Kreis Olpe. Die Familienberaterin berichtet über ihren Berufsalltag. Weil der Ausgleich fehlt, kommen Paare schneller in Stresssituationen. Was dabei hilft:

Seit fast einem Jahr bestimmt Corona unseren Alltag. Lockdown, Kontaktbeschränkungen, Homeoffice, Schulschließungen – der Großteil des Lebens spielt sich momentan zuhause ab. Damit ist Corona auch eine Belastungsprobe für Paare und Familien geworden. Wie geht man damit am besten um? Anne-Christine Nähring, Diplom Ehe-, Familien- und Lebensberaterin von der Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensberatung (EFL) mit Sitz in Olpe und Siegen, berichtet aus dem Berufsalltag.

Wieso ist aus Ihrer Sicht die Corona-Krise auch mental so anstrengend?

Anne-Christine Nähring: Es ist eine Zeit, in der Menschen deutlicher ihre Verunsicherungen und Ängste spüren. Es gibt Verschiedenes, wodurch das ausgelöst wird. Wir sind seit einem Jahr in der Pandemiesituation mit noch ungewissem Ausgang. Die große Anzahl an Covid 19 verstorbenen Menschen verunsichert. Dazu die Fülle an Informationen in unterschiedlichster Qualität, das Ringen der Politik um den angemessenen Weg –all dies fordert heraus die eigene Balance immer wieder neu zu halten. Viele Menschen, die hierhin kommen, formulieren das auch. Es ist ganz viel Unausgesprochenes da. Aber ich habe auch den Eindruck, dass ganz Viele in dieser Zeit gelernt haben, sich und ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Das Verrückte ist: Das Ende ist noch nicht in Sicht. Mit der Unsicherheit umzugehen und sich davon nicht verrückt zu machen – das ist mit eine der schwierigsten Herausforderungen.

Kommen mehr Paare zu Ihnen als vor der Corona-Pandemie?

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Die Konflikte sind im Grunde die gleichen wie vor Corona. Aber die Leute kommen schneller in Streitsituationen, weil der Druck größer ist. Das kann man sich ein bisschen wie ein Dampfkochtopf vorstellen. Der Ausgleich, den man sonst gehabt hat – mit Freunden essen gehen und sich austauschen, ins Fitnessstudio gehen oder in den Urlaub fahren – ist jetzt nicht mehr gegeben. Glücklicherweise haben Viele passende Alternative gefunden. Sei es, dass man sich zu virtuellen Kochabenden verabredet oder Online-Workouts macht. Die Kreativität ist riesig. Aber trotzdem kann nicht jedes Bedürfnis gestillt werden. Und

da reagieren manche Menschen unzufrieden, wütend und traurig. Es schmerzt. Man muss auf etwas verzichten – zum Beispiel auf den Mannschaftssport – und das sind wir so nicht gewohnt.

Wie kann ich dieses unangenehme Gefühl des Verzichtens besser aushalten?

Man könnte versuchen zu begreifen, dass hinter dem Verzicht ein höherer Wert steckt. Man wird niemanden von seiner Familie, seinen Freunden oder aus der Mannschaft anstecken wollen. Keiner kann voraussagen, wie der Verlauf ist. Denn auch bei scheinbar sehr gesunden Menschen gibt es schwere Verläufe – unter Umständen mit schweren, neurologischen Spätfolgen.

Wer sucht bei Ihnen aktuell Hilfe?

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Es sind vermehrt jüngere Paare, sprich Paare bis 35 Jahre. Das sind in erster Linie Paare, bei denen Homeoffice, kleine Kinder und Homeschooling eine Rolle spielen. Das zusammen lässt natürlich das Stresslevel steigen. Das Bemerkenswerte ist aber, dass die Paare in den Gesprächen oft selbst schnell merken, dass sie selbst ganz viele gute Ideen haben. Viele brauchen gar keine großen Tipps, sondern nur eine kleine Hilfestellung, um miteinander ins Gespräch zu kommen, damit sie verstehen, welche Bedürfnisse sich zum Beispiel hinter ihrer Wut eigentlich verstecken. Dass sie zum Beispiel mal einen Abend für sich alleine haben möchten. Wenn das klar ist, dann kann man für sich als Paar ganz gut sorgen. Es geht um das Verständnis für die Bedürfnisse, Sorgen und Gefühle, die jeder hat.

Wie kann ich es in stressigen Situationen vermeiden, meine negativen Gefühle am Partner auszulassen?

Wenn wir verstehen, warum wir uns eigentlich so fühlen, wie wir uns fühlen, dann müssen wir die Wut oder den Ärger nicht beim Partner abladen. Wir sollten in die Tiefe gehen und uns selbst fragen: ‘Was fehlt mir?’ Und dann versuchen, mit einem Ersatz diesen Mangel auszugleichen. Wenn ich merke, dass ich die Menschen um mich herum vermisse, dann kann ich mich zum Beispiel zum Video-Anruf verabreden. Das hilft. Es ist aber auch wichtig sich einzugestehen, dass da eine Lücke ist. Dass wir unser Leben schmerzlich vermissen.

Wenn ich in der Beziehung Klärungsbedarf habe: Wie suche ich dann am besten das Gespräch zum Partner?

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Wenn wir etwas ansprechen möchten, dann wäre es hilfreich unseren Partner zunächst zu fragen, ob bzw. wann er Zeit hat. Oft gehen wir einfach davon aus, dass unser Partner immer ein offenes Ohr für uns haben muss. Corona zwingt uns auch darüber nachzudenken, wie man sich eine Beziehung überhaupt vorstellt. Muss ich ständig verfügbar sein für meinen Partner? Muss ich ständig bereit sein, für meinen Partner Probleme zu regeln? Ist mein Partner dafür da, dass es mir gutgeht? Das denken nämlich Viele.

Aber löst so ein Satz wie “Schatz, wir müssen mal reden” nicht automatisch Stress aus?

Das kann sein. Oft neigen wir eher dazu in die Befürchtung zu gehen, statt einfach mal abzuwarten, was genau da kommt. Aber sowas kann man auch konkreter anfragen. Statt es so dramatisch klingen zu lassen, kann man zum Beispiel sagen: “Du, ich hatte heute eine doofe Situation bei der Arbeit. Ich möchte, dass du mir damit zuhörst. Wann hast du Zeit?” Ich spreche von mir und meinem Bedürfnis und äußere eine Bitte.

Es gibt ja diesen nervigen Spruch “In jeder Krise liegt eine Chance”. Können Sie das aus ihren aktuellen Gesprächen mit Paaren bestätigen?

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Ich habe den Eindruck, dass viele Paare nochmal deutlich spüren, wie sehr sie aufeinander angewiesen sind. Auf eine positive Weise. Sie merken, dass sie das gemeinsam bewältigen können. Aber es gibt auch Paare, die merken, dass ihnen ihre Verbundenheit weitestgehend abhandengekommen ist. Die möchten jetzt klären, wie es mit ihnen weitergeht. Ob sie nochmal zusammenfinden oder ob die Corona-Krise ihnen zeigt, dass sie den Weg nicht mehr gemeinsam gehen können.

Homeoffice, Haushalt, Homeschooling – haben Sie den Eindruck, dass vor allem Frauen in dieser Krise gefordert sind?

Viele Frauen fallen in der Corona-Zeit in alte Rollenmuster zurück. Das sind in erster Linie eingefleischte Muster und es ist eine große Herausforderung für Paare gemeinsam in dieser Zeit die anstehenden Fragen und Aufgaben zu besprechen und zu bewältigen. Dabei kann es wirklich hilfreich sein möglichst konkret die eigenen Vorstellungen auszusprechen und mit denen des Partner abzugleichen.

Bedingt durch Kita- und Schulschließungen hocken Familien momentan rund um die Uhr aufeinander. Wie kann ich verhindern, dass es da zu einem großen Knall kommt?

Das Wichtige ist, dass jeder Erwachsene erstmal schaut, wie er gut für sich selbst sorgen kann. Sich kleine Inseln und Rückzugsmöglichkeiten schaffen. Wenn man sich zum Beispiel 15 Minuten ins Bad zurückziehen und in aller Ruhe duschen kann, ist das schon viel wert. Eltern wissen sehr gut, was ihre Kinder brauchen. Dazu gehört Bewegung, denn nach draußen gehen dürfen wir ja. Dazu gehört Genuss – sei es in Form eines leckeren Essens, eine schöne Fernsehsendung oder Kuschelzeit mit Mama und Papa. Innehalten, zur Ruhe zu kommen und sich nicht dauernd beschallen zu lassen. Und – ganz wichtig – Dankbarkeit. Zu sagen, “Mensch, ich finde es super, wie toll du dich die letzte halbe Stunde auf deine Hausaufgaben konzentriert hast. Ich danke dir, da hatte ich jetzt auch mal ein bisschen Zeit für mich.”

Was hilft, wenn ich mich einfach nicht dazu aufraffen kann, beispielsweise nach draußen zu gehen oder Sport zu machen?

Struktur. Es hilft, als Familie einen Wochenplan zu machen. Festzuhalten, dass montags zum Beispiel eine Spielenachmittag ist. Es geht nicht darum, zu 100 Prozent diszipliniert zu sein, sondern eine Routine als Familie zu haben. Und die meisten haben das auch ganz intuitiv.

+++ Infobox +++

Die EFL ist ein Angebot des Erzbistums Paderborn. Sie ist aber eine konfessionsübergreifende Anlaufstelle für Ratsuchende.

Die Beratung ist kostenlos und wird überwiegend vom Erzbistum Paderborn, vom Land NRW und von einzelnen Kommunen finanziert.

Kontakt: Kölner Straße 2, 57462 Olpe, Tel. 02761/40180. Bürozeiten sind montags bis donnerstags, 8.30 bis 11.30 Uhr und donnerstags, 14.30 bis 16.30 Uhr.

Abgesehen von persönlichen Vor-Ort-Terminen bietet die EFL auch Online-Beratungen an – per E-Mail, Einzelchat oder Video.

Mehr Infos zum Beratungsangebot unter www.paderborn.efl-beratung.de