. Der erfahrene Windbauer versucht, seit mehr als einem Jahrzehnt den größten Windpark der Region zu errichten, genauer gesagt an der Kreisgrenze in den Gemeinden Kirchhundem und Hilchenbach. Politische Fensterreden kann er aufgrund seiner Erlebnisse nur noch schwer ertragen: „Die Realität sieht anders aus als in den Talkshows dargestellt, wo Wirtschaftsminister und andere Politiker Sprüche klopfen, vom Ausbau Erneuerbarer Energien oder vom Doppelwumms fabulieren.“

Wind-an-Land-Gesetz ab 1. Februar 2023

Auf der Homepage bundesregierung.de ist u. a. zu lesen, dass der Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030 verdoppelt werden soll: „Mit dem „Wind-an-Land-Gesetz“ will sie den Ausbau der Windenergie in Deutschland deutlich schneller voranbringen. Es ist am 1. Februar 2023 in Kraft getreten.“

Weiter heißt es dort: „Der Ausbau der Windenergie ist entscheidend, um die Unabhängigkeit von fossilen Importen zu stärken und die Klimaziele zu erreichen. Um die Windenergie an Land deutlich auszubauen, sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt und die notwendigen Flächen bereitgestellt werden. Mit dem „Windenergie-an-Land-Gesetz“ werden den Ländern Flächenziele für den Ausbau der Windenergie vorgegeben. Denn bislang sind bundesweit 0,8 Prozent der Landesfläche für Windkraftanlagen an Land ausgewiesen – allerdings sind nur 0,5 Prozent tatsächlich verfügbar.“

Im Jahr 2030 sollen demnach 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen, um im Jahr 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen. (...) Bis Ende 2032 müssen die Länder zwei Prozent der Bundesfläche für die Windenergie ausweisen. Bis 2027 sollen 1,4 Prozent der Flächen für Windenergie bereit stehen, hat der Bundestag im Gesetz festgelegt.

Die Bundesländer dürfen zwar weiterhin über Mindestabstände entscheiden, müssen aber sicherstellen, dass sie ihre Flächenziele aus dem Windenergieflächenbedarfsgesetz erreichen. (...) Erreichen Bundesländer ihr Flächenziel nicht, treten die landesspezifischen Abstandsregeln außer Kraft. Die Verfehlung der Flächenziele zu bestimmten Stichtagen wird künftig aber Folgen für die Planungen der Länder haben. Damit dies nicht passiert, vereinfacht und beschleunigt die Bundesregierung die Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Ob es mit der neuen Gesetzeslage ab Februar schneller gehe, bleibe abzuwarten. „Wahrscheinlich geht es ein bisschen schneller, aber sicher nicht, wie es sich Kanzler und Wirtschaftsminister vorstellen“, prognostiziert der Landwirt.

Bürger sollen sich empören gegen Bürokratie

Jeder Bürger, so appelliert Pulte, habe die Pflicht, sich gegen die ausufernde Bürokratie zu empören. „Scholz hat von einem Ausbau der Windenergie im Deutschlandtempo gesprochen. Als ich den Satz hörte, wurde mir ganz elend. Das Deutschland-Tempo habe ich viele Jahre am eigenen Leib erfahren. Wenn es in dem Tempo weitergeht, dann haben wir ein richtiges Problem. Sowohl beim Klimaschutz als auch bei der Energieversorgungssicherheit“, gestattet Pulte einen Einblick in sein ramponiertes Seelenleben: „Wir hatten für unser Windparkprojekt bisher einen unglaublichen Aufwand, vor allem, was Umweltauflagen und Artenschutz angeht. Diese Forderungen beider Kreisbehörden gingen weit über die gesetzlichen hinaus. Wir hätten das in diesem Umfang ablehnen können, dann wäre das Projekt ins Klageverfahren gelaufen, was ich nicht möchte. In den vergangenen Monaten habe sich der politische Wind glücklicherweise völlig gedreht: „Wir werden, so bin ich optimistisch, in diesem Jahr eine Baugenehmigung bekommen.“

Windradhersteller aus dem Land getrieben

Aber: „Dann kommt auf uns eine Problem zu, dass Bundespolitiker überhaupt nicht auf dem Schirm haben. Ich kann nicht jahrelang die Windkraft abwürgen und den Herstellern dann zurufen: ,Jetzt geben wir Vollgas.’ Die Hersteller von Windenergieanlagen haben ihre Kapazitäten massiv abgebaut. Werke in Deutschland mussten geschlossen werden. Das gilt auch für unseren Partner Enercon. Viele Produzenten sind abgewandert. Die sieben Windräder, die wir in Hilchenbach aufstellen wollen, werden zum Teil in Indien hergestellt, weil unsere Politik die deutschen Hersteller aus dem Land getrieben hat. Was für ein Irrsinn, denn damit sind auch die Arbeitsplätze hier verschwunden. Unterm Strich habe ich jetzt 18 Monate Lieferzeit, ab dem Datum, an dem ich die Windenergieanlagen bestelle. Bestellen kann ich aber erst, wenn ich die Baugenehmigung habe.“ Also selbst mit der Baugenehmigung im Sommer 2023 werde es bis 2025 dauern, bis die ersten Anlagen errichtet werden könnten. Seit dem Beginn der Planung in 2011 seien dann 14 Jahre vergangen. Pultes Fazit: „Willkommen in Deutschland.“

Wahlkampf: Sechs Monate statt sechs Jahre

Rückblende zum Bundestagswahlkampf: Die Kandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) überboten sich in ihren Ankündigungen, die Planungszeit für Windkraftanlagen von sechs Jahren auf sechs Monate zu beschleunigen. Pulte: „Selbst bei einer Planungszeit von sechs Jahren hätte ich ja gejubelt. Aber sechs Monate? Da kann ich Politiker nicht mehr ernst nehmen.“ Ähnlich unverständlich: „Das System Merkel hat den Ausbau massiv blockiert, und Friedrich Merz hat schon wenige Monate nach dem Regierungswechsel nichts Besseres zu tun, als die neue Bundesregierung für den zögerlichen Ausbau der Erneuerbaren zu kritisieren.“

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Unabhängig von der Partei, die gerade regiere, erlebten die Windbauern eine ausufernde Bürokratie: „Das gilt nicht nur für die Planung, sondern mittlerweile auch ganz massiv für den Betrieb unserer Windkraftanlagen. Wir werden in Bürokratie ersäuft.“ Beispiel: „Eine Windkraftanlage benötigt intern Strom, für Computer, für Lampen, Stellmotoren, Lüfter und so weiter. Den Strom erzeugt die Anlage meist selbst. Der Strom ist von der Steuerpflicht ausgenommen, der Verbrauch aber nicht mess- , sondern nur schätzbar. Dennoch müssen wir einen Stromsteuer-Befreiungsantrag stellen. Am Ausfüllen dieser Anträge fürs Zollamt sitze ich jedes Jahr ein bis zwei Tage. Um zwei bis drei Wochen danach mitgeteilt zu bekommen: ,Sie sind nicht steuerpflichtig’. Das bedeutet: Ich habe Arbeit, das Zollamt hat Arbeit, und wir wissen beide vorher, dass der Staat keinen Cent daran verdient.“ Pulte, als ruhiger Zeitgenosse bekannt, ereifert sich: „Ich habe in meinem Leben viele Formulare ausgefüllt. Gerade auch in der Landwirtschaft. Aber ich habe nie derart komplizierte, unverständliche und weltfremde Anträge ausgefüllt wie die vom Hauptzollamt.“

Strompreisbremsegesetz sehr kompliziert

Nächstes Beispiel: das neue Strompreisbremsegesetz. Pulte: „Seit dem 1. Dezember müssen wir sogenannte Übergewinne versteuern. Da hat die Politik ganz eilig ein sehr kompliziertes Gesetz gegossen. Und weil es so kompliziert ist und die Stromhändler nicht bereit sind, diese Stromsteuer zu berechnen, und selbst unser Steuerberatungsbüro das ablehnt, weil es so kompliziert ist, müssen wir es selbst berechnen. Zur Info: Als Übergewinn gelte der ,überhohe’ Preis, den ein Einspeiser, u. a. Kraftwerke oder Windradbetreiber, an der Börse erziele. Pulte: „Früher gab es an der Börse Preise von drei oder vier Cent je Kilowattstunde (kWh), im vergangenen Jahr waren es mitunter 15 oder 16 Cent, in einem Monat kurzfristig sogar bis zu 40 Cent. Dadurch hatten wir nie erwartbare Einnahmen.“ Viele Windparks hätten eine EEG-Vergütung von um die 8 Cent/kWh. Darüber hinaus gebe es noch einen Freibetrag von 3 Cent. „Was über die 11 Cent hinausgeht, muss ich zu 90 Prozent abführen. Dazu gibt es noch mehrere Sonderregelungen, die nur schwer zu durchschauen und teilweise mit ganz kurzen Fristen zu bearbeiten sind.“

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Von „einfach“, von „Deutschland-Tempo“ oder ähnlichem sei die Realität jedenfalls meilenweit entfernt. Das gelte höchstens für die Errichtung für Flüssiggas-Terminals: „Ich habe zu Windmüller-Kollegen schon ironisch gesagt, auf den nächsten Antrag schreibe ich ,für Flüssiggas-Terminal’ drauf.“

Pulte: Lade Kanzler und Minister gerne ein

Pultes Fazit kann der Gegenwart trotz der jahrelangen Vorgeschichte auch etwas Gutes abgewinnen: „Beim Kreis Olpe bemerkt man ein Umdenken. Die Förderung der Erneuerbaren Energien mitsamt der Gründung der Kreisgesellschaft ist ein Weg, den ich absolut begrüße. Es kommt spät, aber es ist richtig. Das hätte man besser vor 10 Jahren gemacht.“

Mit Blick auf die Bundespolitik hat Pulte noch einen konkreten Vorschlag: „Ich würde gerne den Bundeskanzler und alle Minister zum vierwöchigen Praktikum in mein Büro einladen.“