Hohenlimburg/Olpe. Was für Aussichten: Pendler Matthias Plum sitzt bis zur Rente jeden Tag vier Stunden hinterm Steuer, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen.

Matthias Plum, 58-jähriger Maschinenbauingenieur aus Hagen-Hohenlimburg, hat den Galgenhumor noch nicht verloren: „Ich habe meiner Frau mal vorgerechnet, was das bis zur Rente für mich bedeutet. Ich werde dann wahrscheinlich fast 60 Tage im Stau gestanden haben.“ Und das auch nur, weil er ein bis zwei Tage in der Woche Homeoffice machen könne. Was Plum meint, wird in den nächsten Jahren nicht nur ihn treffen, sondern viele seiner Leidensgenossen. Die Rede ist von typischen Berufspendlern, die aus dem Ruhrgebiet oder dem Hagener Umfeld Tag für Tag ihre Kilometer zum Arbeitsplatz und wieder zurück abspulen müssen. Und sich dabei irgendwie um oder durch das Nadelöhr Lüdenscheid hindurchquälen müssen.

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Denn seit dem vergangenen Wochenende steht fest: Vor der Rahmedetalbrücke ist Schluss. Nichts geht mehr. Düsterer Ausblick in die Zukunft: Mindestens fünf Jahre, eher mehr, wird es dauern, bis eine neue Brücke steht. Nicht mal für Pkw taugt das alte Bauwerk noch. Akut einsturzgefährdet, lautete das Fazit der Bauingenieure.

Nicht nur für Plum ein Schock, der seit fünf Jahren bei der Olper Traditionsgießerei Ohm & Häner in Friedrichsthal arbeitet und sich dort wohl fühlt: „In meinem Alter wechselt man ja nicht mehr so ohne weiteres den Job. Ich möchte hier bis zu meinem Renteneintritt bleiben.“

Bisher ein glücklicher Pendler

Ans Pendlerleben hatte sich der gelernte Werkzeugmacher gewöhnt. Bevor er zu Ohm & Häner wechselte, war er bei einem weiteren Olper Traditionsbetrieb, der Firma Schell, beschäftigt. „Ich bin jetzt seit fünf Jahren hier, war vorher 16 Jahre bei Schell, pendele also schon 21 Jahre von meinem Wohnort Hagen-Hohenlimburg ins Sauerland und zurück. Das war eigentlich nie ein Problem. Um die 45 Minuten Fahrzeit, das ist machbar.“

Jetzt zwei Stunden früher aufstehen

Und jetzt? „Damit ich halbwegs gut durchkomme, fahre ich fast zwei Stunden früher. Bisher bin ich meist so um 6.45 Uhr losgefahren, war dann so um 7.30 Uhr in Olpe beim Werk.“ Damit die Fahrt jetzt nicht zum Marathon-Projekt wird, startet Plum gegen 5.30 Uhr, um gegen 6.30 Uhr in Friedrichsthal einzutreffen. Das ist dann nur noch eine viertel Stunde länger, als vor der Brückensperrung.“ Aber ein anderer Tagesrhythmus. „Würde ich wie bisher um 6.45 Uhr losfahren, bräuchte ich fast zwei Stunden für eine Strecke.“

Und zurück dasselbe. Fast vier Stunden für den Weg zur Arbeit und zurück? Ein halber Arbeitstag hinterm Steuer. Auf der Rücktour kann er diesen „Joker“ nicht ziehen: „Wenn ich gegen 16 Uhr starte, bin ich etwa um 17.30 Uhr zu Hause, manchmal werden es auch zwei Stunden. Das ist nicht utopisch.“

15 Mal um die Welt

Das ist selbst für einen geübten Berufspendler kaum zu akzeptieren. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten ist er ohnehin schon etwa 15 mal um die Welt gefahren. Rund 600.000 Kilometer hinter dem Steuer von seitdem fünf Autos. Momentan rollt er in einem Range Rover zwischen Hagen und Olpe hin und her. Und hat natürlich, wie andere Pendler auf dieser Strecke auch, schon einiges ausprobiert.

„Normalerweise fahre ich in Hagen-Süd auf die A 45 und in Olpe wieder runter. Jetzt fahre ich vor Lüdenscheid gar nicht mehr auf die A 45, sondern über Wiblingwerde, also über Land. Durch Lüdenscheid muss ich aber dennoch, da geht kein Weg dran vorbei. In Lüdenscheid-Süd geht’s dann wieder auf die A 45 und nach Olpe.“ Zurück dasselbe. Andere Versuche, auf der Rücktour schon in Meinerzhagen abzufahren, dann über Kierspe, Halver und Breckerfeld Richtung Hagen hätten nicht wirklich durchschlagenden Erfolg gebracht.

Seltsame Straßenführung in LÜD

Neben der Brückensperrung wirke sich auch negativ aus, dass kaum eine Stadt eine derart seltsame Straßenführung wie Lüdenscheid habe: „Die Verkehrsführung ist teilweise irre, schwer nachvollziehbar. ich habe mich noch in keiner anderen Stadt so oft verfahren wie in Lüdenscheid.“ Aber, so zieht Plum ein ernüchterndes Fazit: „Es gibt nicht wirklich eine Alternative.“ Höchstens optimierte Ampelschaltungen oder die eine oder andere Einbahnstraßenregelung könne vielleicht eine leichte Verbesserung bringen.

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Richtig verärgert, erzählt Plum, sei er in der vergangenen Woche gewesen, als er zu allem Ärger über die Brückensperrung auch noch geblitzt worden sei: „Um 5.45 Uhr in Lüdenscheid. Keine Schulzeit, kein Fußgänger weit und breit in Sicht. Eine vierspurige Straße. Ich bin vielleicht 60 km/h gefahren, vermutlich waren 50 km/h vorgeschrieben.“ Da könne man wirklich von Fingerspitzengefühl der Behörden sprechen, zeigt der Hohenlimburger, der aus Letmathe stammt, dass er sich auch den Sinn für Ironie bewahrt hat. Den wird er in den nächsten fünf, sechs oder mehr Jahren wohl brauchen. Plums grundsätzliches Fazit: „Ich glaube nicht, dass ich während meiner Berufslaufbahn noch über die neue Brücke fahren werde.“