Lenhausen. Jubiläums-Festschrift des TuS Lenhausen gedenkt des einzigen jüdischen Mitbürgers, der den Holocaust überlebte und zurück in den Kreis Olpe kam.
Was hat der jüdische Holocaust-Überlebende Werner Jacob mit dem Sportverein TuS Lenhausen zu tun, der in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert? Eine ganze Menge, wie dieser Bericht zeigen soll.
Die Geschichte ist schier unglaublich. Denn nach der Rückkehr 1945, nach abenteuerlicher Flucht, muss der damals 24-Jährige in seinem Heimatort Lenhausen und im Verein ehemaligen Nazis begegnet sein, die vielleicht auch eine Mitschuld am Leid seiner Familie hatten.
Stolpersteine gegen das Vergessen
Seit dem 6. Februar 2014 erinnern sieben sogenannte Stolpersteine in Lenhausen an das Schicksal der jüdischen Familie Jacob. Ein Großteil ihrer Mitglieder wurde in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern umgebracht. Verlegt hat die sieben Messingplatten der Kölner Künstler Gunter Demnig vor dem Feuerwehrgerätehaus in der Fretterbachstraße. Hier standen das Wohnhaus und die Metzgerei der Jacobs.
Nur Werner Jacob ist nach einer erschütternden Odyssee durch sieben Konzentrationslager und einer abenteuerlichen Flucht beim Transport zum KZ Dachau wieder nach Lenhausen zurückgekehrt. Am 23. April 1945, noch vor der Kapitulation des Deutschen Reiches, stand der junge Mann, mit geschorenem Haar und in zerlumpten Kleidern, vor dem Haus von Bäckermeister Fritz Becker, viele Jahre 1. Vorsitzender des TuS Lenhausen.
„Wir zwei haben uns in den Armen gelegen, und da wusste die Frau Becker erst, wer ich war. Ich habe da dann erst noch gesessen und was gegessen, und dann ist der Fritz Becker nachts um halb zwölf mit mir ins Unterdorf rein und hat überall an die Tür geklopft – die Leute waren schon alle am schlafen – und er hat gerufen: Der Werner ist wieder hier, der Werner ist wieder hier! So war ich dann wieder in Lenhausen.“
Rückkehr nach Lenhausen
So schildert Werner Jacob seine Rückkehr in einem bewegenden Interview mit dem Schmallenberger Oberstudiendirektor Norbert Otto.
Drei Jahre vor dem Tod von Werner Jacob am 9. November 1992 hat Otto den „einzigen jüdischen Bürger (aus dem Kreis Olpe, d. Red.), der nach den Unrechtsjahren der NS-Diktatur in seinen Heimatort zurückgekehrt ist“ interviewt. Der Bericht ist 1997 im Band I „Jüdisches Leben im Kreis Olpe“ unter dem Titel „Werner Jacob: Ich trage die Nummer 104953“ erschienen. Diese Nummer wurde ihm in Auschwitz auf den Arm tätowiert.
„Die meisten Überlebenden wollten nicht mehr nach Hause. Es ist ganz selten vorgekommen, dass jemand, der Auschwitz überstanden hat, in seinen Heimatort zurückgekehrt ist. Das ist schon etwas ganz Besonderes“, sagt Helmut Witte. Das, was die Jacobs während der NS-Zeit durchmachen mussten, nennt der 73-Jährige „unvorstellbar“.
Hervorragend integriert
Dabei war die 1910 nach Lenhausen gezogene jüdische Familie Jacob, die dort eine Metzgerei betrieb, „hervorragend im Ort integriert“, schreibt Witte in seiner Festschrift „100 Jahre TuS Lenhausen“. Weiter heißt es dort: „Max und Erich waren Mitglied im Schützenverein, 1931 konnte Erich Jacob die Königswürde erlangen. Erich und Werner waren aktive Mitglieder im Sportverein. Erich spielte in der 2. Seniorenmannschaft, gelegentlich sogar in der „Ersten“. Werner kam in der Schülermannschaft zum Einsatz.
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Wie Helmut Witte im Jubiläumsbuch des TuS ausführt, hat Werner Jacob „daneben noch Leichtathletik betrieben und geturnt, sogar noch nach offizieller (erzwungener) Einstellung des Spiel- und Sportbetriebs im Jahr 1934.“
Der am 10. Oktober 1919 gegründete „Sport-Verein Lenhausen“ schloss sich zwei Jahre später dem DJK-Spielring 6 Hagen-Iserlohn an. Die Deutsche Jugendkraft (DJK) ist der Name der katholischen Sportbewegung.
Die Schikanen des NS-Regimes gegen die katholischen Vereine wurden immer größer. Auch aus diesem Grund beschloss die Generalversammlung des Sportvereins am 10. Dezember 1933, die Turngeräte dem Kirchenvorstand zu übergeben. „Wir Jüngeren haben weiter geturnt, und zwar in dem Vereinshaus neben der Kirche; der Verein existierte illegal weiter. In zwei Gruppen unter den Brüdern Fritz und Willi Zepke haben wir an den Geräten geturnt, sonntags nach dem Hochamt“, erinnert sich Werner Jacob in den Gesprächen mit Norbert Otto.
Werner Jacob erlebt Josef Mengele
Die Barbarei der Nationalsozialisten und die Folgen für die Familie Jacob beschreibt Helmut Witte in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des TuS Lenhausen so: „Insgesamt sechs Mitglieder der Familie Jacob wurden Opfer des NS-Regimes. Neben den Eltern Max und Jenny Jacob und den Kindern Erich und Grete kamen auch Paul Vogelsang, der Ehemann von Henny Jacob, sowie Werner Jacobs erste Ehefrau Irmgard zu Tode. Alle starben entweder während der Deportation oder im KZ.
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Die Töchter Henny und Ilse konnten sich durch Flucht und Emigration retten. Nach dem 2. Weltkrieg sind sie in die USA ausgewandert. Werner Jacob wurde Anfang 1943 gemeinsam mit seiner Ehefrau Irmgard nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Irmgard Jacob wurde kurz nach der Ankunft im Vernichtungslager Birkenau in der Gaskammer ermordet.“ Auf der Rampe in Birkenau erlebte Werner Jacob den berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele.
Bis Kriegsende überlebte Werner Jacob neben Birkenau noch sieben weitere Konzentrationslager, unter unvorstellbaren Bedingungen. Trotzdem wollte der junge Mann wieder nach Hause, nach Lenhausen. In der Jubiläums-Festschrift heißt es: „Schnell fand er wieder Anschluss an die Dorfgemeinschaft. Mit dazu beigetragen hat sicherlich auch, dass sich Werner Jacob schon frühzeitig dem TuS Lenhausen als aktiver Spieler anschloss.“
Der flinke Fußballer wird so beschreiben: „Werner Jacob war ein vielseitiger Spieler, mal hütete er das Tor, obwohl er bei einer Größe von zirka 1,70 m sicherlich nicht die Idealfigur eines Torwarts hatte, mal spielte er Rechts- oder Linksaußen. Als Feldspieler kam ihm seine außerordentliche Schnelligkeit zugute. Mit anderen im Verein betrieb Werner Jacob hin und wieder auch Leichtathletik.“
„In den Annalen des Vereins gebührt Werner Jacob ein Ehrenplatz.“ Dieser Satz ist Helmut Witte besonders wichtig. Der Mann, der die Vernichtungslager des NS-Regimes überlebt hatte, starb am 9. November 1992 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Hagen-Eilpe begraben. Der 1952 in zweiter Ehe verheiratete gelernte Metzger hinterließ neben seiner katholischen Ehefrau drei Kinder.
Fast noch ausgewandert
Fast wäre Werner Jacob 1951 seinen beiden in die USA ausgewanderten Schwestern gefolgt. In Bremerhaven musste er vor der Überfahrt nach Amerika in Quarantäne. „Und dann kam ich in so einen großen Saal mit einfachen Feldbetten. Das war furchtbar … Das hat mich so wieder an das KZ erinnert, diese Betten! Ich habe meine Koffer gepackt und bin schnurstracks nach Lenhausen zurückgefahren! Meine Schwestern haben geschimpft und geschimpft.“ Damit war das Kapitel USA für Jacob „erledigt“, antwortet er in den Gesprächen mit Norbert Otto.