Kirchveischede. Unglaubliches Jubiläum n Lennestadt. Warum früher vieles einfacher war.

Für Landwirt Josef Heer wird der 11. November ein Tag wieder jeder andere 11. 11. werden. Am Nachmittag wird er seine Kaltblutstute Hondura satteln, sich den roten Mantel umhängen, den blechernen Helm aufsetzen und ins Dorf reiten, um mit seinem Pferd den traditionellen Martinszug anzuführen. Wie immer. Doch diesmal ist sein Auftritt etwas Besonderes: Kirchveischedes St. Martin-Legende feiert Jubiläum. Zum 50. Mal, also seit einem halben Jahrhundert, mimt der 72-jährige den römischen Legionär, der der Legende nach im Winter einen frierenden Bettler traf und ihm die Hälfte seines wärmenden Mantels schenkte. Unglaublich: Kinder, die 1972 bei Heers St. Martin-Premiere dabei waren, gehen heute als Großeltern mit ihren Enkeln im Zug mit.

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Nun: Bettler am Straßenrand gibt es nicht mehr, kalte Winter im Sauerland sind auch seltener geworden und statt eines geteilten Mantels verteilt St. Martin heute Stutenkerle. Doch darum geht es nicht, denn die Martins-Legende lebt weiter. Und deshalb kann „Heers Jüppe“, wie er im Ort genannt wird, auch nach 50 Jahren nicht akzeptieren, wenn größere „Kinder“ den Martinszug nicht ernst nehmen, herumalbern oder gar Bierdosen mitführen. Einmal waren nicht genug Stutenkerle bestellt worden. „Das ist so mit das Schlimmste, was passieren kann“, erinnert sich der Landwirt noch heute an die traurigen Kinderaugen.

Im Alter von 22 Jahren warf er sich zum ersten Mal den roten Samtmantel über die Schultern, um das Erbe von Willibald Schulte, ebenfalls Landwirt in Lennestadts Fachwerkdorf, anzutreten. „Das Kostüm haben wir uns damals von der St. Martinus-Pfarrei in Olpe geliehen“, erinnert sich Josef Heer. Bis Linde Kathol den ersten eigenen Kirchveischeder Martins-Mantel nähte. Vor zwei Jahren schaffte die Kirchengemeinde dann einen neuen, teilbaren Mantel an. „Irgendwann haben wir im Rheinland den Helm gekauft“, sagt Josef Heer.

An seinen ersten Auftritt 1972 erinnert er sich nicht mehr, aber über die ein oder andere Begebenheit schmunzelt er heute noch. Zum Beispiel, als der damalige Pastor Dr. Marian Otap nach dem Martinszug und vor der Stutenkerl-Ausgabe die Kinder fragte: „Wer weiß denn, wer St. Martin ist?“ Ein Kind rief aus der Menge: Das ist der Jüppe! „Alle lachten und die Mutter bekam einen roten Kopf, das werde ich nie vergessen“, grinst Josef Heer.

Früher sei vieles einfacher gewesen. Da hätten die im Ort wohnenden Polizisten den Verkehr auf der B 55 für den Martinszug einfach angehalten. „Heute dürfen die das nicht mehr“. Dafür muss extra die Feuerwehr kommen. Um die Querung der B 55 ganz zu vermeiden, startet der Zug heute an der Kirche und nicht mehr in der Straße „Lannermecke“ wie früher.

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Leider, so sagt er, werde heute auch kaum noch gesungen. „Sankt Martin, Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind, sein Ross, das trug ihn fort geschwind...“ kommt kaum noch einem Kind über die Lippen. So bleibt der musikalische Part vorwiegend dem Musikverein vorbehalten.

Ob sich die Dorfgemeinschaft Kirchveischede zum Jubiläum etwas Besonderes für ihren „St. Martin“ einfallen lässt. Josef Heer zuckt die Schultern. Er weiß nur, dass sich das WDR-Fernsehen angesagt hat. „Eigentlich mache ich das ja schon viel zu lange, aber man findet keinen anderen“, sagt er.

So wird er am heutigen Martinstag seine Kaltblutstute „Hondura“ satteln, sich den roten Mantel umhängen, den blechernen Helm aufsetzen und als St. Martin durchs Dorf reiten. Wie immer. Doch eine Sache ist diesmal anders, wie er verrät. Normalerweise bringt er seiner Ehefrau Marlies immer einen Stutenkerl vom Martinszug mit, denn sie hat am 11. November Geburtstag: „Das muss dieses Jahr ausfallen, sie ist im Urlaub.“