Witten/Herdecke. . Wie schult ein Unternehmen seine Mitarbeiter? Wie löst die Firma Probleme mit Umweltschutz oder Effizienz? Was tut der Chef für die Vereinbarkeit von Job und Familie? Das will auch der Kunde wissen — vor allem von Lebensmittelherstellen. Dafür hat die Uni Witten/Herdecke jetzt ein Nachhaltigkeits-Zertifikat entwickelt.

„Nachhaltigkeit ist ein Modewort“, gibt Axel Kölle zu. „Wir könnten genau so gut auch Zukunftsfähigkeit sagen.“ Aber dann hat er das neue Zertifikat doch lieber „Nachhaltiger wirtschaften Food“ genannt. Weil Axel Kölle und Christian Gessner schließlich auch Gründer und Leiter des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) sind. Und das hat die Standards für ein Zertifikat für Lebensmittelhersteller entwickelt, das der TÜV Rheinland nun verantwortlich vergibt.

Um das Zertifikat haben sich bereits viele namhafte Unternehmen bemüht: Söbbeke aus dem Münsterland, das Soester Unternehmen Kuchenmeister, Brandt aus Hagen, die Bitburger Brauerei, Ritter Sport, Dr. Oetker, Ültje, Steinhaus oder Wiesenhof.

Bio-Molkerei Söbekke und Geflügel-Riese Wiesenhof

Wie passt das zusammen: die Bio-Molkerei und der größte Geflügelschlachter Europas, der ständig in der öffentlichen Kritik steht? „Wir haben kein weiteres Öko-Siegel entwickelt“, erklärt Kölle. „Es geht um ein Management-System. Aber wer zertifiziert werden will - der Prozess dauert etwa ein dreiviertel Jahr - muss nachweisen, dass er sich erkennbar auf den Weg gemacht hat und Verbesserungen umsetzt.“

Kölle spricht von einem „Lernpfad“, einer Entwicklung. Aber es müsse schon ein gewisses Niveau erreicht sein: „Als totale Stinkbude bekommt man kein Zertifikat.“

Das Zertifikat will unternehmensinterne Prozesse messbar, umsetzbar und intern überprüfbar machen: Es geht um die Schulung des Personals, um Nachhaltigkeitskriterien beim Einkauf, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Energieeffizienz. „Da gibt es generelle Anforderungen, aber auch Lösungskonzepte für spezielle Hot Spots“, so der ZNU-Leiter. Das könnten dann im Wiesenhof-Beispiel die Hähnchen-Haltungsform oder die Schnabelkürzung sein. Bei Söbbeke dagegen müsse man sich weniger um die ökologischen Aspekte kümmern, aber vielleicht um die ökonomischen.

Familienunternehmen werden oft nachhaltiger geführt

Generell spielten auch soziale Kriterien ein Rolle. „Im traditionellen Bild des ehrbaren Kaufmanns spiegelt sich viel von Nachhaltigkeit wider“, betont Kölle. Deshalb würden Familienunternehmen oft nachhaltiger geführt. „Die sind meist schon weg von der kurzfristigen Gewinnmaximierung.“

Das ZNU will sich mit dem Zertifikat besonders an den Mittelstand richten. Und warum hat es sich auf Lebensmittelhersteller konzentriert? „Wir hatten ein großes Forschungsprojekt zur Nachhaltigkeit in der Wirtschaft generell“, erzählt Axel Kölle. „Aber dann wurde uns klar, dass wir eine Branche herausnehmen müssen, wenn wir sie ganz durchdringen wollen.“ Und Lebensmittel seien eben besonders wichtig. Perspektivisch sei es aber denkbar, das Zertifikat auch auf anderen Feldern einzusetzen.

Dann geht es wahrscheinlich nicht mehr um die Nutztierhaltung. Aber weiterhin um Energiekonzepte, Verpackung, Logistik, Wertschöpfung und Rohstoffbeschaffung. Und um Menschenrechte oder Biodiversität.

Und was hat der Verbraucher davon?

Und was hat der Verbraucher davon? „Ein Orientierungskriterium“, sagt Kölle. Die Unternehmen sind aufgerufen, ihre Nachhaltigkeitskriterien zu kommunizieren und öffentlich nachprüfbar zu machen. Aber um die muss sich der Verbraucher schon selbst bemühen, denn einen Aufdruck auf der Produktverpackung wird es nicht geben. Wie gesagt: kein neues Siegel. Aber auf der Homepage des Unternehmens ist normalerweise nachzulesen, welche Ziele es sich gesteckt und was es schon getan hat. Künftig wird das vielleicht leichter: mit einer App, bei der Kunden nur den Barcode einscannen müssen, um Zusatzinformationen zu erhalten, hofft Kölle.

Aber Unternehmer müssten eben nicht nur die Kunden überzeugen, betont der ZNU-Mitgründer: „Nachhaltigkeit kann nur funktionieren, wenn die eigenen Mitarbeiter hinter dem Konzept stehen.“