Olpe. Corona hat die Pflegekräfte im St.-Martinus-Hospital Olpe müde gemacht. Ihr Wunsch für 2022: systematische Anerkennung und eine Impfpflicht.
Beleuchtete Papiersterne hängen von der Decke herab. Auf der Theke steht ein Korb mit Tannengrün, darauf thront eine Rentier-Figur mit Nikolausmütze. „Manchmal stellen wir auch unseren CD-Player auf die Theke und spielen Weihnachtslieder ab. Das kommt aber auf die Situation an“, meint Wolfgang Bethke. Denn nicht immer sei die Situation angemessen für Besinnlichkeit oder Gemütlichkeit. Nicht, wenn ein Patient im Sterben liegt.
Heiligabend 2020: Drei Patienten sterben an Corona
Wolfgang Bethke (61), pflegerischer Leiter auf der Intensivstation im St.-Martinus-Hospital Olpe, hat schon viele Weihnachten im Krankenhaus verbracht. Arbeiten, wenn andere unter dem Tannenbaum zusammensitzen, das gehört bei dem Job dazu. „Das weiß man, wenn man sich für diesen Beruf entscheidet“, sagt Intensivpflegerin Sonja Alterauge. Die 43-Jährige ist Mutter von zwei Kindern, 11 und 9 Jahre alt. Im Team wird darauf Rücksicht genommen, dass zumindest diejenigen, die Familie mit kleinen Kindern haben, keinen Spätdienst an Heiligabend machen müssen.
Anders ist das bei Anna Lena Kremer. Die 27-Jährige ist alleinstehend, wechselte vor zwei Jahren von der Normal- auf die Intensivstation. Dann kam Corona. 2020 hatte sie über die Weihnachtsfeiertage Nachtschicht. Vom 23. bis 28. Dezember, 10 Stunden pro Tag, von 20 bis 6 Uhr. Neun Patienten sind in diesen sechs Tagen verstorben. „Es war schrecklich viel los. Allein an Heiligabend sind drei Patienten gestorben“, erinnert sich Anna Lena Kremer. Ihre Stimme beginnt zu zittern. Fünf Pflegekräfte fehlten, weil sie sich zu der Zeit in Quarantäne befanden.
Zu wenig Pflegekräfte für zu viel Arbeit
Seit Anna Lena Kremer auf der Intensivstation arbeitet, sieht sie Weihnachten mit anderen Augen. „Auch zu der Zeit leiden Menschen, denen wir nicht immer helfen können. Das nimmt man mit nach Hause. Und da muss man oft erst mal Druck ablassen, erzählen, was heute passiert ist“, sagt sie. Corona hat viele Pflegekräfte an ihre Belastungsgrenze gebracht. Manchmal auch darüber hinaus. Von den 42 Intensivpflegekräften im St.-Martinus haben sich acht versetzen lassen. „Wir haben wieder genauso viele Kopfstellen, sind aber weniger Vollzeitkräfte“, erklärt Wolfgang Bethke.
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Laut Bundesgesundheitsministerium gilt zwar eine Pflegepersonaluntergrenze: zwei Patienten pro Pflegekraft. Mit dem Pflegenotstand ist das in der Praxis allerdings kaum umzusetzen. „Für unsere 13 Intensivbetten bräuchten wir morgens und mittags jeweils sieben, nachts fünf Pflegekräfte. Meistens sind wir tagsüber aber nur fünf und nachts vier Pflegekräfte.“ Aktuell sind alle Intensivbetten im St.-Martinus-Hospital belegt. Drei davon mit Covid-Patienten.
Die erste Corona-Welle sei bislang die kräftezehrendste gewesen. „Das war für uns vor allem psychisch sehr belastend. Es gab nicht genügend Schutzkleidung, keine Tests, keine Impfung. Die Ansteckungsgefahr war viel höher“, sagt Sonja Alterauge. Mit der Impfung habe man jetzt ein sichereres Gefühl. Dass sich immer noch viele Menschen gegen eine Impfung sträuben, stößt auf der Intensivstation auf Unverständnis. Und Frust. „Manchmal frage ich mich schon, warum wir das ausbaden müssen. Einige wären nicht auf der Intensivstation gelandet, wenn sie sich hätten impfen lassen“, meint Anna Lena Kremer. Hin und wieder führe eine Covid-Infektion mit einem schweren Verlauf zum Umdenken. Dass die Patienten nach überstandener Krankheit sich doch noch impfen lassen. „Es gibt aber auch solche Fälle, die entlassen werden und sagen: ‚Ist doch alles gut gegangen‘“, so Wolfgang Bethke.
Angst vor körperlichen Auseinandersetzungen
Erfahrungsgemäß ist das Krankenhaus in den Wintermonaten stärker ausgelastet. Infekte können sich leichter übertragen. „In den Monaten Oktober bis Dezember haben wir viele Beatmungen auf der Station. Unabhängig von Covid“, sagt Bethke. Das seien oft chronische Luftnotpatienten. Aber auch Reanimation häuften sich zu dieser Jahreszeit. Allein Anfang Dezember seien acht Patienten auf der Intensivstation verstorben. Es ist eine stressige Zeit für Ärzte und Pfleger, die an die Substanz geht. Körperlich und mental. Dazu die anhaltende Pandemie, die Unwägbarkeiten, die Einschränkungen. Die Stimmung sei aggressiver geworden. „Manche Schwestern haben Angst, dass es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen könnte. Weil einige Angehörige der Intensiv-Patienten uneinsichtig sind“, erzählt Bethke. Das reiche von Täuschungsversuchen, in denen sich mehrere Personen mit einem Impfpass Zugang zum Krankenhaus verschaffen wollen, bis hin zu einer Missachtung der Maskenpflicht. „Das sind dann zum Teil Nicht-Geimpfte, die die Maske abziehen und sich ans Bett des Covid-Patienten setzen.“
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Wenn sich die Pflegekräfte auf der Intensivstation etwas wünschen könnten, dann wäre es das Ende der Pandemie. „Dass wir nicht mehr so eine heftige Welle erleben. Und mehr Personal bekämen“, sagt Sonja Alterauge. „Handeln statt Klatschen“, findet Anna-Lena Kremer. Systematische Anerkennung. Dazu gehört ein gerechterer Lohn – vor allem an Feiertagen –, aber auch eine langfristige Pflegekampagne, um zu zeigen, wie gesellschaftlich wertvoll dieser Job ist. Wolfgang Bethke hofft auf eine generelle Impfpflicht. Das funktioniere aber nur mit einer ausreichenden Impfstoffmenge. „Man fragt sich schon, wie es nach über einem Jahr Pandemie passieren kann, dass der Impfstoff aktuell wieder knapp ist. Es scheint so, als ob die Politik nicht viel dazu gelernt hat.“ Dass Österreich bereits vor Wochen eine allgemeine Impfpflicht eingeführt habe, sei zwar radikal. „Aber“, fragt Bethke: „warum denn nicht?“ Für ihn sei es mittlerweile der einzige Weg aus der Pandemie. Und aus der chronischen Überlastung der Pflegekräfte, die mittlerweile Alltag geworden ist.