Kreis Olpe/Siegen. Die IHK Siegen/Olpe befragte die heimischen Unternehmen zur aktuellen Lage. Industrie und Großhandel boomen, andere stehen mit Rücken zur Wand.

So richtig frohlocken wollten die Spitzenvertreter der IHK Siegen/Olpe dann doch nicht während der Pressekonferenz am Mittwoch Vormittag zur aktuellen IHK-Umfrage. IHK-Präsident Felix G. Hensel (Olpe) und Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener (Siegen) war sichtlich anzumerken, dass sie den starken Einschätzungen der Industrie und des Großhandels nur bedingt über den Weg trauen. Gräbener: „Das ist teilweise ein sehr schönes Bild, und der Auslastungsgrad in der Industrie, allen voran im Maschinenbau, ist über das Vorkrisen-Niveau gestiegen. Die Auftragsbücher sind prallvoll, und bei den Exporten haben wir Spitzenwerte.“ Im Maschinen- und Anlagenbau bewerteten 82 Prozent der Firmen ihre Geschäftslage als gut. Gräbener: „Das ist der höchste Wert seit mehr als 15 Jahren. Die Auftragseingänge aus dem In- und Ausland erreichen Spitzenwerte.“

Trügerische Sicherheit

Doch dann kommt das Aber: „Wir sollten uns nicht in trügerischer Sicherheit wiegen: Die Gesamtlage ist nicht stabil, eher unberechenbar.“ Denn was nützten volle Auftragsbücher, wenn unkalkulierbare Energiekosten, Preisexplosionen und unsichere Lieferketten solche Kalkulationen verhagelten. Gräbener: „Das kann schnell zum Lotteriespiel werden.“

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Ähnlich vorsichtig äußerte sich Felix G. Hensel, auch mit Blick auf die beiden großen Sorgenkinder Einzelhandel und Gastronomie: „Die Preise für Rohstoffe, Energie und Vorprodukte kennen seit Monaten nur eine Richtung: nach oben. Zudem belastet das verschärfte Pandemiegeschehen den ohnehin schon gebeutelten Einzelhandel und das Gastgewerbe stark. Corona wirkt gerade dort wie ein mächtiger Bremsklotz. Und ein Ende ist nicht wirklich in Sicht. Das Gastgewerbe verliert den Glauben an eine Trendwende, aber auch der Einzelhandel und etliche konsumnahe Dienstleister berichten von teils deutlich schlechteren Geschäften“

Einig waren sich Hensel und Gräbener, die die Umfrageergebnisse mit Stephan Häger (Leiter des IHK-Referats Konjunktur, Arbeitsmarkt und Statistik) präsentierten, dass die Umfrage einen repräsentativen Charakter habe: „Der Rücklauf war sehr gut“, so Gräbener, „fast 30 Prozent der befragten Unternehmen, also fast 560 von rund 1900, haben uns geantwortet. Das ist ein außerordentlich hoher Wert.“ Häger: „Die Umfrage ist zwischen Mitte und Ende Januar erfolgt, mit den 558 Betrieben werden mehr als 41.000 Beschäftigte aus Industrie, Bauwirtschaft, Handel und Dienstleistungsgewerbe in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe repräsentiert.“

Sorgenkind A 45

Weitere Ergebnisse: Der Konjunkturklimaindex – er ergibt sich aus Lagebeurteilung und Erwartung – erreichte 120 Punkte, womit er deutlich über dem Mittelwert der letzten 20 Jahre (105 Punkte) liegt. Fazit: Die Lagebeurteilung ist so gut wie seit drei Jahren nicht mehr.

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Breiten Raum in der Pressekonferenz nahm das Sorgenkind A 45/Rahmedetalbrücke ein. Gräbener: „Gestiegene Transportkosten, ein höherer Planungsaufwand, längere Anfahrtszeiten der Mitarbeiter, sinkende Arbeitgeberattraktivität, steigende Kosten, schwierigere Logistik: Wir beginnen langsam zu erahnen, wie nachhaltig die kleinen Risse im Brückenbeton die bisherigen Standortvorteile Südwestfalens untergraben.“ Gräbener forderte einen „Nachteileausgleich“, also eine staatliche Unterstützung, nicht zuletzt, wenn Unternehmen ihre Transporte auf die Schiene verlagern wollten. Der südwestfälische Standortvorteil gehe hier ein Stück weit verloren: „Covid haben alle, die gesperrte Brücke nur wir alleine“.

Einen positiven Trend zeichnet die Umfrage bei der Beschäftigungsentwicklung: Industrie, Großhandel und Baugewerbe wollten ihre Beschäftigtenzahl erhöhen. Hensel: „Der Personalbedarf ist ungebrochen. Allerdings haben die Betriebe immer größere Probleme, die offenen Stellen zu besetzen. 60 Prozent melden Engpässe. Acht von zehn Unternehmen gehen von einer Verschärfung des Fachkräftemangels in den kommenden Jahren aus. Die Sorge ist groß, dass sich der Fachkräftemangel von einer gravierenden Herausforderung zu einem regelrechten Wachstumshemmnis entwickelt.“

Gastronomie und Einzelhandel stehen mit dem Rücken zur Wand

Thema Corona: Die Omikron-Variante und die strengen Corona-Maßnahmen träfen seit Dezember den Einzelhandel und das Gastgewerbe erneut in der umsatzstärksten Phase des Jahres massiv. Die Lageeinschätzung stürzt im Einzelhandel um 32 Punkte und im Gastgewerbe um 78 Punkte ab. Stephan Häger: „Die 2G-Regelung für einen Großteil der Einzelhändler und die 2G-Plus-Regelung für die Gastronomie wirkt, gepaart mit der Verunsicherung der Verbraucher, faktisch wie ein Lockdown. Mit ,besorgniserregend‘ ist die derzeitige Situation noch zurückhaltend umschrieben. Die Finanzlage hat sich im Vergleich zum Herbst nochmals merklich verschlechtert. Für zahlreiche Betriebe geht es ums nackte Überleben.“