Wetter. Über 100 Menschen können im ehemaligen Zauleckhaus untergebracht werden. Kümmerer sollen Ansprechpartner für sie sein - und für die Nachbarn
39 Jahre alt. Studierter Sozialarbeiter. Groß geworden in Marokko: Die unmittelbaren Nachbarn der neuen Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Zauleckhaus in Alt-Wetter dürften Nabil Essadqi schon kennen. Die Stadt hat rund um das ehemalige Seniorenheim Flyer verteilt und darin den Leiter der neuen Einrichtung vorgestellt. Für Bürgermeister Frank Hasenberg ist das die Erfüllung eines Versprechens. Die Stadt hatte zugesagt, die Anwohner auf Stand zu halten.
Seit 1. Januar ist der junge Mann mit modischem Brillengestell und hoch gegelten Haaren Herr im umgewandelten Zauleckhaus. Mitte Januar sind die ersten Flüchtlinge eingezogen. 18 Bewohnerinnen und Bewohner sind es derzeit. Platz ist für rund 120 Menschen. Unter den Erstbeziehern sind zwei Männer mit starken körperlichen Beeinträchtigungen - Folgen der Gewalt in ihrem Heimatland und der Umstände der Flucht. Das ehemalige Altenheim bietet ihnen Barrierefreiheit.
Flucht vor dem Krieg in der Ukraine
Die Stadt hat den Gebäudekomplex von der Diakonie gemietet. Die Umbauarbeiten sind mittlerweile abgeschlossen. Zu den notwendigen Veränderungen zählen auch zwei Außentreppen. Sie bilden jeweils für einen Flügel den zweiten Fluchtweg. Fünf Zimmer sind dabei für die Unterbringung verloren gegangen. Sie dienen jetzt als Zugang zur Treppe. Trotzdem bleibt vorerst genügend Platz für Menschen auf der Flucht. Aktuell kommen die meisten Bewohner aus der Ukraine. Auch Afghanistan oder Syrien sind als Herkunftsland dabei.
Einen der Flure im Erdgeschoss hat Nabil Essadqi den Frauen vorbehalten. Andere Trakte sind so ausgelegt, dass auch größere Familien hier unterkommen können. Genügend Küchen und Gemeinschaftsräume sollen es erleichtern, dass unterschiedliche Gewohnheiten beispielsweise bei den Speisen nicht zu Spannungen führen. Zumindest kleinere Spannung wird es geben, ist Bürgermeister Frank Hasenberg überzeugt. Gerade deshalb ist er froh, Nabil Essadqi als Leiter gewonnen zu haben. Für Hasenberg ist auch das ein erfülltes Versprechen: Das Zauleck-Haus hat für die Menschen drinnen wie drumherum einen Ansprechpartner, ein Gesicht. Die Nummer zur schnellen Kontaktaufnahme stand in dem Flyer für die Nachbarn.
Die ersten Nachbarn haben bereits bei Nabil Essadqi vorbeigeschaut. Ihre Kinder würden gerne zum Spielen kommen, wenn auch Kinder in der Unterkunft eingezogen sind. „Ängste können sich auflösen, wenn man sich kennenlernt“, sind sich der Bürgermeister und Christian Matzko, der neue Mann fürs Soziale im Rathaus von Wetter, einig. Die Basis dafür scheint gut zu sein. Seit Monaten ist bekannt, dass Flüchtlinge einziehen werden, wo früher mal Senioren eine Unterkunft gefunden haben, bis die Diakonie das Heim nicht mehr brauchte. Kritische Nachfragen oder Protest seien ihm in dieser Zeit nicht zu Ohren gekommen, sagt Sören Noll, Fachdienstleiter Soziales bei der Stadt.
Für Anwohner und Bewohner: Kümmerer vor Ort
Ein bisschen Hausherr, ein bisschen Empfangschef sitzt Nabil Essadqi hinter Glas in der gläsernen Loge am Eingang. Viele Schalter, zwei Rechner. Alles wichtig für die Übersicht. Nicht nur er soll sie haben. Vier Mitarbeiter der Stadt haben in zwei Büroräumen im Erdgeschoss ihre Schreibtische aufgestellt. Auf diese Weise ist ein weiterer Sozialarbeiter ganz nah dran an den Bewohnern und ihren Problemen. Hinzu kommen drei „Kümmerer“, die für kleinere Reparaturen zuständig sind oder nach dem Rechten sehen. Die Kümmerer hätten den Überblick, sagt Frank Hasenberg und sieht damit ein weiteres Versprechen an die Nachbarschaft eingelöst.
In Marokko hat Nabil Essadqi Jura studiert. Dann ist er für die weitere Ausbildung nach Deutschland gekommen. Hier hat es ihn nach Dortmund verschlagen, an die Fachhochschule. Seit dem Abschluss darf er sich nun studierter Sozialarbeiter und Sozialpädagoge nennen. In Marokko ist Arabisch die Amtssprache. Viele Marokkaner verstehen aber auch gut Französisch. Beide Sprachen bringt Nabil Essadqi mit an seinen Arbeitsplatz in Wetter. Englisch spricht er auch. Und ein bisschen Spanisch. Er sagt, „Sprache spielt eine große Rolle, wo viele Menschen sind. Sie schafft Vertrauen.“
Hilfe beim Ankommen in Deutschland
Nabil Essadqi hat schon größere Einrichtungen für Flüchtlinge geleitet. Dennoch sei er gerne nach Wetter gewechselt. Hier stimme die Größenordnung, könne er die Sprachen und seine Empathie einbringen. Er weiß: Für manch einen Flüchtling ist die Begegnung mit deutschen Gepflogenheiten ein kultureller Schock, von den bürokratischen Hürden bis zur richtigen Mülltrennung. Da möchte er gerne beim Ankommen helfen. Gelegenheit dafür wird sich finden, bei so vielen freien Zimmern im Haus und so vielen Unruheherden weltweit.