Kreis Olpe. Sandra J. aus dem Kreis Olpe arbeitet in einem Supermarkt. In der Corona-Krise erfährt sie Dankbarkeit – aber auch Respektlosigkeit.

Als das öffentliche Leben zum Erliegen kam, waren sie weiter da. Im Krankenhaus, in der Apotheke, in Seniorenheimen, in der Fahrerkabine eines Lkws, in Drogerien und Supermärkten. Durch den coronabedingten Lockdown wurden sie zu Alltagshelden. Menschen in systemrelevanten Berufen. Menschen, die dafür sorgten, dass die Grundversorgung Tag für Tag gewährleistet war. Menschen wie Sandra J. (Name von der Redaktion geändert) aus dem Kreis Olpe. Sie arbeitet in einer Supermarkt-Kette und hat die Corona-Krise und ihre Folgen hautnah miterlebt. Als Heldin sieht sie sich nicht. Wohl aber als jemanden, der sich Respekt im Miteinander wünscht. Den hat es nämlich leider nicht immer gegeben hat.

Sandra J. möchte ihre Geschichte anonym erzählen. Auch, weil sie eine Verschwiegenheitserklärung von ihrem Arbeitgeber unterschrieben hat. Für sie war es eine belastende Zeit, gerade zu Beginn der Pandemie. „Es war gar nicht körperlich anstrengend, auch wenn wir viele Überstunden machen mussten. Aber irgendwann ging es einem psychisch sehr nah.“

Der Anfang

Verdi-Chef: „Der Effekt ist ziemlich schnell verpufft“

Jürgen Weiskirch, Geschäftsführer des Verdi Bezirks Südwestfalen, wünscht sich mehr Wertschätzung den Arbeitnehmern gegenüber und keine Diskussion um zusätzliche verkaufsoffene Sonntage.

1 Für wie nachhaltig halten Sie den Effekt der Dankeshymnen?

Der Effekt bei den sogenannten Alltagshelden ist ziemlich schnell verpufft. Jetzt geht es zum Beispiel wieder los mit vier zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntagen ohne Anlass. In der Krise waren diese Sonntage für Lebensmittelhändler schon möglich, die hatten sich dagegen aber gewehrt. Und trotzdem wird wieder der Ruf nach zusätzlichen Sonntagsöffnungen laut. Die, die den Laden am laufen gehalten haben, bei denen bleibt am Ende nichts übrig.

2 Wie könnte die Wertschätzung der ausgerufenen Alltagshelden erhalten bleiben?

Vielleicht werden die Leute wacher, wenn die zweite Welle stärker durchschlägt als vorher. Die Wertschätzung der Arbeitgeber lässt zu wünschen übrig. In der Bevölkerung selbst glaube ich schon, dass die Akzeptanz gewachsen ist. Aber bei den gesellschaftlich Verantwortlichen – da habe ich meine Zweifel.

3 Was hätten Sie sich für die Arbeitnehmer in den Supermärkten gewünscht?

Für die hätte ich mir gewünscht, dass sie vernünftig die Mehrarbeitsstunden bezahlt bekommen – mit Zuschlag. Dass sie zusätzlich einen Tag frei bekommen für ihre unerschöpfliche Mühe. Ich hätte mir für sie keinen Warengutschein gewünscht, sondern eine Einmalzahlung, über die sie selbst verfügen können. Denn Warengutschein heißt für mich, dass das Geld vor allem im eigenen Haus bleiben soll. Generell bin ich davon überzeugt, dass Arbeitgeber gut beraten sind, wenn sie täglich diese Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Indem sie ihre Mitarbeiter beteiligen, Verbesserungsvorschläge entgegennehmen und zusammen Perspektiven entwickeln. Es soll nicht nur um das Nominale gehen, sondern auch um den psychischen Arbeitsvertrag. Das ist mindestens genauso wichtig, wie das Geld am Ende des Monats.

Als sich die Regale sichtbar leerten, weil Kunden Nudeln, Hefe und Toilettenpapier hamsterten, wurden Sandra und ihre Kollegen dafür verantwortlich gemacht. „Und wenn es dann Nachschub gab, stürzten sich manche Leute wie Tiere darauf. Man ist nicht mal aus dem Lager herausgekommen, da wurde die Palette schon auseinander genommen.“ Zwischenzeitlich hätten sich sogar Facebook-Gruppen gegründet, in denen die Nutzer posteten, wann es in welchem Supermarkt wieder Toilettenpapier gab. „Dann stürmten Kunden unseren Laden und standen 15 Minuten in der Warteschlange, um eine Packung Toilettenpapier zu ergattern.“

In der Krise kristallisierte sich aber auch etwas anderes heraus: Dankbarkeit. Und die Bereitschaft, diese auch zu zeigen. „Es gab Kunden, die uns Karten geschrieben haben oder uns Schokolade und Kuchen geschenkt haben. Da haben uns einige auch einfach mal gesagt: ‘Danke, dass ihr da seid. Danke, für euer Lächeln in dieser Zeit.’“

Die Diskussion

Unsicher fühlte und fühlt sich Sandra J. nicht, auch wenn sie täglich stundenlang Kundenkontakt pflegt. „Unser Arbeitgeber hat alles dafür getan, dass wir bestmöglich geschützt sind. Bei uns wurden schnell Schutzscheiben im Kassenbereich angebracht und wir mit ausreichend Masken ausgestattet.“ Nichtsdestotrotz müsse man manche Kunden für den Mindestabstand sensibilisieren – und vor allem für den richtigen Umgang mit dem Mund-Nasen-Schutz. „Manche Kunden tragen die Maske unter der Nase oder einfach nur hinter das Ohr geklemmt. Einige musste ich sogar ‘rausschicken, weil sie so uneinsichtig waren.“ Für Sandra J. ist das ein rücksichtsloses Verhalten. „Wir sind diesen Leuten ja dann einfach ausgesetzt. Das empfinde ich als respektlos mir gegenüber.“

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Die Mitarbeiter sind angewiesen, während ihrer Schicht Mund und Nase zu bedecken. Über Stunden. Wenn Kunden sich genötigt fühlen für ihren 20-minütigen Supermarkt-Einkauf eine Maske ordnungsgemäß zu tragen, fehlt Sandra J. dafür jegliches Verständnis. Etwas völlig anderes sei es, wenn kranke, hilfsbedürftige Menschen damit nicht zurechtkommen. „Ich kann mich zum Beispiel an eine Kundin erinnern, die mit ihrem Sauerstoffgerät und der Maske bei mir an der Kasse stand. Die war fix und fertig, weil sie nicht mehr richtig Luft bekommen hat. Da habe ich ihr auch geholfen, die Maske abzunehmen, weil sie das selbst nicht mehr konnte.“

Die Selbstwahrnehmung

Natürlich hat auch Sandra J. den Jubelsturm für systemrelevante Berufe mitbekommen. Als Heldin fühle sie sich aber nicht. „Das ist eben mein Job. Und ich bin froh darüber, dass ich in dieser Zeit arbeiten gehen durfte. Wenn ich in Kurzarbeit gerutscht wäre, hätte ich nicht gewusst, wie ich meine Wohnung und die laufenden Kosten hätte zahlen sollen.“ Deswegen sei sie eher dankbar. „Für mich ist das normal. Nur eben mit Herausforderungen.“

Die Wertschätzung

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Diese Herausforderungen habe ihr Arbeitgeber honoriert. Sie habe nicht nur jede einzelne Überstunde bezahlt bekommen, sondern wurde auch mit einem Warengutschein in Höhe von 250 Euro entschädigt. Eine Maßnahme, mit der Sandra J. zufrieden ist. „Für mich war das nicht selbstverständlich. Der Arbeitgeber hätte auch darauf pochen können, nur die angefallen Überstunden zu bezahlen.“ Außerdem habe es zwischendurch immer mal wieder kleine Aufmerksamkeiten im Alltag gegeben wie ein mitgebrachter Kuchen oder ein Frühstück für die Angestellten.

Der Wunsch

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Der Danke-Schrei war in der Hochphase der Pandemie groß. Nachhaltig sei er aus Sicht von Sandra J. allerdings nicht gewesen. Er ist verstummt. „Ich wünsche mir, dass Kunden verstehen, dass wir ihnen etwas anbieten, was wir ihnen nicht anbieten müssen. Und dass sie das eben zu schätzen wissen und sich dementsprechend verhalten.“ Verständnis, Empathie, Respekt – das erwartet sie im Alltag. Nicht nur in der Corona-Krise.