Olpe. Die Helios-Klinik in Attendorn hat das Aus der Geburtenstation angekündigt. Doch könnte die Olper Klink künftig mehr Geburten durchführen?

Nachdem die Helios-Klinik in Attendorn angekündigt hat, die Geburtsstation zu schließen, rücken die Geburtskliniken in der Nachbarschaft in den Blickpunkt. Muss dort ausgebaut und personell aufgestockt werden? Ist das überhaupt möglich, gibt es genügend Personal? Der Chefarzt der Olper Frauenklinik am Martinus-Krankenhaus, Dr. Jürgen Schwickerath, steht Rede und Antwort.

Ein Mangel an Pflegekräften, Hebammenproteste und das Aus für Geburtsstationen, jetzt bei Helios in Attendorn. Ist die Gynäkologie eine Problembranche?

Dr. Jürgen Schwickerath Wir haben in der Medizin fast nur Problembranchen.

Warum?

Weil der personelle Nachwuchs in vielen Bereichen fehlt.

Also auch der ärztliche Nachwuchs?

Ja, die Studienplätze sind zwar voll belegt, aber die Bewerber werden über den Numerus clausus falsch aussortiert. Diejenigen, die wirklich für das Arztleben geeignet sind, kann man nicht über einen Numerus clausus auswählen.

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Soll heißen, es gibt junge Leute, die den Verstand haben, denen aber das Herz für die Medizin fehlt?

Ja, einigen fehlt die Empathie und der Enthusiasmus, die Medizin zu leben. Und zu lieben. Wer in möglichst wenig Zeit möglichst viel Geld verdienen will, ist bei uns fehl am Platz.

Diese Argumentation höre ich dauernd, aber warum wird nicht endlich umgesteuert? Es fehlen ja auch Landärzte. Und es können sicherlich auch Schüler mit einem Schnitt um die Zwei tolle Ärzte werden?

Ja, natürlich.

Was muss anders laufen?

In anderen Ländern hat zunächst einmal jeder Abiturient Zugang zum Studium, und erst nach den ersten Semestern wird ausgesiebt. In solch einer Eingewöhnungsphase wird schon sichtbar, wer das Rüstzeug hat. Wem der Beruf später einmal Spaß macht und wer in der täglichen Arbeit mit Patienten auch seelisch stabil bleibt. Wir brauchen den Nachwuchs, der hier zur Schule geht. Und von den motivierten Leuten in den Universitäten sollten auch mindestens 80 Prozent später als Ärzte hier auch tätig sein.

Wie viel Prozent sind es jetzt, die nach dem Studium für die Arbeit am Patienten übrig bleiben?

Ich glaube, höchstens 60 oder 70 Prozent, und von denen sagen dann auch noch einige, dass sie nur in Teilzeit arbeiten möchten. Unter anderem aus familiären Umständen. Die Arbeit im Krankenhaus bedeutet aber Tagdienst, Spätdienst, Nachtdienst, Wochenenddienst. Das schränkt die persönlichen Freiheiten erheblich ein.

Zurück zum Eingangsthema: Wie will die Katholische Hospitalgesellschaft mit ihren Geburtskliniken in Olpe und Lennestadt die rund 500 Geburten, die in Attendorn jährlich begleitet wurden, zusätzlich bewältigen?

Diese 500 werden sich wahrscheinlich auf mindestens drei oder vier Kliniken verteilen: Auf Lüdenscheid, Gummersbach und eben Olpe/Lennestadt. Attendorn hatte viele Geburten auch aus den Bereichen Halver, Marienheide und Meinerzhagen, die eher in anderen Krankenhäusern stattfinden werden.

Wie viele werden von diesen 500 aber in Olpe landen?

Ich rechne damit, dass wir in Olpe im Jahr rund 150 Geburten mehr haben werden.

Wie viele sind es jetzt?

In diesem Jahr steuern wir auf rund 800 Geburten.

Ab wann ist eine Geburtsklinik rentabel zu führen?

Das beginnt etwa bei 700 Geburten im Jahr, 500 sind definitiv zu wenig.

Dann gibt es kaum eine Chance, die Entscheidung von Helios noch einmal zu drehen?

Ich kann nur so viel sagen, dass vor wenigen Tagen eine Patientin aus Attendorn bei uns angerufen hat, ob sie auch bei uns entbinden könnte. Sie habe eigentlich in Attendorn ihr Kind zur Welt bringen wollen, das sei aber nur noch bis zum 22. Oktober möglich.

+++ Unsicherheit der Schwangeren in der Helios-Klinik ist groß +++

Sind die eben erwähnten 800 pro Jahr im Martinus-Hospital der Rekord?

Vor fünf Jahren waren es schon einmal so viel. Sonst sind es meist um die 700.

Mit den zusätzlichen 150 bewegen Sie sich auf 1.000 Geburten pro Jahr zu?

Ja. Aber man sollte sich vor Augen halten, dass das dann nur jeden zweiten Tag eine Geburt mehr wäre. Kein Grund zur Panik.

Also mit dem derzeitigen Personal wird das gelingen?

Nein, wir wollen und müssen weitere Hebammen einstellen.

Sind die auf dem Markt?

Es wird schwierig. Ich habe schon vor eineinhalb Jahren angeregt, dass wir junge Frauen aus unserer Region, die mit einer Hebammenausbildung liebäugeln, finanziell spürbar unterstützen, wenn sie sich dazu entschließen.

Eine Art Hebammen-Stipendium?

Genau das. Diese jungen Hebammen müssten sich dann verpflichten, zumindest für einen gewissen Zeitraum hier zu bleiben. Über diese Idee werden wir jetzt, angesichts der Entwicklung bei Helios, noch einmal konkret nachdenken müssen.

Mit Ihrem derzeitigen Ärzteteam könnten Sie also die 150 zusätzlichen Geburten pro Jahr bewältigen?

Ja, das ist zu schaffen.

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Aber mit den Hebammen nicht?

Nein.

Wie viele Hebammen brauchen Sie zusätzlich?

Ich denke, wenn sich die Geburtenzahlen tatsächlich so nach oben entwickeln, wie erwartet, sollten es schon drei bis fünf zusätzliche sein. Das ist aber kein spezielles Sauerländer Problem, das Thema steht in allen Geburtskliniken ganz oben auf der Agenda. Deshalb wird es auch sehr schwierig sein, geeignetes Personal von außerhalb zu bekommen.

Wir sprechen vermutlich zu 99,9 Prozent von Frauen.

Ja, es gibt, glaube ich, in ganz Deutschland nur drei männliche Geburtshelfer. Der Beruf ist tatsächlich eine Frauendomäne.

Warum sind zusätzliche Hebammen so wichtig?

Wir versuchen jetzt bereits, Dienste doppelt zu besetzen. Das müsste dann aber zur Regel werden. Das Ziel muss sein, dass immer zwei Hebammen rund um die Uhr hier einsatzbereit sind. Nachts, im Früh- und im Spätdienst. Alle Frauen sollen bei der Geburt eine Eins-zu-eins-Betreuung bekommen.

Themenwechsel: Die Kaiserschnittgeburten nehmen immer mehr zu. Ist das aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Die Diskussion rund um das Thema Kaiserschnitt wird seit Jahren teilweise sehr kontrovers geführt. Es gibt eine bemerkenswerte Arbeit eines Kollegen aus Ulm, die, so glaube ich, den Kern trifft. Er sagt, dass die Zahl der Kaiserschnitte deshalb gestiegen ist, weil sich die Menschen verändert haben. Wir haben einen anderen Körperbau, sind im Schnitt etwas beleibter, und die Neugeborenen sind aufgrund unserer Ernährung größer und schwerer. Viele Frauen können zudem Kinder bekommen, denen es früher, wegen unterschiedlichster Einschränkungen oder Erkrankungen, verwehrt blieb. Das sind häufig potenzielle Kaiserschnitt-Patientinnen.

Aus geografischer Sicht ist der Erhalt der Geburtsklinik in Lennestadt notwendig, wäre es aus medizinischer Sicht nicht ökonomischer, eine große Geburtenstation in Olpe anzusiedeln?

Hinter Lennestadt gibt es in der Nähe nichts mehr. Meschede hat vor einigen Jahren aufgegeben, dann müsste man bis Neheim-Hüsten fahren. Richtung Winterberg ist Fehlanzeige, dahinter besteht erst wieder im hessischen Frankenberg ein Angebot. Bleibt noch Bad Berleburg mit einer ganz kleinen Geburtsstation, ansonsten noch das Siegerland. Dabei gibt es die Vorgabe, dass eine Geburtsklinik für jeden in 20 bis 40 Minuten erreichbar sein sollte. Ohne Lennestadt wäre das für jemand aus Schmallenberg schwierig.

Und die medizinische Sicht?

Aus rein medizinischer Sicht wäre eine Bündelung sinnvoller, folglich die Bildung einer zentralen und leistungsstarken Geburtsklinik in Olpe.

Wird im Rahmen des großen Um- und Neubaus des Martinus-Krankenhauses auch das Angebot der Frauenklinik erweitert?

Das hoffen wir. Der Umbau muss alle Leistungsangebote des Krankenhauses gleichermaßen verbessern. Dass eine gute Kardiologie da ist, eine gute Chirurgie, gute Frauenklinik und eine gute Psychiatrie.

Dann müssen die Pläne ja von Grund auf neu gedacht werden?

Das gesamte Krankenhaus muss renoviert und ausgebaut werden. Was die früheren Geschäftsführer Franz-Jörg Rentemeister und Wolfgang Nolte versucht haben, stückweise umzusetzen, ist die GFO gezwungen, jetzt in einem Guss zu vollziehen.

Ein Schuss Satire zum Schluss: Ist es den Attendornern zuzumuten, wenn die Geburtsklinik Olpe überlaufen sein wird, ihre Kinder im Siegerland zur Welt bringen zu müssen?

Die Attendorner sind ja sehr auf das Kurkölnische geprägt. Da gibt es nichts Naheliegenderes, als die Kinder von einem Urkölner wie mir auf die Welt holen zu lassen. Wir werden also alles dafür tun, niemals einen Attendorner abweisen zu müssen.