Herdecke. Walter Falkenroth war dabei, als der Cuno-Turm gebaut wurde. Jetzt kann er vom Balkon aus zusehen, wie dieser schwindet. Eine Leidensgeschichte
Auf dem Balkon liegt das Fernglas bereit. Mit etwas Glück kann Walter Falkenroth die Männer gut erkennen, die da in schwindeliger Höhe ihre Arbeit tun. Drei Meter knabbern sie pro Arbeitstag den Cuno-Schornstein ab. Falkenroth weiß das, weil es kürzlich in der Zeitung zu lesen war. Er weiß es aber auch dank seiner alten Verbindungen: Der heute 90-Jährige war als Arbeitnehmervertreter ein ganz hohes Tier bei der Elektromark und hat auch heute noch gute Kontakte beim Nachfolgeunternehmen Enervie.
Hoch über der Stadt
Ein Foto zeigt Walter Falkenroth zusammen mit einem Kollegen oben auf der Plattform des fast fertigen Turms. Im September 1983 ist die Aufnahme entstanden, so steht es auf der Rückseite. Vielleicht neun Meter hätten noch bis zur vollen Höhe gefehlt, erinnert sich Falkenroth. Er war Vorsitzender des Betriebsrates für den Standort Herdecke, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Elektromark und Vizevorsitzender im Aufsichtsrat. Und er wollte wissen, wie der Stand ist bei dem Bauwerk, das für die Zukunft der Energieproduktion in Herdecke so wichtig schien.
Im „Aufzug“ bis an die Turmspitze
Der höhere Schornstein sollte besser verteilen, was an Schadstoffen bei der Energieproduktion am Ufer des Harkortsees übrig blieb. Und er war umstritten. Den damaligen Arbeitsminister des Landes versuchte er vor Ort in Herdecke genauso von der Notwendigkeit des Schornsteins zu überzeugen wie den Dortmunder Oberbürgermeister bei einer Ratssitzung in der Ruhrmetropole. Mit Erfolg. Jetzt hatte Falkenroth die „Aufzugfahrt“ im Inneren des Turms hinter sich und konnte weit über das Stadion in Dortmund hinaus blicken.
Daran muss er nun immer wieder denken, wenn der Bagger zu hören ist, der den Schornstein seit ein paar Wochen von oben abknabbert. „Bei jedem Schlag tut es mir weh“, sagt der Senior, der einen direkten Blick auf die zur Zeit wohl höchste Baustelle der Stadt hat. Lange hat er in der Siedlung der Elektromark unmittelbar in Kraftwerksnähe gewohnt. Sein Vater war im Kraftwerk beschäftigt und wegen des Schichtdienstes bei so vielen Familienfeiern nicht dabei. Eigentlich nichts zum Nachahmen. Ein Umweg führte den Sohn dann doch in die Energiewirtschaft.
Auf Umwegen zur Elektromark
Bei Habig hatte Walter Falkenroth den Beruf des Hand- und Filmstoffdruckers erlernt. Dann war Schluss bei dem traditionsreichen Herdecker Unternehmen. Falkenroth ging zu einer Lohndruckerei in Wuppertal und dann zur „Akku“ in Hagen. Schließlich wechselte er zur Elektromark und lernte Kesselwärter. Mit dem Heizerbrief in der Tasche begann sein Aufstieg, der ihn schließlich auch in die schwindelnde Höhe des fast fertigen Cuno-Turms brachte.
Lange schon wird der Schornstein nicht mehr gebraucht. Das moderne Gas- und Dampfturbinenkraftwerk ausschließlich unten am Ufer hat seinen eigenen Schlot. Die Idee, oben auf der Höhe, wo einst Steinkohle auf Schienen angeliefert wurde, Sonnenkollektoren aufzustellen, findet Walter Falkenroth gut. Dass nun aber der Cuno-Schornstein weichen soll, kann er nicht nachvollziehen. So viele andere Nutzungen seien doch im Gespräch gewesen, bis hin zur Umwandlung in einen Aussichtsturm.
Eine Landmarke verschwindet
Ein befreundeter Pilot hat erzählt, dass beim Anflug auf den Düsseldorfer Flughafen der hoch gereckte weiße Schornstein ein wichtiger Orientierungspunkt ist. Noch. Auch Ehefrau Edith Falkenroth wird die Landmarke vermissen: „Egal, aus welcher Richtung man kam: Immer, wenn der Cuno-Schornstein zu sehen war, wusste man: Gleich ist man zu Hause.“