Wetter. Jedes 3. Kind in Deutschland wird gemobbt. Im AWO-Familienzentrum Wengern üben Knirpse, sich selbst zu behaupten

Zwei Kinder spielen ausgelassen auf dem Spielplatz des Kindergartens. Ein Junge kommt hinzu. Ein kurzer Wortwechsel. Die anderen rennen weg. Der Junge bleibt zurück. Mitspielen darf er nicht. Ein paar Meter weiter gibt es gerade Streit um die Schaukel: Solche und ähnliche Szenen sind in Kindertagesstätten alltäglich. Der achtsame Umgang miteinander, die Lösung von Konflikten sind es hingegen nicht immer. Ein Grund, warum Selbstbehauptung und Resilienz auch bei den Kleinen eine immer größere Rolle spielen. Im AWO-Familienzentrum Wetter-Wengern hat mit „Kleine Helden des Alltags“ ein Kurs gegen Stress und Streit im Kindergartenalltag stattgefunden.

Die Kinder hatten sehr lange keine sozialen Kontakte, und die Folgen spüren wir.
Hülya Akyol - Erzieherin

Die Folgen der Corona-Pandemie

„Nach der Corona-Pandemie merken wir, dass die Kinder in diesem Bereich Unterstützung brauchen“, sagt Hülya Akyol, Erzieherin und Abwesenheitsvertretung der Kindergartenleiterin in der Einrichtung am Brasberg. „Die Kinder hatten sehr lange keine sozialen Kontakte, und die Folgen spüren wir.“ Konflikte untereinander lösen, fair und respektvoll miteinander umgehen: „Das haben viele Kinder nicht gelernt“, so Akyol. „Sie haben quasi keine Werkzeuge zur Hand, und da müssen wir Hilfestellung leisten.“

Eine solche Hilfestellung bietet „Kleine Helden des Alltags“. Hinter dem Slogan stecken die Wetteranerinnen Melanie Saverino und Jessica Taiber. Die beiden Frauen sind Schwestern und Selbstbehauptungs- und Resilienztrainerinnen für Kinder. Gemeinsam haben sie das Angebot ins Leben gerufen, das sich auch an Kindergarten- und Schulkinder richtet. „Wir möchten Kinder stärken und ihnen helfen, im geschützten Rahmen zu lernen, sich durchzusetzen und selbst zu behaupten“, erklärt Jessica Taiber und nennt Zahlen: Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung leide jedes dritte Kind unter Mobbing.

Vom Umgang mit Mobbing

Eine Situation, die auch der Sohn von Melanie Saverino erleben musste. „Das war quasi der Beginn von Kleine Helden des Alltags“, erzählt die 42-Jährige. Sie tauscht sich in dieser Zeit der Ärgereien, der Wut und Traurigkeit ihres Sohnes viel mit ihrer Schwester aus, gemeinsam suchen sie Lösungen für den Umgang mit Mobbing bei Kindern und finden die Ausbildung zur Selbstbehauptungs- und Resilienztrainerin. Sechs Monate lang bilden sie sich weiter, lernen viel über die Kommunikation mit und die Reaktionen von Kindern. Dann machen sie sich selbstständig. „Wir hatten das Gefühl, wir müssen das in die Welt rauskriegen“, erinnern sich die beiden.

Die Wetteranerinnen Jessica Taiber (links) und Melanie Saverino von
Die Wetteranerinnen Jessica Taiber (links) und Melanie Saverino von "Kleine Helden des Alltags" mit den Plüschtieren, die auch bei den Trainings im AWO-Familienzentrum Wengern zum Einsatz kamen. © WP | Corinna Ludwig

Rollenspiele mit Schaf, Löwe und Mücke

Seitdem tauchen die Bürokauffrau und die gelernte Altenpflegerin nebenberuflich in die Welt der „Kleinen Helden“ ein. In ihren Kursen geht es viel um Empathie für den anderen, um einen respektvollen Umgang. Darum, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und die der anderen zu sehen. Sich zu behaupten, mit Kränkungen und Ärgereien umzugehen. „Wir arbeiten mit Rollenspielen, Bewegungstrainings und kindgerechten Übungen“, erklärt Jessica Taiber, die in den Kursen auch mal in die Rolle eines ärgernden Mädchens schlüpft. Immer wieder kommen auch helfende Plüschtiere wie Schaf, Löwe und Mücke zum Einsatz. „Diese Tiermodelle helfen den Kindern, Situationen und Verhaltensweisen zu reflektieren“, macht Melanie Saverino deutlich.

In zehn Kursstunden haben Jessica Taiber und Melanie Sovarino mit den Kindergartenkindern des AWO-Familienzentrums über Regeln gesprochen und auch über Gefühle: Was sind gute, was schlechte Gefühle? „Wir möchten, dass die Kinder lernen, dass alle Gefühle sein dürfen und wichtig sind. Aber nicht jede Handlung, die daraus resultiert, ist richtig“, so Taiber. Statt aus Wut zu hauen, könne es helfen, das Gefühl in einem Raum herauszuschreien oder in Kissen zu boxen. Die Wetteranerin ist überzeugt, dass die Kinder viele der Tipps schnell aufnehmen und umsetzen. „Das bekommen wir immer wieder auch von Eltern zurückgemeldet“, so Melanie Saverino.

Rollenspiele gehören bei den Selbstbehauptungs- und Resilienztrainings von
Rollenspiele gehören bei den Selbstbehauptungs- und Resilienztrainings von "Kleine Helden des Alltags" dazu. Auch im AWO-Familienzentrum in Wengern schlüpfte Jessica Taiber (Mitte) in die Rolle eines ärgenden Kindes. © WP | AWO-Familienzentrum Wengern

„Kuchenexpress“ finanziert den Kurs

„Den Kindern hat der Kurs sehr gut gefallen“, sagt auch Stefanie Beck. Sie hat Kinder, die das AWO-Familienzentrum besuchen und ist überzeugt von dem Angebot. „Ich denke, dass es wichtig ist, dass auch kleine Kinder schon ein Gefühl für ihre eigenen Bedürfnisse entwickeln. Und auch lernen, den Mut aufzubringen, ihre persönlichen Grenzen aufzuzeigen und diese aber auch bei den Mitmenschen zu akzeptieren“, erklärt sie. Die aktive Elternschaft des AWO-Familienzentrums war es auch, die das Projekt ermöglicht hat: Die Einnahmen des von Eltern initiierten „Kuchenexpress“, bei dem selbstgebackener Kuchen verkauft wird, sind in den Kurs geflossen: „Das war quasi ein Weihnachtsgeschenk der Eltern“, freut sich Hülya Akyol. „Und eine wirklich schöne Idee.“