Olpe. Kreishandwerksmeister Frank Clemens (Olpe) im Interview. Was er zu steigenden Zinsen, Baukostensteigerungen und der Energiekrise sagt.

Fachkräftemangel, Zinserhöhungen und Baupreissteigerungen in nie dagewesener Dynamik: Für das Handwerk, allen voran das Bauhandwerk unangenehme Indikatoren. Für Frank Clemens, Dachdeckermeister und Kommunalpolitiker aus Olpe, aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Der langjährige Innungsobermeister der Dachdeckerinnung Olpe stellte sich vor einigen Tagen zur Wiederwahl als Kreishandwerksmeister und erhielt ein einstimmiges Votum. Im Samstagsinterview stellte sich Clemens unseren Fragen.

Frage: Herr Clemens, Sie sind vor wenigen Tagen als Kreishandwerksmeister wiedergewählt worden. Als selbstständiger Dachdeckermeister haben Sie reichlich zu tun. Warum tun Sie sich das an?

Ich habe es schon gesagt, als ich vor sechs Jahren zum ersten Mal gewählt wurde. Es ist für mich eine Ehre, dem gesamten Handwerk im Kreis Olpe und dem Kreis Siegen-Wittgenstein vorzustehen. Das steckt im Begriff Ehrenamt ja drin.

Wie bekommen Sie das zeitlich unter einen Hut? Sie sind ja auch noch Ratsherr in Olpe.

Das geht natürlich nur, weil wir mit Stefan Simon einen hauptamtlichen Geschäftsführer haben, der das Tagesgeschäft übernimmt.

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Sie haben in ihrer Rede auf der Delegiertenversammlung der Kreishandwerkerschaft auf die besonders schwierige Lage des Bäckerhandwerks hingewiesen. Wo drückt der Schuh dort besonders und wie kann man den aktuellen Problemen auch in anderen Branchen beikommen?

Die Bäcker treffen die Energiekosten besonders. Letztlich sind wir alle betroffen, aber Brot muss nun mal gebacken werden, und das benötigt reichlich Energie. Diese Kosten kann das Bäckerhandwerk nur schwerlich an die Kunden weitergeben. Abgestuft sind alle anderen Handwerker davon auch betroffen. Allgemeine Preissteigerungen und Lieferengpässe kommen hinzu.

Die Baubranche hat noch gut zu tun, vor allem die Heizungsbauer sind gefragt. Welche Baugewerke haben es spürbar schwerer momentan?

Alle Gewerke, die besonders mit Neubauten ihre Umsätze machen, spüren die aktuelle Situation. Unter anderem sicher das Bauhauptgewerke, also Maurer. Da fällt einiges weg. Die Zahl der Baugenehmigungen und damit der Neubauten geht zurück. Auch Gewerke, von denen Bauherren meinen, sie selbst ausführen zu können, fallen darunter, wie beispielsweise bei Malern oder Fußbodenlegern. Die Leute versuchen, zu sparen, wo es geht.

Aber Neubauten müssten doch auch Dachdecker treffen.

Im Dachdeckerhandwerk haben wir etwa 70 bis 80 Prozent Sanierungsarbeiten. Wir sind auch bei vielen Wärmedämmprojekten beteiligt und nicht zuletzt bei Photovoltaikanlagen, die ja jemand auf den Dächern anbringen muss.

Die Deutsche Presseagentur hat Anfang der Woche von exorbitanten Preissteigerungen bei Neubauten berichtet. Da ist von 17 Prozent die Rede von November 2021 zu November 2022. Haben Sie solche Preissprünge in ihrer langen Berufstätigkeit schon einmal erlebt?

Alles, was wir in den vergangenen eineinhalb oder zwei Jahren erlebt haben, haben wir vorher noch nicht erlebt. Ob es die Kostensteigerungen sind oder die Lieferengpässe. Das hat es in meiner Berufslaufbahn, die 1982 begonnen hat, noch nicht gegeben.

Parallel hat es Zinssteigerungen in extrem kurzer Zeit gegeben. Alles zusammen möglicherweise eine toxische Mischung. Teilen Sie die Befürchtung, dass die Baubranche vor einem Absturz steht?

Von einem Absturz zu sprechen, ist mir ein wenig zu drastisch formuliert. Aber, ja, es wird eine Delle geben. Auch früher hat es ja schon mal deutlich höhere Zinsen gegeben, 7, 8 oder sogar 9 Prozent. Aber parallel nicht noch diese Preissteigerung.

Merken Sie es mit Ihrem Unternehmen persönlich?

Noch nicht. Wir haben einen Überhang aus dem Jahr 2022. Und ich hoffe, dass wir durch die Dämm-Projekte an bestehenden Gebäuden weiterhin gefragt sind.

Treffen denn nicht Lieferengpässe gerade bei Dämmstoffen Sie als Dachdecker besonders?

Das war im vergangenen Jahr so, hat sich aber wieder gelegt. Derzeit haben wir Probleme bei Betondachsteinen, aber auch Schiefer.

Gibt es keinen Naturschiefer mehr?

Doch, aber zu wenig Lkw-Fahrer, die den Schiefer aus Spanien zu uns bringen.

Warum Schiefer aus Spanien, wir haben doch das Rheinische Schiefergebirge, wie ich mich vage an den Geografieunterricht erinnere?

Es gibt in Deutschland nur noch eine Dachschiefergrube, die in Bad Fredeburg. Früher gab es eine in Mayen bei Koblenz, ein großes Werk, aber das hat vor zwei Jahren geschlossen, weil die Qualität des Schiefers für die Dacheindeckung nicht mehr stimmte.

Und der spanische ist billiger?

Ja, etwas. Dort wird er über Tage abgebaut, in Bad Fredeburg unter Tage, Hinzu kommt das höhere Lohnniveau hierzulande.

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Haben andere Gewerke auch mit Lieferengpässen zu tun?

Überall gibt es mal hier, mal da einen Engpass. Dass ein bestimmtes Gewerk besonders betroffen wäre, kann ich nicht sagen. Was mir spontan einfällt, sind Wechselrichter für Photovoltaikanlagen. Da haben wir eine Wartezeit von bis zu einem Dreivierteljahr. Auch Speicherbatterien für PV-Anlagen sind problematisch. Ich hatte für einen Kunden eine bestellt und habe ein ganzes Jahr drauf gewartet. Im vergangenen Jahr waren es zum Beispiel die Schlosser, die mit extremen Stahlpreiserhöhungen zu kämpfen hatten. Das hat sich wieder ein wenig normalisiert. Ich hoffe, dass sich die Gesamtsituation in diesem Jahr wieder beruhigt.

Organisationen für den sozialen Wohnungsbau haben für 2023 errechnet, dass etwa 700.000 Wohnungen in Deutschland fehlen. Wie soll das gelöst werden?

Die Ampelkoalition will ja dieses Jahr 400.000 neue Wohnungen bauen lassen. Ich sage, sie schafft keine 250.000. Auch, weil es gar nicht genügend Handwerker gibt. Letztes Jahr sind 280.000 geschafft worden.

Womit wir bei der nächsten Baustelle sind: Alle jammern über Fachkräftemangel, aber immer noch laufen Heerscharen von Kindern in die Gymnasien, obwohl viele davon eher fürs Handwerk geeignet wären und irgendwann als Studienabbrecher nicht wissen, wohin. Fehlt der Bundespolitik der Mut zur grundlegenden bildungspolitischen Umkehr?

Das ist genau mein Thema. Da könnte ich mich jetzt heiß reden, dafür bräuchten wir dann zwei Stunden. Aber man muss auch ehrlich sein und zugeben, dass die Politik so einfach nicht in diese Automatik eingreifen kann. Über Jahrzehnte hinweg ist politisch ein falscher Trend unterstützt worden, die Jugend für die Gymnasien und die Unis zu begeistern. Das war falsch. Jetzt auf einmal ist das Wehklagen groß. Das Thema muss in die Köpfe der Lehrer rein, aber allen voran in die der Eltern.

Aber wie soll das gehen? Eltern wollen ja, dass es ihren Kindern mal besser geht.

Das kann ich verstehen, aber mit einer dualen Ausbildung geht es einem nicht unbedingt schlechter. Materiell sowieso nicht. Im Handwerk wird teilweise sehr gut verdient. Es gibt Menschen, für die ist das Studium einfach nicht der richtige Weg. Für mich wäre das nie in Frage gekommen, weil ich praktisch veranlagt bin. Nach der Realschule hatte ich die Einstufung, auch aufs Gymnasium gehen zu können. Aber ich war sicher, dass das für mich nicht gepasst hätte. Mit meinem Meisterbrief hätte ich später auch studieren können, habe es aber deshalb auch nicht getan. Und nie bereut. Es ist falsch, solche praktischen Talente in die Unis zu treiben.

Aber wie ist das Problem anzugehen?

Nur über Werbung. Wir haben im Handwerk hochinteressante Jobs, gut bezahlt und weitgehend krisenfest. Und jederzeit auch akademische Aufstiegsmöglichkeiten. Aber, ich sage es noch mal: Es muss in die Köpfe rein. Die Bundes- und Landespolitiker müssen mit ehrlicher Überzeugung dafür werben. Ein Problem ist dabei sicher die Zusammensetzung des Bundestages. Von den 736 Abgeordneten kommen 15 aus dem Handwerk.

Können junge Menschen mit Migrationshintergrund die Lösung des Problems sein?

Ein Teil der Lösung ja. Ich habe im vergangenen Jahr ein Bewerbungsgespräch mit einem Geflüchteten geführt, er hat sich dann aber leider fürs Malerhandwerk entschieden.

Mit welcher Politik sind sie als Handwerksmeister besonders unzufrieden?

Einige Auftritte unseres Bundeswirtschaftsministers Habeck haben schon irritiert. Wenn er beispielsweise den Bäckern angesichts der Energiekrise dazu rät, mal eine Woche das Arbeiten einzustellen. Wir Handwerker, aber auch andere Unternehmer wünschen sich, dass wir von Politikern regiert werden, die von ihrem Ressort etwas verstehen. Ich muss ja auch einen Meisterbrief haben, wenn ich einen Dachdeckerbetrieb führen will. Das Nichtwissen über die Zusammenhänge mancher Minister macht schonmal sprachlos. Ich unterstelle keinem Politiker, dass er nicht das Richtige will. Aber ich erkenne oft nicht die notwendige Kompetenz.

Aus der Bundespolitik kommen immer wieder Vorschläge, es müsse länger gearbeitet werden. Bis 68, 70 oder noch länger. Was geht einem Dachdecker da durch den Kopf?

Es sollte flexibel gestaltet werden. Wer es körperlich nicht mehr kann, der muss früher aufhören können. Ich als Chef, der nicht mehr so oft mit auf dem Dach steht, kann sicher länger als 65 arbeiten, aber nach einem langen Handwerkerleben, ob nun als Dachdecker, Maurer oder Verputzer, um nur einige zu nennen, ist das kaum vorstellbar.

Wenn Sie nicht Dachdecker geworden wären, welcher Beruf hätte Sie am meisten gereizt?

Ich wollte Polizist werden, das war mein Traumjob. Aber das hat damals nicht geklappt, da ich angeblich Rückenprobleme gehabt hätte. Dann habe ich mich doch für den väterlichen Betrieb entschieden. Und das war gut so.

Wenn Sie für ein Jahr Bundeswirtschaftsminister wären, welches wäre das für Sie wichtigste Thema?

Die Energieversorgung der Betriebe und Unternehmen. Vor dem Hintergrund, dass auch und gerade das Handwerk von der Industrie lebt, darf das nicht vergessen werden. Gerade für die energieintensiven Betriebe in der Industrie und im Handwerk muss Energie bezahlbar sein. Deshalb war es falsch, sich so schnell und vollständig von den Atomkraftwerken zu verabschieden. Frankreich hat über 50 Atomkraftwerke, und nicht wenige an unserer Grenze. Selbst unter Klimagesichtspunkten wäre das für eine Übergangszeit sinnvoll. Wobei es ganz klar ist, dass wir in Richtung Erneuerbare Energien steuern müssen. Wir dürfen nur die heimische Industrie nicht wegen horrender Energiekosten strangulieren.

Zur Person

Frank Clemens wurde 1966 in Olpe geboren, besuchte die Olper Realschule und begann seine Lehre 1982. Die Meisterprüfung folgte 1987, den Familienbetrieb Josef Clemens übernahm er 1996. Der Vater einer Tochter ist seit über 20 Jahren Olper Ratsherr für die CDU, er war 24 Jahre im Olper Schützenvorstand, 2009 Olper Schützenkönig. Zudem ist Clemens Jäger und Besitzer einer Wildschweinbracke namens Alf.