Würdinghausen. Für Esther Ringbeck, Kinderkrankenschwester und Mutter aus Kirchhundem, werden Kleinkinder in der Krise völlig vergessen. Was sie befürchtet.
Die Schwächsten haben in der Corona-Pandemie die schlechtesten Karten. Und dazu zählen für Esther Ringbeck vor allem die Kleinkinder. „Die ganz Kleinen bleiben in der Corona-Pandemie völlig auf der Strecke und werden immer Coronaopfer bleiben“, sagt die Kinderkrankenschwester, die im Nebenerwerb Kurse für Eltern mit Kleinkindern anbietet. Wir sprachen mit der Würdinghauserin über ihre These, die wie ein eindringlicher Appell klingt.
Warum halten Sie vor allem Kleinkinder für die Verlierer in der Pandemie?
Wir sprechen immer von Kindergarten und Schule, das ist eh schon schlimm genug, aber es gibt auch noch die ganz Kleinen, von denen spricht kaum jemand. Für die Kinder ist die Situation sehr schlimm.
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Wie meinen Sie das konkret?
Überlegen Sie mal, die Kinder sehen außer ihren Eltern nur Menschen mit Masken und Augen, sie sehen kein Lachen, keine Mimik. Die nonverbale Kommunikation fällt praktisch flach. Es gibt Kleinkinder, die haben in ihrem Leben noch nie ein anderes Kind gesehen. In meinen Augen ist das eine Katastrophe. Die Kinder lernen in diesem Alter gerade durch nachahmen und nachmachen, das fällt im Moment komplett weg. Es gibt zig Studien über die Bedürfnisse von Kindern und Kleinkindern, aber niemand tut etwas, um diese auch nur ansatzweise für die Minis umzusetzen. Sie müssen sich auch mal gegenseitig ein Spielzeug wegnehmen können. Das sind alles Kleinigkeiten, die wichtig für die Entwicklung sind und nicht wiederkommen.
Können die Kinder diese Entwicklungsdefizite später nicht wieder aufholen?
Gerade in der Entwicklungsphase im ersten Lebensjahr lernen die Kinder am meisten. Sie lernen greifen, sich drehen, robben, sie stärken dadurch ihre Muskulatur und bereiten sich auf das Laufen vor. Auch für die Stärkung der Immunabwehr ist der Kontakt ganz wichtig. Das baut sich in dem Alter langsam auf und bildet Resistenzen. Ich hatte kürzlich ein Baby im Massagekurs, das hat nur geweint, weil es noch nie andere Kinder gehört und gesehen hat. Ich glaube, dass man die Defizite im ersten Jahr nicht aufholen kann, da wird was fehlen bleiben, physikalisch, emotional und auch sozial.
Auch für junge, unerfahrene Eltern fehlen in der Pandemie wichtige Ansprechpartner, oder?
Ja, vor allem für Erstlingseltern. Neugeborene schreien und schlafen manchmal nicht, gerade in der Umstellung in eine andere Entwicklungsphase treten neue Probleme auf. Die Mütter denken, sie machen etwas falsch, weil sie keine Chance haben sich auszutauschen. Sie wissen nicht, dass alles normal und gut läuft. Das ist auch eine Katastrophe, aber auch darüber spricht niemand.
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Können ältere Kinder die fehlenden, sozialen Kontakte besser wegstecken. Was sagen Sie als Mutter vor drei Kindern dazu?
Ich glaube, dass die Schulkinder das besser wegstecken, als wir denken. Aber sie brauchen Strukturen, das gibt Sicherheit. Niemand kann mir sagen, dass dies alles spurlos an ihnen vorbei geht. Die Kinder kriegen das alles mit. Bei unseren drei Kindern stand Weihnachten bei allen auf dem Wunschzettel: Liebes Christkind, ich wünsche mir, dass Corona endlich bald vorbei ist!
Wie empfinden Sie und die Kinder den täglichen Lockdown?
Zuhause mit einem Kindergartenkind und zwei Schulkindern, das ist kein Zuckerschlecken. Das ist schon eine Herausforderung. Es ist nicht so, dass wir das nicht hinkriegen. Ich bin gut ausgebildet und schaffe es die Kinder zu beschäftigen, aber es ist nicht das, was die Kinder wirklich brauchen. Ich bin keine Pädagogin und es ist etwas anderes, wenn die Mama sagt, mach das mal und das mal. Das ist ein Riesenunterschied. Gerade im ersten Schuljahr lernen die Kinder doch nicht von Mama und Papa lesen und schreiben. Sie konnten einen normalen Schulalltag bisher noch gar nicht kennenlernen. Ich sehe schwarz, wenn das noch länger so weiter geht. Es kann doch nicht sein, dass die Kinder auf der Strecke bleiben und die guten Verhältnisse, die wir Eltern zu unseren Kindern haben, kaputt gehen, weil wir nicht nur Mama sein dürfen, sondern Freunde und Lehrer ersetzen müssen.
Was schlagen Sie vor, wie kann den Familien geholfen werden?
Das Wichtigste ist, dass die Kinder schnell wieder in die Schule gehen können, damit sie wenigstens ihre Freunde auf Distanz sehen, wieder am sozialen Leben teilnehmen und damit wieder ein Stück Normalität einkehrt.
Aber gerade die persönlichen Kontakte sollen durch den Distanzunterricht verhindert werden, sagen Politik und Behörden.
Ich glaube, dass das in den Schulen mit Abstand, Masken und Pausenregelung gut gelaufen ist und dass nur der Schulweg und die überfüllten Busse das Problem sind. Wenn die Schulen die Ansteckungsherde wären, wären viel mehr Schulklassen geschlossen worden. Die Regierung macht es sich zu einfach. Es ist einfacher, die Schulen zu schließen und die Kinder zuhause zu lassen, als sich um die Probleme drumherum zu kümmern wie den Schulweg. Ich wäre bereit, meine Kinder selbst zur Schule zu fahren, damit die Kontakte in den Bussen wegfallen. Unsere Kinder dürfen nicht in die Schule, aber die Bundesliga läuft weiter und Wettbüros und Hundefrisöre dürfen öffnen. Das passt doch alles nicht zusammen und steht in keiner Relation. Unsere Kinder werden immer die Coronaopfer bleiben, das ist einfach so.
>>> Steckbrief: Esther Ringbeck
Esther Ringbeck, 40, ist Mutter von einem Kindergartenkind (4) und zwei Grundschulkindern (6 und 9 Jahre).
Sie arbeitet als Kinderkrankenschwester im St. Josefs-Hospital und führt selbstständig im Nebenerwerb Eltern-Kind-Kurse (u. a. Babymassage, Säuglingspflegekurse, Babyernährung, Babyschwimmen) für Familien mit Kleinkindern durch.