Kreis Olpe. Nachdem das Bundesarbeitsgericht geurteilt hat, müssen sich Unternehmen Gedanken über die Zeiterfassung machen. Wo liegen die Knackpunkte?
Seit dem Urteilsspruch des Bundesarbeitsgerichtes vom September diesen Jahres schwebt das Damoklesschwert „Arbeitszeiterfassung“ über sämtlichen Unternehmen aller Branchen. Aber wie soll das gehen? Kommt mittelfristig überall die Stechuhr? Was in vielen mittelständischen Industriebetrieben seit Jahrzehnten der Normalfall ist, gibt es in manchen Handwerksbetrieben, im Einzelhandel oder der Gastronomie eher selten. Und wie steht es mit den Pflegeberufen? Nicht zuletzt durch die Coronapandemie jagte dort eine Überstunde die nächste. Wir fragten nach.
Seniorenhäuser
Ronald Buchmann, Regionalleiter für die Seniorenhäuser und mobile Pflegedienste der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe (GFO) im Kreis Olpe, geht von einer Übergangszeit aus, um dem Urteil Rechnung zu tragen: „Nach unserem Verständnis dürften elektronische Systeme, also eine Form der Stechuhr, vom Gesetzgeber gewünscht sein.“
Martin Dietzmann: „Viele fragen, was sie machen sollen“
Muss man die Arbeitszeiterfassung jetzt sofort machen oder gibt es eine Übergangsfrist?
Dietzmann: Das Bundesarbeitsgericht sagt ja, es ist Rechtsgrundlage im deutschen Recht, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Bislang war es einhellige Meinung in Deutschland, dass das nur für Überstunden gilt. Jetzt sagt das Bundesarbeitsgericht, dass es eine Verpflichtung gibt, die gesamte tägliche Arbeitszeit zu erfassen. Eine Übergangsfrist gibt es nicht.
Was passiert, wenn Betriebe diese nicht umsetzen?
Momentan hat das keine Folgen, dass man ein Bußgeld auferlegt bekommt. Das ist alles sehr allgemein formuliert. Im einzelnen Streitfall kann es aber Nachteile für den Arbeitgeber haben, wenn er so ein System nicht hat.
Was ist, wenn sich Mitarbeiter gegen die Erfassung weigern?
Da muss sich der Arbeitnehmer dran halten. Das ist konsequenterweise ein Fehlverhalten, das abgemahnt werden und bis zur Kündigung führen kann.
Hatten Sie schon Fälle mit Arbeitszeiterfassung?
Aktuell habe ich viele Arbeitgeber-Mandanten, die fragen, was sie machen sollen. Faustformel ist: Wenn es bisher ein Zeiterfassungssystem gab, sollte das so weitergeführt werden, bis es vielleicht eine konkrete Gesetzgebung gibt. Jetzt ist das nur eine allgemeine Regelung. rovo
Bisher würden sämtliche Überstunden dokumentiert, inklusive der Begründung, für welche Tätigkeit die Überstunde angefallen sei: „Die Mitarbeiter haben die Pflicht, die Mehrarbeit direkt schriftlich mitzuteilen. Und wir haben die Pflicht, diese Mehrarbeit in den nächsten Dienstplan mit einpflegen.“ Da die Überstundenbezahlung bei Mitarbeitern in der Steuerklasse 5 zu einem Großteil ,aufgefressen’ werde, tendiere die Mehrheit dazu, Überstunden lieber abfeiern zu wollen.
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Eine endgültige Entscheidung bei der GFO, auf welches Arbeitszeiterfassungsmodell man letztlich setzen werde, sei noch nicht gefallen: „Wir befinden uns in Gesprächen mit den Mitarbeitervertretungen.“ Die aktuelle Regelung basiere auf einer Rahmenvereinbarung für die Altenhilfe: „Demnach kann Mehrarbeit bis zu 50 Stunden pro Jahr angesammelt und abgefeiert werden.“ Ziel sei es, über diese 50 Überstunden nicht hinauszukommen. Sollte das doch der Fall sein, werde alles darüber in der Regel bezahlt. „Gerade in den vergangenen ein bis zwei Jahren haben wir das wegen der Corona-Pandemie nicht immer einhalten können. Es gibt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ein größeres Überstundenkonto vor sich herschieben.“
Im Augenblick seien Überstunden ein reales Thema, auch bei den mobilen Pflegediensten, da auch die GFO von hohen Krankenständen betroffen sei: „Das betrifft viele andere Branchen auch. Schulen sind halbleer, Kindergärten auch. Und da bei uns ja viele Mütter arbeiten, fallen diese dann auch aus.“ Und die verbleibenden Mitarbeiter müssten diese Ausfälle kompensieren. Wenn alle Stricke reißen würden, müsse auch die GFO auf Zeitarbeitsfirmen zurückgreifen.
Bäckereien
Georg Sangermann aus Oberveischede, Innungsmeister des Bäckereihandwerks und Inhaber von sechs Verkaufsfilialen, sagt: „In unseren Verkaufsfilialen ist das bereits über die Kassensysteme unkompliziert gelöst. Die Verkäuferinnen melden mit einem Chip an diesen Kassensystemen an bzw. ab, wenn sie kommen und wenn sie gehen. Das System erfasst die Zeit dazwischen minutengenau.“ Darin enthalten sei auch die Zeit fürs morgendliche Ein- und des abendlichen Aufräumens.
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Es könne natürlich sein, dass es Schwarze Schafe gebe. Er kenne solche Betriebe, die in der Innung seien, aber nicht. In den Backstuben gebe es unterschiedliche Regelungen: „Da gibt es zum Beispiel die schriftliche Erfassung, was ja auch noch erlaubt ist. Wir führen Listen, in denen die Arbeitszeit erfasst wird. Es gibt aber auch Betriebe, die eine elektronische Zeiterfassung haben.“ Zur Frage, ob Überstunden eher bezahlt oder abgefeiert würden, antwortete Sangermann: „Das hängt von den innerbetrieblichen Vereinbarungen ab. Bei uns wird jede Überstunde bezahlt. Es gibt aber auch Unternehmen, für deren Mitarbeiter Zeitkonten geführt werden.“
Gastronomie
Bernhard Schwermer, Hotelier, Küchenmeister und Betreiber des Rhein-Weser-Turmes in Oberhundem ist gleichzeitig Kreisvorsitzender der DEHOGA (Hotel- und Gaststättenverband). Er hat das Thema nach den Coronakrisenjahren noch nicht auf dem Schirm: „Wir haben nur noch zwei Mitarbeiter, und die schreiben die Stunden auf.“ Im Hotel in Heinsberg gebe es ein Zeiterfassungsgerät, das werde momentan nicht mehr benutzt.
Bauhandwerk
Kreishandwerksmeister Frank Clemens, Dachdeckermeister aus Olpe, sieht das Baugewerbe bereits gerüstet: „Da ist in den vergangenen Jahren viel passiert. In unserem Betrieb haben wie beispielsweise eine baustellenscharfe Zeiterfassung über eine Handy-App, die die Mitarbeiter bedienen.“ Dort werde die Arbeitszeit dokumentiert und an ein zentrales System übermittelt, dass er als Betriebsinhaber täglich auf seinem Rechner einsehen könne: „So habe ich jederzeit einen umfassenden Überblick.“