Herdecke. Will die Stadt die kranken Bewohner am Nacken verjagen? Das ist nicht der einzige Vorwurf der ESV in Richtung Stadt

Vor drei Wochen machten Anwohner am Nacken ihrem Frust Luft: Seit dem Einzug von Schwerstpflegefällen der ESV im vormaligen Seniorenheim von Convivo sahen sie sich immer wieder Schreien der Bewohner ausgesetzt. Jetzt stand Christina Bösken, bei der ESV verantwortlich für die Spezialpflege, im Sozialausschuss Rede und Antwort. Was sie zu sagen hat, entsprach wohl ganz und gar nicht den Erwartungen. „Alter Schwede“, kam als Kommentar aus den Reihen der CDU-Fraktion, als Böskens Abrechnung mit der Stadt endete.

Die Situation

Die ESV hat das Heim am Nacken von Convivo übernommen. Vitus Höhe heißt die Einrichtung nun. Hier sollen Bewohner der Spezialpflege aus dem Haus Bethanien in Volmarstein, das saniert werden muss, leben. 80 Plätze gibt es insgesamt. Der Großteil der Bewohner ist bereits am Nacken eingezogen.

Die Krankheit

48 der neuen Bewohner sind an Morbus Huntington erkrankt. Es handelt sich um eine Erbkrankheit. Im Endstadium bleibt den Erkrankten oft nur das Schreien, um sich auszudrücken. Die Einrichtung am Nacken ist bundesweit die größte für Menschen mit dieser Krankheit.

Die Streitpunkte

Christina Bösken war auch schon im Mai im Sozialausschuss zu Gast. Hier lag der Fokus auf der Zukunft für das mittlerweile geschlossene Convivo-Heim in Kirchende. Damals schon hätte die ESV „offen legen sollen, was Herdecke mit der Spezialpflege erwartet“, so Bettina Bothe, Beigeordnete fürs Soziale. Auch sei nicht klar gesagt worden, dass der Umzug zum Nacken eine Dauerlösung sei. Bettina Bösken generell zu Vorwürfen: Arglistige Täuschung liege ebenso wenig vor wie ein Verstoß gegen Recht. Dabei geht es um die neue Nutzung und nötige Genehmigungen dafür.

Die Argumentation der Stadt

Eine klassische Senioreneinrichtung sei die Vitus Höhe nicht mehr. Daher müsse geprüft werden, ob die neue Nutzung durch die vorhandenen Genehmigungen gedeckt ist. Die Verwaltung müsse das klären, so Bothe, um den Interessen der Anwohner gerecht zu werden. Aus Sicht der ESV bedarf es keiner neuerlichen Nutzungsgenehmigung. So sieht es auch der EN-Kreis. Die Stadt beharrt aber auf einer bauordnungsrechtlichen Würdigung. Die Prüfung könne dauern.

Die Haltung der ESV

Die ESV geht von einem doppelten Gewöhnungseffekt aus: bei den Anwohnern ebenso wie bei den neuen Heimbewohnern, die noch den Umzug verarbeiten müssten. Allerdings sei bei Bewohnern und Betreuern der Eindruck entstanden, „dass die Stadt uns wieder verjagen wollte und die Inklusion in Herdecke einfach kein Begriff ist“, so Christina Bösken. Der Stadt warf sie vor, nur „an einer einseitigen Darstellung interessiert“ zu sein. Auch könne sie nicht verstehen, wie „die Stadt Herdecke sich mit einem Prüfauftrag bei klarer Gesetzgebung so vergaloppieren kann.“

Die Parteien

Mehrere Ausschussmitglieder wollten wissen, was die ESV zu einer Entschärfung der Lage getan hat und tun will. So ist eine besonders lautierende Bewohnerin innerhalb des Hauses bereits umquartiert worden. Harald Müller (CDU) stützte den Prüfansatz der Verwaltung. Auch die Nachbarn hätten „ein Recht, in lebenswerter Weise zu wohnen.“ Jürgen A. Weber von der FDP zeigte angesichts der quälenden Schreie und der teils heftigen Ablehnung Verständnis „für Überreaktionen auf beiden Seiten.“

Die Anwohnerin

„Ich bin erschüttert“, stellte die einzige Anwohnerin fest, die zu der Sitzung gekommen war: „Wir sind auf nichts vorbereitet worden“, so ihr Vorwurf. Infos über die Krankheitsbilder: Fehlanzeige. Die Meinung der Anwohner hätte bei der Standortwahl keine Rolle gespielt.

Die Perspektive

Am 14. Oktober soll es einen Tag der offenen Tür geben. Er habe sich wegen Verzögerungen beim Bau nicht früher machen lassen, so Christina Bösken. Der Ausschuss nahm ihre Einladung an, bald auch mal am Nacken zu tagen.