Herdecke. Kein Bedarf, aber ein unterschriebener Vertrag: Wie eine Herdeckerin (85) zu schnellem Internet und kurzfristig zu einer Mailadresse gekommen ist.

Die Kundengewinnung für Glasfaseranschlüsse in Herdecke hat heftige Kritik hervorgerufen. Mit einiger Verspätung ist nun ein Fall hinzu gekommen, der etwas mit der Vergesslichkeit der Seniorin zu tun hat, die einen Internetzugang geordert hat, obwohl sie kein Gerät dafür hat und sich mit ihren 86 Jahren bestimmt auch keines mehr anschaffen wird.

Sehr nett sei der junge Mann gewesen, mit dem sie das Gespräch über einen neuartigen Anschluss geführt habe, erinnert sich die Seniorin. Viel mehr kann sie aber nicht mehr sagen über den Tag im August und den Vertragsabschluss, den sie sogar mit einer Email bestätigt haben muss. Obwohl sie bis dato gar keinen Email-Account hatte.

Vertragsbestätigung per Email

Zufällig hat der Sohn den Vertrag gefunden und sich besonders über die Sache mit der Email-Adresse gewundert. Aber Vertragsbestätigungen per Email an der Haustür von Menschen, die bisher keine eigenen Email-Adressen genutzt haben, sind gar nicht so ungewöhnlich. Das sagt Vadim Gein, Projektleiter der Region West bei der Deutschen Giganetz und damit zuständig auch für Herdecke.

Aus Sicht vieler Hausbesitzer sei schnelles Internet eine Wertsteigerung für ihre Immobilien. Daher das Interesse an dem Angebot der Deutschen Giganetz. Gerade ältere Kunden aber hätten keinen Email-Account, der für eine Vertragsbestätigung heute unerlässlich sei. Kunden müsse vor Vertragsabschluss laut Gesetz eine Zusammenfassung der Vereinbarungen zugegangen sein. Das erkläre das Verfahren, durchaus auch an der Haustüre eine Email-Adresse einzurichten und den daran geschickten Vertrag gleich bestätigen zu lassen.

Widerspruchsfrist ist abgelaufen

Mit der Aquise an der Haustüre der 85-Jährigen hat das nichts zu tun, sagt auch Vadim Gein. Faustregel bei der Schulung von Werbern sei es, Menschen im Alter von mehr als 80 Jahren nicht zu behelligen. Zwingend sei diese Vorgabe allerdings auch nicht. Der Sohn der Seniorin jedenfalls will den Vertrag nicht einfach hinnehmen, auch wenn die übliche Widerspruchsfrist von zwei Wochen nach Vertragsabschluss längst abgelaufen ist.

Der Sohn hat selbst einen Vertrag mit der Giganetz abgeschlossen und die Nummer des Verkäufers angerufen, den er von den Gesprächen in guter Erinnerung hatte. „Schalten Sie die Polizei ein“, soll der ihm geraten haben. Das Kundencenter von Giganetz hatte dem Sohn zuvor einen anderen Weg aufgezeigt: Er möge einen Widerruf verfassen, der dann zurück käme, weil ja die Widerrufssfrist abgelaufen sei. Dem solle der Sohn mit Erklärungen zum speziellen Fall erneut widersprechen - zu langwierig, wie der Sohn der Seniorin fand.

Agentur an der Hauptstraße statt Haustürgeschäfte

Vadim Gein hat das Verfahren abgekürzt. „Ich nehme die Seniorin raus“, sagt er, von der Redaktion auf die Kundengewinnung angesprochen. Als Reaktion auf die vielen Beschwerden war vor Monaten die Verbindung zu einem von drei Dienstleistern gekappt worden. Ob es nun ein Vertreter dieser Werberfirma war, der der Seniorin auch noch eine besonders leistungsfähige Netzanbindung verkauft hatte, oder einer der beiden verbliebenen Geschäftspartner an der Koenenstraße vor der Haustüre gestanden hat, spielt für Gein aber keine große Rolle.

Aktuell gebe es kaum mehr Vertriebsaktivitäten an den Häusern. Giganetz hat an der Hauptstraße ein Agentur aufgemacht. Noch läuft der Vorvermarktungszeitraum. An dessen Ende klärt sich, wo Leitungen tatsächlich rentabel sind.