Lennestadt. Der Grevenbrücker Gerd Hennemann beklagt, von der Photovoltaikanlage des Nachbarn geblendet zu werden. Die Landesbauordnung ist aber eindeutig.

Gerd Hennemann aus Grevenbrück sieht schwarz. Nicht im übertragenen Sinne, sondern, wenn er auf die Fassade seines Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite und auf dessen Dächer schaut. „Mir geht es einfach darum, aufzuzeigen, dass eine Lücke im Baurecht besteht“, sagt der 75-jährige Rentner. Was ihn neben ästhetischen Vorbehalten gegen die schwarzen bzw. dunkelbauen Module besonders stört: „Wenn die Sonne in einem gewissen Winkel zu den Solarmodulen steht, werde ich geblendet.“ Auch, wenn das nur für einige wenige Stunden am Tag der Fall sei, sieht Hennemann grundsätzliches Konfliktpotenzial, wenn überall in der Stadt Lennestadt oder im ganzen Lande Photovoltaikmodule (PV-Anlagen) wie Pilze aus dem Boden bzw. auf Dächern und neuerdings auch auf Fassaden sprießen. „Bei dem politischen Rückenwind, den die Erneuerbaren Energien derzeit genießen, ist das nicht auszuschließen“, warnt Hennemann. Und weiter: „Solche Auswüchse und nachbarschaftliche Konflikte haben die Politiker offenbar gar nicht auf dem Schirm.“

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Während sein Solar engagierter Nachbar auf die Anfrage unserer Redaktion nichts zu der Angelegenheit sagen möchte, hat sich Hennemann an die Stadt Lennestadt als Bauaufsichtsbehörde gewandt. Auslöser seien die PV-Module an der Hausfassade gewesen, nachdem das Dach bereits großflächig damit ausgestattet sei. Hennemanns Motivation: Er habe wissen wollen, auf welcher baurechtlichen Grundlage so etwas möglich und möglicherweise zu verhindern oder wenigstens zu begrenzen sei.

Anlagen sind verfahrensfrei

Der Brief aus dem Rathaus ließ nicht lange auf sich warten: „Gemäß ….der Bauordnung für das Land Nordrhein Westfalen (Landesbauordnung 2018...) sind Solar- und Photovoltaikanlagen in, an und auf Dach- und Außenwandflächen als Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien verfahrensfrei.“ Heißt im Klartext: Kein Bauantrag notwendig, kein Warten auf eine Genehmigung. Auch der im fraglichen Gebiet gültige Bebauungsplan „Nr. 5 Petmecke“ enthalte nichts, was gegen die PV-Anlagen spreche. Fazit des zuständigen Bauordnungsamtsmitarbeiters: „Daher sehe ich ein Einschreiten in dieser Sache nicht als geboten an.“

Beigeordneter Schürheck: „Wir fördern Photovoltaik“

Lennestadts Beigeordneter Carsten Schürheck begründet die politische Marschrichtung der Stadt: „Wir sind ja froh über jede Photovoltaikanlage, die in der Stadt Lennestadt installiert wird und haben ja deshalb auch Förderprogramme aufgelegt, die 2021 mit 30.000 Euro ausgestattet wurden und in diesem Jahr mit 175.000 Euro.“ Was für 2023 geplant sei, stehe noch nicht fest, sei Bestandteil der Haushaltsberatungen. Schürheck bestätigt auf Anfrage, dass es möglich sei, PV-Anlagen zu begrenzen. Entweder mit Gestaltungssatzungen oder mit Bebauungsplänen. Wenn die Politik das wolle, müsse sie initiativ werden.

Urteile höchster Gerichte

Unterschiedliche Rechtsprechung bei Blendwirkungen durch Photovoltaik:

Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Aktenzeichen 9 U 184/11) forderte den Betreiber einer Solaranlage auf, für Abhilfe zu sorgen, nachdem die Nachbarin eine unerwünschte Blendwirkung beklagte. Besonders im Frühjahr sei die Beeinträchtigung erheblich, von Mai bis Juli zwei Stunden täglich.

In ähnlicher Fallkonstellation urteilte das Oberlandesgericht Stuttgart (Aktenzeichen 3 U 46/13) bei maximal einstündiger Störung pro Tag, etwa sechs Wochen im Jahr: Die Störung ist geringfügig. Außerdem hätte eine Abhilfe durch den Einbau von Anti-Reflektions-Modulen) unverhältnismäßig viel gekostet - rund 16.000 Euro. baulinks.de

Gerd Hennemann kann sich mit der Position der Stadtverwaltung nicht anfreunden. Während unseres Gespräches kramt er aus seinem Aktenschrank ein altes Dokument hervor: „Ich habe Ende der 70-er Jahre hier gebaut. Und damals musste ich mich an das hier halten.“ Auf dem etwas gebräunten Papier des Kreises Olpe, der damals noch Baugenehmigungsbehörde war, steht u. a. unter der Überschrift ,Einheitliche Gestaltung der Bauten’: „Sofern ein Außenputz oder Außenanstrich vorgesehen oder vorgeschrieben ist, muss dieser in einem hellen Farbton gehalten werden.“ Hennemann: „Als ich den Sachbearbeiter der Stadt auf die schwarze PV-Anlage aufmerksam gemacht habe, hat der nur geantwortet: ,Eine Photovoltaikanlage ist ja auch kein Außenputz’.“

Heinz Vollmer (SPD): Hatte ich bisher nicht auf dem Schirm

Wenn Gerd Hennemann vor seinem Haus sitzt, fühlt er sich während einiger Stunden von gegenüberliegenden PV-Anlagen geblendet. Er will aber auch grundsätzlich auf Auswüchse von PV-Anlagen aufmerksam machen.
Wenn Gerd Hennemann vor seinem Haus sitzt, fühlt er sich während einiger Stunden von gegenüberliegenden PV-Anlagen geblendet. Er will aber auch grundsätzlich auf Auswüchse von PV-Anlagen aufmerksam machen. © WP | Josef Schmidt

Hennemann steckt aber nicht auf und schaltet Lennestädter Ratspolitiker ein. Heinz Vollmer, langjähriger Vorsitzender der SPD-Fraktion im Stadtrat und Hans-Gerd Mummel (CDU), der selbst im Gebiet „Petmecke“ wohnt, sehen sich die Sache an.

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Vollmer zeigte im Gespräch mit unserer Redaktion teilweise Verständnis für Hennemann, aber auch für das grundsätzliche Problem: „Bisher hatte ich das gar nicht auf dem Schirm, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass man auch die Hausfassaden für Photovoltaik nutzen würde.“ Er könne sich vorstellen, dass die Einwände Hennemanns durchaus berechtigt seien: „Ich bin grundsätzlich ein absoluter Befürworter von Photovoltaik, allerdings darf man damit keinen anderen beeinträchtigen.“ Ähnlich gestalte sich ja die Diskussion um Windenergieanlagen, die als Stromproduzenten politisch bejubelt würden, aber Störpotenzial gegenüber Anwohnern hätten. Vollmer: „Die Grenze ist in dem Moment erreicht, wo andere belästigt werden. Wenn ich morgens auf den Balkon gehe und werde von einer Photovoltaikanlage geblendet, ist es so ähnlich wie der Lichtschlag eines Windrades.“

Hans-Gerd Mummel (CDU): Nachbarschaftsrecht tangiert?

Hans-Gerd Mummel sagte, er sehe im Fall Hennemann nur die Möglichkeit, über das Nachbarschaftsrecht juristisch weiterzukommen: „Jeder sollte bauliche Maßnahmen nur durchführen, wenn der Nachbar nicht beeinträchtigt wird.“ Bei Photovoltaikanlagen sei die Zulässigkeit aber weit gefasst, da es politisch gewollt sei, auf regenerative Energieträger umzustellen: „Es hat meines Wissens aber einige richterliche Urteile gegeben, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben.“

Mit Änderungen in Bebauungsplänen einzugreifen oder mit Hilfe von Gestaltungssatzungen komme wohl nur dann in Frage, „wenn das Überhand nimmt.“ In Lennestadt sehe er das noch nicht.