Serkenrode/Attendorn. Greta, Alina und Karlotta sollen 250 Euro zahlen, weil sie gegen Corona-Auflagen verstießen. Der Fall wird von der Staatsanwaltschaft geprüft.

Alina (18), Greta (17) und Karlotta (16) können es bis jetzt nicht nachvollziehen. Auch drei Monate danach nicht. Die Drei kennen sich aus Kindergartenzeiten, leben nicht weit entfernt voneinander in ihrem Heimatdorf Serkenrode. Sie sind quasi miteinander aufgewachsen. Doch die Corona-Regeln nehmen keine Rücksicht vor langjährigen Freundschaften. Das merkten die Drei spätestens am 14. Mai 2021, als sie sich in Attendorn trafen. Eine Begegnung, deren Folgen bis heute andauern.

Jugendliche treffen sich ungeplant auf einem Attendorner Parkplatz

„Ein Arbeitskollege brachte mich mit seinem Auto zu dem Lkw-Parkplatz, in der Nähe des Raiffeisen-Marktes. Dort sollte mich später mein Vater abholen“, erinnert sich Greta. Es war Freitagnachmittag, fast Wochenende. Greta und ihr Kollege holten sich jeweils eine Pizza und ein Bier, stießen aufs Wochenende an, quatschten. Was sie nicht wussten: Auch Alina und Karlotta waren zu dieser Zeit ganz in der Nähe. Sie holten sich ebenfalls etwas zu trinken im Raiffeisen-Markt, gingen etwas spazieren – und trafen schließlich auf Greta und ihren Arbeitskollegen.

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„Und weil man sich eben so lange kennt, sagt man nicht einfach nur ‘hallo’ und geht dann weiter. Wir haben uns ein wenig unterhalten, standen um das Auto herum verteilt“, erklärt Greta. Plötzlich wurden aus zwei Zweiergruppen eine Vierergruppe aus vier Haushalten. Ein Verstoß gegen die Corona-Schutzverordnung, die zu diesem Zeitpunkt galt. Und genau darauf wurden auch die Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Stadt Attendorn aufmerksam, die an jenem Freitagnachmittag eine Kontrollfahrt im Attendorner Industriegebiet machten.

Ordnungsamt Attendorn soll mit der Polizei gedroht haben

Mit den Worten „wenn ihr jetzt falsche Angaben macht, nehmen wir euch direkt mit zur Polizei“ sollen die zwei Ordnungsamtsmitarbeiter die Jugendliche begrüßt haben. Keine Vorstellung, keine Auf- oder Erklärung, keine Verwarnung. So zumindest die Version von Alina, Greta und Karlotta. „Ich habe auch noch mal nachgefragt, wie genau die Regeln aktuell sind“, meint Greta. Zumal sowohl Greta als auch ihr Kollege an diesem Tag einen Corona-Schnelltest gemacht hatten, der negativ ausfiel. „Aber weder die Mitarbeiterin noch der Mitarbeiter konnte uns darauf eine verständliche Antwort vor Ort geben. Sie meinten nur, dass so, wie wir uns da verhalten haben, es nicht richtig sei.“ Sie nahmen die Personalien der Mädchen und des Arbeitskollegen von Greta auf, teilten ihnen mit, dass sie in den kommenden Tagen ein Bußgeldbescheid per Post erhalten werden und forderten sie auf auseinanderzugehen.

Greta und Alina erhalten am 18. Mai ein Schreiben der Stadt Attendorn, Karlotta erst am 27. Juli. Der darin beschriebene Vorwurf ist aber derselbe: Verstoß gegen Paragraf 28b Absatz 1 Nummer 1 des Infektionsschutzgesetzes. Das Bußgeld: 250 Euro, plus Gebühr und Auslagen. Doch nicht nur die Summe, sondern vor allem der Umgang hat die Jugendlichen geschockt. Und deren Eltern verärgert. „Wie kann man Minderjährigen so gegenübertreten, sie so einschüchtern? Zumal das Ordnungsamt offenbar ein Tag vorher – an Vatertag, an dem viele mit ihren Bollerwagen unterwegs waren – eher auf aufklärende Gespräche als auf Sanktionen gesetzt hat, wie es in der Presse zu lesen war“, argumentiert Alinas Mutter Monika Schweitzer.

Bußgeldverfahren wurde jetzt an die Staatsanwaltschaft übergeben

Sowohl Alinas Eltern als auch die Eltern von Greta und Karlotta akzeptieren den Vorwurf nicht widerstandslos und verfassen eine Stellungnahme, die sie an das Ordnungsamt der Stadt Attendorn zurückschicken. Darin heißt es unter anderem: „Wenn man bedenkt, dass (...) am Vatertag lediglich Aufklärungsarbeit betrieben wurde und keine Bußgelder ausgestellt wurden, obwohl sehr viel los war, kann man an der Gleichberechtigung aller Menschen zweifeln.“ Nach Prüfung sieht die Stadt allerdings keine entlastende Angaben vorliegen. Der Bußgeldbescheid – zumindest von Alina und Greta – wurde mittlerweile an die Staatsanwaltschaft Siegen übergeben.

„Dieses Prozedere ist gesetzlich festgelegt“, erklärt Danica Struck, Leiterin des Attendorner Ordnungsamtes. Und auch, wenn sie persönlich den „Ärger“ der Familien ein Stück weit nachvollziehen kann, bittet sie gleichzeitig um Verständnis für die Ordnungsbehörden. „Sie waren insbesondere zu diesem Zeitpunkt durch die Corona-Schutzverordnung angehalten, rigoros gegen Verstöße vorzugehen. Die Risiken solcher untersagten Zusammentreffen müssten mittlerweile jedem bekannt gewesen sein.“ Ob und warum es zu einschüchternden Kommentaren seitens der Ordnungsbehörde gekommen ist, dazu bezieht Danica Struck keine Stellung. Auch nicht dazu, warum das Ordnungsamt im Gegensatz dazu an Vatertag auf Aufklärung statt auf Bußgelder gesetzt hatte.

„Kein Ermessensspielraum“ für die Stadt Attendorn

In mehreren Telefonaten und E-Mails sei der Familie Schweitzer der Standpunkt der Ordnungsbehörde deutlich gemacht worden. „Der Verstoß lag vor, er wurde zugegeben und der Bußgeldbescheid, dessen Geldbuße sich nach einem vom Land festgelegten Bußgeldkatalog richtet, müssen wir aufrecht erhalten. Hier gibt es für die Hansestadt Attendorn gesetzlich keinen Ermessensspielraum“, so Struck. Man habe die Jugendlichen an einem „bekannten Hotspot mit alkoholischen Getränken angetroffen. Das ließ leider keinen anderen Schluss zu, dass hier ein Verstoß gegen die Corona-Schutzverordnung vorlag“, erklärt Struck.

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Ob das zuständige Amtsgericht in der nächsten Instanz für Alina, Greta und Karlotta entscheidet, bleibt abzuwarten. Denn obwohl die Drei beteuern, dass es kein geplantes Treffen gewesen sei, werden sowohl vorsätzliche als auch fahrlässige Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz geahndet. Das Gericht wird damit prüfen müssen, ob diese Begegnung am 14. Mai fahrlässig war – oder bloß ein zufälliges Treffen unter Freunden zum falschen Zeitpunkt.