Kreis Olpe/Dahl. Jochen Sauermann spricht mit zwei Lkw-Fahrern, die bei der Weihnachtsaktion für gestrandete Lkw-Fahrer im Kreis Olpe waren.

Russland hat mit dem Einmarsch in die Ukraine begonnen. Die Menschen sind entsetzt. Auch Lkw-Fahrer aus der Ukraine, zu denen ein Wendener Verein Kontakt hält. Der 1. Vorsitzende hat mit ihnen gesprochen. Was sagen sie zu dem Konflikt? Auch ein Russland-Kenner aus Dahl gibt seine Einschätzung ab.

Schon seit einigen Jahren kümmert sich der Verein zur Unterstützung von Familien, Senioren und Kindern mit Sitz in Rothemühle in einer Weihnachtsaktion um gestrandete Lkw-Fahrer. Mitglieder des Vereins besuchen die Brummifahrer am ersten Weihnachtstag auf Raststätten, frühstücken mit ihnen und überreichen kleine Präsente. Auch Lkw-Fahrer aus der Ukraine sind immer dabei. Der 1. Vorsitzende Jochen Sauermann nahm am Donnerstag per Handy Kontakt auf zu zwei Lkw-Fahrern, die derzeit auf dem Rückweg in die Ukraine sind.

Flucht nach Moldawien?

Sergej, der 100 Kilometer westlich von Kiew wohnt, habe ihm berichtet, dass er gerade in Luxemburg sei: „Er hat eine Frau und drei Kinder. Er hat gesagt, dass er sich große Sorgen macht. Er weiß gar nicht, ob er zurückkommt. Es herrscht große Unsicherheit.“ Und: „Er hat mit seiner Familie telefoniert. Sie überlegen, nach Moldawien zu flüchten. Das machen sie von der aktuellen Entwicklung abhängig.“

In Bayern hat Jochen Sauermann mit Lkw-Fahrer Alexej telefoniert. Auch er habe seine Familie in der Ukraine erreicht. Alexej hat ein Kind. „Er ist besorgt und sauer auf Deutschland. Er sagt, Deutschland liefert Waffen in Krisengebiete wie Saudi Arabien und die Türkei, und uns lassen sie im Stich“, berichtet Sauermann.

Elmar Strackes Entsetzen ist durchs Telefon zu spüren: Der 29-jährige Russland-Kenner aus Dahl-Friedrichsthal hat nach dem Abitur am Olper St. Franziskus-Gymnasium unter anderem in St. Petersburg studiert und war Mitglied mehrerer deutsch-russischer Jugendgremien.

Bis heute hat Stracke, der in Berlin lebt, Freunde und Bekannte sowohl in Russland als auch der Ukraine: „Ich bin immer noch fassungslos und stehe bereits in Kontakt zu Freunden und Bekannten in der Ukraine“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Kontakt nach Osteuropa, so Stracke, halte er überwiegend auf Facebook.

Stracke, mit dem unsere Redaktion vor ein paar Wochen noch ein Interview führte, räumt ein, Wladimir Putins Skrupellosigkeit unterschätzt zu haben: „Ich dachte, es geht ihm nur darum, zu zeigen, wer die Regeln in seinem Machtbereich diktiert und er sich damit zufrieden gibt. Aber offenbar sind ihm Regeln gleichgültig. Er will sie nicht diktieren, sondern ignorieren.“

Dass ein Angriff derart plump und offensichtlich erfolgen würde, im Grunde sogar ohne Vorwand, habe er nicht vermutet. Zunächst hätten viele Beobachter gedacht, Russland sei gekränkt und wolle den Respekt des Westens. „Jetzt sieht es eher nach einem unersättlichen Verlangen aus, das auch nach dem Ukraine-Krieg nicht gestillt sein wird. Dass Putin die alte Sowjetunion wieder herstellen wolle, habe ich immer für absurd gehalten. Aber vielleicht kommt diese These der Realität am nächsten. Wenn die aktuelle Strategie den Allmachtsfantasien eines Menschen entspringt, der nur noch Ja-Sager um sich versammelt hat, die ihm zujubeln, ist das brandgefährlich und erklärt seine absurden und irrationalen Begründungen, er wolle die Ukraine von einem Neonazi-Regime befreien, das auch Russland bedrohe. Den Preis für diesen Unsinn zahlt die Zivilbevölkerung in der Ukraine wie zuvor auch in Belarus und Kasachstan.“

Angst im Baltikum groß

Stracke schließt Konsequenzen für weitere Länder nicht aus: „Für uns ist das alles noch weit weg, für die Menschen in Polen und dem Baltikum oder Rumänien aber nicht. Gerade das Baltikum ist schwierig zu verteidigen und die Angst dort groß, dass die Nato wegen drei kleinen Nationen keinen Großkonflikt wagen werde.“ Stracke rechnet auch mit starken Flüchtlingsbewegungen aus den gefährdeten Regionen.

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Die Frage, inwieweit das russische Volk hinter Putin stehe, sei schwer zu beantworten: „ Umfragen zufolge stehen zwei Drittel der Russen grundsätzlich hinter Putin. Aber das heißt nicht, dass die Mehrheit eine Invasion in ein Land gutheißt, das vielen privat verbunden ist. Viele wollen mehr Einkommen und nicht mehr Landmasse.“

Pausenlos Staatsfernsehen

In russischen Haushalten, das habe er häufig erlebt, sei es Tradition, den ganzen Tag den Fernseher laufen zu lassen, auch wenn Gäste kämen: „Wer pausenlos russisches Staatsfernsehen konsumiert, entwickelt kaum Kritikfähigkeit. Wenn man das den ganzen Tag hört, glaubt man es irgendwann auch.“ Da sei es nicht verwunderlich, dass viele Russen überzeugt seien, die Ukraine sei ein Aggressor gegen ihr Land. „Ähnlich wie bei der Krim.“

Dass sich Putins Russland durch Sanktionen abschrecken lasse, glaubt Stracke im übrigen nicht: „Und militärisch will der Westen es zumindest in der Ukraine kaum darauf ankommen lassen. Darauf spekuliert er.“

Der Russland-Angriff stellt für die heimische SPD-Bundestagsabgeordnete Nezahat Baradari eine Zeitenwende dar: „Dieser eklatante Bruch des Völkerrechts (...) wird gravierende Folgen haben. Unsere europäischen Verbündeten und transatlantischen Partnerländer werden mit massiven finanziellen und politischen Sanktionen diese verbrecherischen Handlungen beantworten, für die allein der russische Präsident Putin die Verantwortung trägt“, so Baradari

Wladimir Putin sei für rationale Argumente kaum mehr zugänglich und eine große Gefahr, nicht nur für die Ukraine oder Europa, sondern auch für den Weltfrieden, so die Abgeordnete weiter.