Meggen. Pascha (21) flieht aus der Ukraine, in seinem Rucksack: Friseur-Besteck. Jetzt arbeitet er als bei Barbier bei Hardenacke Haardesign in Meggen.

Busja tapst über den Boden. „Busja, oder wie ich ihn nenne: Süß!“, sagt Marina Hardenacke. Der Jack Russell Terrier schnüffelt neugierig herum und lässt sich gerne von Mitarbeitern und Kunden streicheln. Sobald jemand den Salon von Hardenacke Haardesign in Meggen betritt, kommt Busja mit seinen kurzen Beinchen angelaufen. Erstmal begrüßen. Hauptsache dabei sein. Süß. Das ist auch das erste deutsche Wort, das Pascha (21) und Valeria (23) gelernt haben. Seit einer Woche lebt das junge Paar nun im Sauerland. Sie sind aus der Ukraine und vor dem Krieg geflohen. Und für sie steht fest: Sie werden nicht mehr zurückkehren. Sie können nicht mehr zurückkehren.

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Tag und Nacht Sirenen in Krywyj Rih, in Selenskyjs Heimatstadt

Valeria und Pascha kommen aus Krywyj Rih, eine Stadt mit über 600.000 Einwohnern in der südlichen Ukraine und Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Die Stadt steht bislang nicht unter so starkem, russischem Beschuss wie Mariupol oder Kiew. Aber auch hier heulen Tag und Nacht die Sirenen, auch hier wurden schon Raketen abgefeuert.

Zeitweise haben sich Valeria und Pascha mit Freunden zusammengetan und bei Bomben-Alarm Schutz im Flur oder im Keller gesucht. Pascha hätte eigentlich kämpfen sollen. „Er wollte auch. Aber er kam auf eine Warteliste. Nach dem Motto: ‘Wenn 50 Männer gestorben sind, kannst du wiederkommen’“, erzählt Delia Ebers. Die Friseurin hat russische Wurzeln und übersetzt momentan noch alles.

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Pascha wollte nicht warten, nicht länger in der Ungewissheit leben. Stattdessen wollte er seinen an Diabetes erkrankten Großvater aus dem Land bringen. „Ein Gesetz besagt nämlich, dass unter dieser Voraussetzung die Ausreise möglich ist – solange man wieder zurückkommt und kämpft“, erklärt Delia Ebers. Doch so weit kam es erst gar nicht. Noch an der Grenze zu Moldawien wird Pascha abgewiesen. Mit einer Waffe am Kopf.

Fünf Freunde werden vom ukrainischen Militär erwischt

Am 23. März fassen Valeria und Pascha den Entschluss, endgültig aus der Ukraine zu fliehen. Valeria fährt mit dem Auto über Moldawien und nach Serbien. Dort, wo Paschas Eltern wohnen. Pascha flieht zu Fuß. Zu groß ist die Angst, entdeckt zu werden. „Er ist mit sechs anderen Freunden durch den Wald gerannt, 25 Kilometer. Fünf von ihnen wurden erwischt. Die müssen jetzt in den Krieg ziehen. Oder ins Gefängnis gehen“, sagt Delia Ebers.

Valeria und Pascha wollen jedoch nicht in Serbien bleiben. Sie wollen niemanden auf der Tasche liegen, sondern etwas eigenes schaffen. Für sie soll es weiter nach Deutschland gehen. Mit dem Bus fahren sie von Serbien nach Dortmund.

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Über eine Facebook-Friseur-Gruppe wird Marina Hardenacke auf einen Kollegen aus Göttingen aufmerksam, der ukrainische Friseure, die aus ihrem Land geflohen sind, vermittelt. Über 50 Menschen hat er schon an deutsche Salons weitergeleitet. „Das fand ich so toll, dass wir auch unbedingt helfen wollten“, erzählt Marina Hardenacke. Samstags nimmt sie Kontakt zu Pascha via Facebook auf, mit „Google Übersetzer“ als rudimentären Dolmetscher. Am Mittwoch kommen er und Valeria schon am Bahnhof in Altenhundem an. „Die beiden hatten gerade mal einen Koffer dabei. Und ihre zwei Hunde“, erinnert sich Marina Hardenacke, die zusammen mit Delia Ebers das junge Paar abholte.

Familie nimmt Valeria und Pascha auf

Aktuell kommen Valeria und Pascha noch in einer Unterkunft in Saalhausen unter. Doch schon bald können sie in einer möblierten Einliegerwohnung wohnen. Über Facebook hatten Marina und Jens Hardenacke nach einer Wohnung gesucht. Und waren schnell fündig geworden. Sobald der Aufenthaltstitel für Pascha bewilligt ist, kann er als Barbier (Friseur für männliche Kunden) bei Hardenacke Haardesign anfangen. Am liebsten würde er schon jetzt loslegen; zumindest seinem zukünftigen Chef Jens Hardenacke konnte er am Dienstag schon die Haare schneiden und die Kanten sauber rasieren.

Pascha schneidet Saloninhaber Jens Hardenacke zum ersten Mal die Haare. Mit dem Friseur-Besteck im Rucksack ist er über die ukrainische Grenze geflüchtet.
Pascha schneidet Saloninhaber Jens Hardenacke zum ersten Mal die Haare. Mit dem Friseur-Besteck im Rucksack ist er über die ukrainische Grenze geflüchtet. © Britta Prasse

„Sein Barbierwerkzeug ist ihm heilig“, sagt Marina Hardenacke. Als er durch den Wald gerannt und über die Grenze geflohen ist, hatte er sein Friseur-Besteck in seinem Rucksack dabei. Er wollte sein Material bei sich haben, wenn er sich in einem fremden Land etwas aufbaut. Valeria hat vorher in der Gastronomie gearbeitet, war aber auch schon als Rezeptionistin in der Türkei beschäftigt. Sie möchte unbedingt arbeiten und so schnell wie möglich auf eigenen Füßen stehen. „Wenn ihr jemand eine Chance geben würde, wäre das echt toll“, sagt Marina Hardenacke. Denn ihre Heimat kann ihnen keine Zukunft mehr bieten.

>>> KONTAKT ZUR HEIMAT

  • Valerias Eltern und Großeltern leben immer noch in Krywyj Rih. Für sie kommt eine Flucht nicht infrage.
  • Jeden Tag telefoniert Valeria mit ihren Verwandten. Als sie zuletzt mit ihrer Mutter telefoniert hat, wurde es sehr emotional. Hardenacke: „Die Mama ist in Tränen ausgebrochen, weil sie so glücklich war, dass die beiden hier in Sicherheit sind.“